Staatsoper Hamburg, 19. Oktober 2021, PREMIERE
Gaetano Donizetti, Lucia di Lammermoor
Eine wirklich sehenswerte Inszenierung: Gaetano Donizettis Lucia di Lammermoor an der Hamburgischen Staatsoper, Premiere vor Publikum am 19. Oktober 2021
Allerdings darf man nicht an die Vorgängerinnen auf dieser Bühne erinnern wie Renata Scotto, June Anderson, Elena Moşuc, auch an das ehemalige Hamburger Ensemblemitglied Ha Young Lee denken, vor allem aber nicht an die als Lucia unvergleichliche Edita Gruberova, die stimmliche Leuchtraketen in den Raum schoss, die sich über dem Publikum mit einem farbigen Glitzerwerk entluden. Ihr plötzlicher Tod, der am Montag bekannt wurde, erfüllt uns mit tiefer Trauer.
Foto nach der Aufführung: Daniel Kluge (Normanno), Seungwoo Simon Yang (Lord Arturo Bucklaw), Alexander Roslavets (Raimondo Bidebent), Venera Gimadieva (Lucia), Oleksiy Palchykov (Sir Edgardo di Ravenswood), Alexey Bogdanchikov (Lord Enrico Ashton), Kristina Stanek (Alisa)
von Dr. Ralf Wegner
Nun also auch vor Publikum: Amélie Niermeyers Lucia di Lammermoor. Es beginnt, bevor sich der Vorhang öffnet, mit einer Großbildprojektion; eine weibliche Aktivistengruppe wendet sich tänzerisch und verbal gegen männliche Vorherrschaft, schreit das sie betreffende Unglück aus sich heraus. Das führt bei manchen im Publikum zu Unmutsäußerungen, andere reagieren mit Bravi. Es passt aber zum Inhalt der Oper; es geht um Lug und Betrug an der Frau zugunsten des Mannes. So sieht es zumindest Amélie Niermeyer.
Bei geöffnetem Vorhang nehmen die gesamte Bühne sowie die Seitenbühnen eine seitlich verschiebbare zweigeschossige Raumflucht ein, links mit großem Treppenhaus, rechts mit Lucias Schlafzimmer im Ober- und Enricos Büro im Untergeschoss. Insgesamt sind Bühnenbild (Christian Schmidt) und Inszenierung gelungen, vor allem die Nebenhandlungen mit Lucia als Kind und ihrem größeren, sie damals schon bedrängenden Bruder Enrico trugen zur Vertiefung der Handlung bei.
Zum Gesanglichen: Venera Gimadievas (Lucia) schöner, gut in den Raum flutender Sopran klang makellos, vor allem im Piano und mit Aufblühen in der oberen Mittellage. Es gab kein störendes Vibrato und auch keine nennenswerte Schärfe in der Höhe. Was der Stimme aber fehlte war, mittels Klang und Farbe Ausdruck zu erzeugen, also gesanglich in die verstörte Seele dieser um ihr Lebensglück betrogenen Frau vorzudringen. Trotz allem war es eine sehr gute Leistung, auch schauspielerisch.
Allerdings darf man nicht an die Vorgängerinnen auf dieser Bühne wie Renata Scotto, June Anderson, Elena Moşuc, auch an das ehemalige Hamburger Ensemblemitglied Ha Young Lee denken, vor allem aber nicht an die als Lucia unvergleichliche Edita Gruberova, die stimmliche Leuchtraketen in den Raum schoss, die sich über dem Publikum mit einem farbigen Glitzerwerk entluden. Ihr plötzlicher Tod, der heute bekannt wurde, erfüllt uns mit tiefer Trauer.
Der Bariton Alexey Bogdanchikov sang Lucias Bruder Enrico tadellos mit mächtig tönender, unter die Haut gehender Höhe. Der Tenor Daniel Kluge ließ als Normanno aufhorchen. Seungwoo Simon Yang, Mitglied des Internationalen Opernstudios, fiel als Arturo mit ausgesprochen schönem und kräftigem Tenor auf. Wer allerdings sehen will, wie Arturo von Lucia blutrünstig gemeuchelt wird, muss Plätze auf der rechten Seite des Hauses, vor allem die seitlichen Logen meiden. Denn das naturalistische Schauspiel wurde von der Regie ganz in die rechte obere Ecke verdrängt. Der Bass Alexander Roslavets war als in die Intrige gegen Lucia eingebundener Priester Raimondo Bidebent sehr gut, vor allem beeindruckte er das Publikum mit einem fulminanten Jubelschrei, als er Enrico die Einwilligung Lucias zur Hochzeit mit Arturo mitteilen konnte. Kristina Stanek überzeugte gesanglich als Lucias Kammerfrau Alisa.
Edgardo wurde von dem Hamburger Ensemblemitglied Oleksiy Palchykov gesungen. Für mein Empfinden reichte seine Stimme für diese gesanglich fordernde Belcanto-Partie nicht aus. Es fehlte die Schönheit des Belcanto-Klangs, die Stimme hatte keine ausreichende Farbigkeit und klang auch eher eng. Wenngleich sie gut trägt, füllte sie das Haus nicht in der Breite. An seiner Rollengestaltung war nichts auszusetzen. Er überzeugte mit Artistik, auch war seine Liebe schauspielerisch gesehen glaubhaft, aber weniger gesanglich. Auch da sei an die Bühnenvorgänger des Edgardo erinnert: Luciano Pavarotti, José Carreras, Luis Lima, Piotr Beczała oder zuletzt auch Ramón Vargas.
Vielleicht täuschen einen auch diese Erinnerungen.
Denn dem Publikum gefielen nicht nur die Aufführung, sondern auch die Leistungen von Venera Gimadieva und Oleksiy Palchykov. Beide wurden einhellig bejubelt, ebenso der Dirigent der Aufführung, Giampaolo Bisanti, der die Gesangsleistungen auf der Bühne mit dem Philharmonischen Staatsorchester und dem in den Logen postierten Chor gut flankierte.
Dr. Ralf Wegner, 20. Oktober 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Jonas Kaufmann & Helmut Deutsch, CD-Rezension, Liszt, Freudvoll und leidvoll klassik-begeistert.de