Edita Gruberová: Mit 71 Jahren ist noch lange nicht Schluss! Die Koloraturdiva bewegt in der Bayerischen Staatsoper

Gaetano Donizetti, Lucrezia Borgia,  Bayerische Staatsoper, München

Foto: Wilfried Hösl (c)

Bayerische Staatsoper, 27. April 2018
Gaetano Donizetti, Lucrezia Borgia
Friedrich Haider: Dirigent
von Maria Steinhilber

Wenn das Münchner Nationaltheater gefühlt noch voller ist als sonst, wenn die gesammelte Münchner Schickeria zusammenkommt, dann lässt sich vermuten, dass an diesem Abend eine ganz besondere Sängerin auf der Bühne brillieren wird.

Eine moderne Bühne und ein älteres Publikum. Grau und weitläufig erscheint der Spielplatz der Sänger. Groß, hellgrau und düster schmückt ein Name die Bühne von Henrik Ahr: Lucrezia Borgia. Gaetano Donizettis Melodrama in einem Prolog und zwei Akten nach dem Drama Lucrèce Borgia von Viktor Hugo erklingt unter der musikalischen Leitung von Friedrich Haider.

Lucrezia Borgia, bekannt als die Giftmischerin, Ehebrecherin und Mörderin. Gennaro verliebt sich beim ersten Anblick in sie – unwissend, dass sie seine Mutter ist. So spinnt sich das Drama fort. Zweimal wird er von seiner eigenen Mutter vergiftet. Beim ersten Mal wird sie von ihrem eifersüchtigen Ehemann dazu gezwungen und ein Gegengift rettet ihn, beim zweiten Mal kommt die Hilfe zu spät. Zu spät erfährt Gennaro auch, warum er sich zu Lucrezia Borgia hingezogen fühlte. Sie ist seine Mutter. Gennaro stirbt und ein gnadenloses Trauma für die Überlebenden bleibt.

„Schönes Venedig, herrlich, hier kommt jeder auf seine Kosten!“, singt der Männerchor nachdem das Licht ausgegangen ist. „Verbannen wir diese traurigen Gedanken“, singt Maffio Orsini – und dann tritt SIE auf.

Leise und zart. Kristallklar. Edita Gruberová ist Lucrezia Borgia. Die jahrelang gefeierte Koloraturkönigin feiert 2018 ihr 50jähriges Bühnenjubiläum. Man wagt es kaum auszusprechen, dass sie stolze 71 Jahre alt ist. Kann man in diesem Alter wirklich noch reine Koloraturen singen? Oder besser gesagt, kann man in diesem Alter noch eine Titelrolle in der Bayerischen Staatsoper singen?

Die Antwort lautet: JA! Voreingenommen wegen ihres Alters sitzt jeder in seinem Theatersessel und ist gespannter denn je. Doch Frau Gruberová kann selbst an diesem Abend niemand so schnell nachmachen. Sie ist eine Diva. Immer noch. Sie atmet tief, doch die Luft geht ihr nie aus. Reinheit und jahrzehntelange Erfahrung sind aus ihren Stirnhöhlen zu vernehmen. Weitgespannte Kantilenen und reich verzierte Koloraturen. Expression und Tongirlanden. Der tobende Applaus wurde von Donizetti quasi mitkomponiert. „Nehmt euch vor der Borgia in Acht“, singt sie, doch es sollte lieber heißen: Nehmt euch vor der Gruberová in Acht!

Eine langweilige Bühne, doch die Musik nimmt den fehlenden Raum ein. Friedrich Haiders Dirigat ist sehr rücksichtsvoll. Und genauso spielt das Bayerische Staatsorchester. Als hätte es im Hinterkopf auch Augen, die die Aktionen der Sänger verfolgen. Und so spielen sie dynamische wirklich qualitative Phrasen.

Aber was wäre eine Belcanto-Oper ohne einen Belcanto-Tenor? Juan Diego Flórez gibt heute den Gennaro. Der peruanische Lockenkopf erobert das Publikum und zieht es in seinen Bann. Zwischen seinen Phrasen liegt die sängerische Crème, über die jeder verfügen sollte. Das Publikum bejubelt ihn und stampft mit den Füßen.

Mit seinem Freund Maffio Orsini, gesungen von der italienischen Mezzosopranistin Teresa Iervolino, kommt Schwung in die Opernkiste! Ihr gemeinsames Spiel und die Vertrautheit auf der Bühne erinnern an Engelbert Humperdincks Hänsel und Gretel. Wer ist dieser Orsini? Die Leistung der jungen Italienerin ist beachtlich. So muss ein Mezzosopran klingen, und so muss er auch spielen können. Ihre Hosenrolle und ihr gleichzeitiges Hausdebüt kann sie mit einem dicken Haken vermerken. Auch sie beklatscht und bejubelt das Publikum. Diese Stimme braucht die Bayerische Staatsoper wieder.

Dann erklingen die bei Donizetti bekannten Kirchenglocken. Der Chor der Bayerischen Staatsoper bebt: „Die weltliche Freude ist vergänglich.“ Und dann taucht Frau Gruberová wieder auf, dieses Mal in einem schwarzen Samtkleid und einer langen weißen Perücke. Keine Spur von Alter. Noch bevor das Orchester zu Ende spielen kann, bricht Applaus aus. Sie verneigt sich dankend und Fazit des Abends: Mit 71 Jahren ist noch lange nicht Schluss – zumindest bei Frau Gruberová.

Foto: Wilfried Hösl

Inszenierung: Christof Loy
Don Alfonso: Franco Vassallo
Donna Lucrezia Borgia: Edita Gruberová
Gennaro: Juan Diego Flórez
Maffio Orsini: Teresa Iervolino
Jeppo Liverotto: Joshua Owen Mills
Don Aposto Gazella: Christian Rieger
Ascanio Petrucci: Andrea Borghini
Oloferno Vitellozzo: Matthew Grills
Gubetta: Alexander Milev
Rustighello: Dean Power
Astolfo: Callum Thorpe
Bayerisches Staatsorchester
Chor der Bayerischen Staatsoper

2 Gedanken zu „Gaetano Donizetti, Lucrezia Borgia,
Bayerische Staatsoper, München“

  1. Zitat:
    „Es ist immer traurig anzusehen und anzuhören, wie eine Sängerlegende sich selbst demontiert. Edita Gruberova hatte ihren Zenit bereit überschritten, als diese Produktion von Lucrezia Borgia vor neun Jahren Premiere hatte, heute ist sie ein Schatten ihrer selbst. Es gelingen ihr zwar immer noch einige schöne Spitzentöne, die aber kaum mehr organisch aus den Melodiebögen entwickelt werden können. Intonationsprobleme zu Beginn, das wurde im Laufe des Abends besser, aber nicht gut. Die einstmals leuchtende Piani, die sie so unvergleichlich bruchlos ins Forte anschwellen und wieder zurücknehmen konnte, sind fahl und matt geworden, die Stimme spricht nicht immer an. Stattdessen flüchtet sich die Sängerin in eine geradezu veristisch anmutende Gestaltung mit der Stimme, die mit Belcanto wenig zu tun hat.“ –
    Mein persönliches Fazit: das war mein letztes Mal mit „Grubi“, wie sie von ihren Anhängern liebevoll genannt wird. Ich möchte sie so in Erinnerung behalten, wie sie ich sie vor mehr als 25 Jahren kennengelernt habe: als Lucia mit wunderbar mädchenhafter Stimme und leuchtenden Piani, als großartige Norma und als berührende Elisabetta in Roberto Devereux.
    Susanne Kittel-May

    P.S.: Diese oben zitierte, sehr glaubwürdige und nachvollziehbare Kritik – und das ist nicht die einzige dieser Art in den letzten Jahren – habe ich zur gleichen Aufführung im „Online-Merker“ gelesen. Kann es sein, daß bei einigen Kritikern ihre grenzenlose Verehrung für die Künstlerin die Fachkompetenz in einem Ausmaß blockiert, dass man schon von einer Art „Johannes-Heesters-Syndrom“ sprechen kann?

    H.-J. Freudenberger

    1. Hallo Herr Freudenberger, Sie haben vollkommen recht mit der Grubi-Kritik. Es ist ihr Alter, das man leider nicht ändern kann. Aber es gibt einige Sopranos, die ebenfalls die Lucrezia singen könnten. Danke für Ihre Offenheit, jede Zeit hat ihre Künstler.
      Gertrud Mebes

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