Es lebe der Feminismus! Es lebe die Gleichberechtigung! Und das von mir…

Gaetano Donizetti, Lucia di Lammermoor  Staatsoper Hamburg, 3. Februar 2024

© 2021, Fotos: Brinkhoff/Mögenburg

Staatsoper Hamburg, 3. Februar 2024

Gaetano Donizetti
Lucia di Lammermoor
Dramma tragico in drei Akten (1835), Text von Salvadore Cammarano

Inszenierung: Amélie Niermeyer
Bühnenbild: Christian Schmidt
Kostüme: Kirsten Dephoff
Video: Jan Speckenbach
Choreografie: Dustin Klein
Dramaturgie: Rainer Karlitschek
Chor: Christan Günther

von Harald Nicolas Stazol

Debüt? Höre ich gerade, „sie flog am Mittwoch aus L.A. ein – es ist ihr Debüt an der Staatsoper“???

Manchmal gehen Verstand und Glück und Opernliebe eben doch eine seltene glückliche Ehe ein – ach Liv Redpath, Sie sind ja für Hamburg ein wahrer Coup de foudre, eine Instant-Sofortliebe auf den ersten Blick! Kein Wunder, dass die Hanse Ihnen sofort zu Füßen liegt, Sie Wahnsinnige, allein Ihre Wahnsinnshöhen, das dramatische Talent – nach Jetlag und höchstenfalls 4 Tagen Proben – was für ein Auftritt, treppauf treppab, auf Knien einmal, im Liegen, gegen Ende ja im alles von Kopf bis Fuß umhüllenden, duftigen Brautkleid (Kostüme: Kirsten Depphoff), und blutüberströmt nach dem Gattenmord im Brautbett.
Kein Wunder, bei der Zwangsehe mit Seungwoo Siman Yang als volltönenden Lord Arturo Bucklaw, will sagen, einem bassigen Totalmacho! Die Frau, ja Frauen als wahre Ware, heute zum Sonderpreis.

Die Rolle an sich hat die Redpath, auf rotem Wege also, als blutjunger, charmant hübscher Soprano leggero mit ihrer strahlenden Stimme seit der Saison 22/23 an der Los Angeles Opera überzeugend-natürlich drauf, mühelos auch in den höchsten Registern, mit atemberaubender Koloratur, wie man sie so schnell nicht mehr hören wird! Immer wieder frenetischer Szenenapplaus, und zu Recht!

An Machos mangelt es in der Inszenierung von Amélie Niermeyer nun wirklich nicht, sind doch schon 15 Maskierte in grauen Anzügen auf der Bühne, bedrohliche Akteure, die der zunächst machtlosen Lucia eigentlich immer nur männlich machtvoll im Wege stehen und das Patriarchat symbolisieren, dem die arme Frau ausgeliefert ist, Spielball zwischen dem übermächtigen Bruder, Lord Ashton – ganz wunderbar böse und tragend Kartai Karagedik – und letztlich auch des Mannes, den sie ja liebt, einem Edgardo in Lederjacke, Oleksiy Palchykow, an Jean-Paul Belmondo erinnernd, nur singt Ersterer phantastisch und wohl wesentlich besser, die Duette des tragisch sich suizidierenden  Liebespaares sind Ausdruck der reinen Passion.

© 2021, Foto: Brinkhoff/Mögenburg

Wir wiederum erinnern uns: Wie bei „Romeo und Julia“ sind die es auch hier verfeindete Häuser, allerdings ist die Handlung von den Schottischen Highlands in die Gegenwart verlegt, der böse Bruder braucht für seine pleitegehende Firma dringend Frischgeld – wegen Brexit? Und ein Glück, das Benko nicht das Opernhaus „gekauft“ hat – und wie seit der Renaissance soll mit einer schönen Frau bezahlt werden: „Das einzige Mal, da Lucia sich ihres Schicksals bemächtigt, ist ja der Mord“, sagt die Regisseurin, den wiederum bezahlt die Titelheldin mit dem Verlust ihrer geistigen Gesundheit – die Wahnsinnsarie ein Traum!

© 2021, Foto: Brinkhoff/Mögenburg

Und nun, dank eines visionären Donizetti und seiner romantischsten Belcanto-Oper zu den Frauen, ist sie doch heute reiner Ausdruck von „MeToo“, und hier in übergroßer Projektion über die ganze Bühne, mehrmals:

„Die Schuld liegt beim Patriarchat,
dem bewaffneten Flügel des Staates.

Er sagt, ich sei das Problem,
und rechtfertigt damit sein System.

Das Patriarchat zeigt mit dem Finger und urteilt: schuldig.

Unsere Bestrafung
ist die Gewalt, die ich jetzt erlebe.

Femizid.
Straffreiheit für den Mörder!

Es ist Missbrauch.
Es ist Vergewaltigung.“

Intoniert von einer ganzen Jungschar an ziemlich wilden Mädchen, nach dem Vorbild demonstrierender Südamerikanerinnen, die manchmal auch zu Boden gehen, oder durch den Elbtunnel marschieren, mit sorgfältig einstudierten, hackenden Gesten, in rot und weiß gewandet.

© 2021, Foto: Brinkhoff/Mögenburg

Was uns zum recht kargen Bühnenbild bringt, das leider im langsamen hin- und her sich bewegen erst an meiner Optik, dann an einen Gehirnschlag denken lässt, bis man merkt, dass man fast seekrank wird, aber vielleicht ist das ja gewollt, ein Irritation innerhalb gesamt-gesellschaftlicher Irritation:

Ganz in grau, in brutalistischer Beton-Architektur, also voll italienischer Futurismo, links mit 10 Meter-Treppenhaus (man kommt vom reinen Zusehen ins Training), oben rechts das Schlafzimmer, unten das Büro des Pleitiers von Fabrikanten. Zur Hochzeit ist das Geländer immerhin mit Blumen und weißen Schleiern dekoriert, nun sind die ganz wild tanzenden und schubsenden männlichen Statisten in grüne Frauenkleider gewandet, was ich nur als Genderismus begreifen kann?

Bewundernswert aber die beiden Kinder auf der Bühne: Stellen sie doch die kleine Lucia und den kleinen Lord dar, die sich aus der Feindschaft der Familien aus voriger Generation nicht entwickeln können, und ihrem unerbittlichen Schicksal schuldlos ausgeliefert sind, wie Rainer Karlitschek im reich bebilderten Programmheft fast familientherapeutisch ausführt: „Das ist in der unmittelbaren und eindringlichen Wirkung umso heftiger, als Donizettis Oper den familiären Konflikt ausgerechnet in der gerade erst der Kindheit herausgewachsenen jungen Generation zeigt, die eigentlich frei von den Machenschaften ihrer Eltern die eigene Zukunft gestalten könnte. Doch weit gefehlt. Die nächste Generation treibt aus einer archaischen Loyalität zu ihren Eltern, die den Männern die Rolle der Macht und Gewalt und den Frauen diejenige des passiven Erleidens zuweist, unhinterfragt die Konflikte weiter.“

Für die Leitung des feinfühligen Orchesters zeichnet Lorenzo Passerini, der souveräne Chor singt in den beiden linkesten Logen zweifach übereinander.

Was bleibt da zu sagen?

Es lebe der Feminismus! Es lebe die Gleichberechtigung! Und das von mir…

Harald Nicolas Stazol, 5. Februar 2024,  für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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