Foto: (c) Hans Jörg Michel
Georg Friedrich Händel, Alcina, Staatsoper Hamburg, 30. September 2018
von Sarah Schnoor
Am Ende fallen Wände, Tiere werden zu Männern verwandelt, und ein Saal voller Menschen erwacht aus einem dreistündigen Traum, der mit herzlichem Applaus besonders für Lezhneva, Eichenbaum, Fagioli und das Orchester beklatscht wird.
Händels bekannte Oper „Alcina“ wird in der Hamburgischen Staatsoper nach 12 Jahren endlich wiederaufgenommen. Regisseur Christof Loy hat die Oper um die Zauberin Alcina 2002 mit gewohnt wenigen Mitteln inszeniert und hofft auf ein spielfreudiges Ensemble. Ein Glück, dass die wunderbaren Sänger auch bei der Wiederaufnahme ein Traumreich voll Liebes- und Stimmzauber vor den Augen und Ohren des Publikums entstehen lassen können.
Kaum schlägt der Dirigent Riccardo Minasi die ersten Takte, geht der Barockhimmel auf. Er leitet einen beschwingten Händel an, und das Philharmonische Staatsorchester Hamburg zusammen mit einer kleinen Continuo-Gruppe folgt aufmerksam. Lebhaft werden die verschiedenen Charakteristika der Musik gestaltet. Das macht einfach Freude!
Morgana (Julia Lezhneva), die Schwester der Zauberin, trifft auf Bradamante (Sonia Prina), die als ihr Bruder verkleidet ihren Verlobten Ruggiero aus den Fängen der Alcina befreien will. Die junge Sopranistin Julia Lezhneva ist der Star des Abends, obwohl die Besetzung noch weitere Barockgrößen bereithält. Sie erzeugt unglaubliche Momente des Staunens. Lezhneva ist technisch perfekt und lässt ihren Sopran süß vibrierend bis scharf erklingen. Ihre Koloraturen sind faszinierend sauber, klar, aber dadurch nicht weniger bewegend! Sie begeistert mit leisestem Piano, Vibrato und Triller in jeder Variante. Einer der vielen Höhepunkte ist die von der Solo-Violine (Joanna Kamenarska) zauberhaft untermalte Arie „Ama, sospira“.
Ihre Gegenspielerin verkörpert Agneta Eichenholz. Sie bringt mit ihrem hellen, warmen Sopran eine von Anfang an eher liebevoll klingende Alcina auf der Bühne. Ihre dunkle Seite kommt kaum zur Geltung, dabei entledigt sie sich aller Männer, die ihr überdrüssig sind, indem sie diese in Tiere und Pflanzen verwandelt. Fesselnd besingt sie ihre erste aufrichtige Liebe zu Bradamantes Bräutigam Ruggiero. Zusammen mit dem intensiv spielenden Orchester singt Eichenholz eine herzzerreißende Arie auf ihre Wut und Trauer über die Trennung von ihrem Ruggiero („Ah, mio cor! Schernito sei!“).
Das Publikum hat an diesem Abend viel zu bejubeln. Der weltbekannte Franco Fagioli schleudert eine unmögliche Koloratur nach der anderen in den Saal. Präzise und besonders in den Spitzentönen beindruckend klar singt er einen herrlich lebhaft leidenden und liebenden Ruggiero. Nur seine eigentliche Braut, die Altistin Sonia Prina (Bradamante), kann an diesem Abend nicht ganz Schritt halten, spielt aber eine überzeugende Bradamante, die sich am Ende charmant in eine Frau zurückverwandelt.
Auch die Nebenrollen sind gut besetzt. Die dem Hamburger Publikum vertraute Bassstimme von Alin Anca (Melisso) passt perfekt zu der Autorität seiner Rolle. Als Erzieher der Bradamante begleitet er sie und singt wenige, aber zurechtweisende und starke Partien.
Auch das ehemalige Opernstudiomitglied Narea Son (Oberto) überzeugt in ihrer kleinen Hosenrolle. Sie spielt den Sohn eines von Alcina verwandelten Mannes. Die wunderschön feinen und klaren Koloraturen sitzen perfekt.
Wie begeistert alle sind, merkt man schon vor dem dritten Akt. Als Minasi erscheint und das Orchester aufstehen lässt, gibt es Bravo-Rufe und Applaus wie selten.
Alcinas Zauberkräfte lassen nach, die Kraft der Musik aber nicht. Am Ende fallen Wände, Tiere werden zu Männern verwandelt, und ein Saal voller Menschen erwacht aus einem dreistündigen Traum, der mit herzlichem Applaus besonders für Lezhneva, Eichenbaum, Fagioli und das Orchester beklatscht wird.
Sarah Schnoor, 1. Oktober 2018, für
klassik-begeistert.de
Inszenierung: Christof Loy
Musikalische Leitung: Riccardo Minasi
Alcina: Agneta Eichenholz
Ruggiero: Franco Fagioli
Bradamante: Sonia Prina
Morgana: Julia Lezhneva
Oberto: Narea Son
Oronte: Ziad Nehme
Melisso: Alin Anca