Fotos © Marco Brescia & Rudy Amisano
Georg Friedrich Händel, Giulio Cesare in Egitto
Dramma per musica in tre atti
Teatro alla Scala, 25. Oktober 2019
von Charles E. Ritterband
Händels „Giulio Cesare in Egitto“ war seit der Uraufführung 1724 im Londoner King’s Theatre ein Hit – noch die siebte Vorstellung nach der Premiere war ausverkauft. Fast drei Jahrhunderte später, an der Mailänder Scala, wirkt dieses Werk ebenso frisch und grandios wie damals – und sämtliche Vorstellungen in dem weltberühmten Opernhaus sind bis auf den letzten Platz besetzt und waren schon lange vor der Premiere ausverkauft: Die „Financial Times“ nennt dies mit gutem Grund Mailand‘s „Handel Mania“. Das ist bemerkenswert. Denn Italien galt bisher als die Hochburg des Verismo von Verdi bis Puccini und des Belcanto von Donizetti bis Bellini. Händels Musik begegneten die Italiener eher reserviert – bisher. Und dass das auf die genannten beiden Opern-Genres spezialisierte Orchester der Mailänder Scala für drei Händel-Opern auf barocke Original-Instrumente umgestellt hat, ist ebenfalls bemerkenswert: Neben Cesare stehen Agrippina und Ariodante auf dem Programm.
Nun hat der von der „Financial Times“ angesprochene Händel-Boom einen konkreten Grund, und dieser hat einen Namen: Cecilia Bartoli. Die große Mezzo-Sopranistin sollte in allen drei Händel-Opern führende Partien singen. Nur: Die Bartoli verweigerte die Auftritte – aus Protest gegen die verweigerte Vertragsverlängerung bis 2022 für den Intendanten Alexander Pereira. Dieser soll sich übrigens alles andere als erfreut über diesen etwas merkwürdigen Akt der Solidarität geäußert und die Protestaktion des Weltstars Bartoli als kontraproduktiv kritisiert haben.
Statt der Bartoli sang Danielle de Niese die Kleopatra. Die australische Sopranistin war unbestreitbar der Star dieses Abends und blieb dem Publikum nichts schuldig – ganz im Gegenteil. Ich habe Bartoli, so sehr ich sie auch bewundere, in dieser vierstündigen, extrem anspruchsvollen Produktion keine Minute vermisst. Dafür war ich fasziniert von den gesanglichen und schauspielerischen Leistungen dieser Sängerin, die – mit Sri Lankischen Ursprüngen – die legendär verführerische ägyptische Königin auch physisch auf einzigartige Weise verkörperte. Ihre Koloraturen waren glasklar und präzise, Kraft und Kontrolle ihrer Stimme in leidenschaftlichen und leisen Passagen fast beispiellos.
Das große Schaustück war die Badeszene: Diese Kleopatra alias „Lidia“ wurde hinter einem großen weißen Badetuch von ihren Dienerinnen entkleidet, stieg in die mächtige Badewanne samt Schaumbad, entstieg dieser nach vollendetem Bad, verschwand hinter dem Badetuch, wickelte sich mit vollendeter Eleganz aus und verschwand hinter der Kulisse. Während diesem ganzen Vorgang sang sie eine einzige, lange, ununterbrochene Arie mit vollendeter Schönheit und makelloser Präzision – eine absolute Glanzleistung, mit der sie ihrer Kollegin Bartoli nichts schuldig blieb.
Ausgerechnet im Land der einstigen Castrati wurde Cesare in der letzten Aufführung in der Mailänder Scala, die nun schon mehr als ein halbes Jahrhundert zurück liegt (1956), von einem Bass gesungen. Das gab der Oper einen ganz anderen Charakter. In dieser Aufführung war es der amerikanische Countertenor Bejun Mehta, der dem Titelhelden eine volle, resonanzreiche, harmonisch gerundete Stimme verlieh und doch die Maskulinität Cäsars voll zum Tragen brachte (gleichsam die Quadratur des Zirkels!) – ganz ohne den schrillen Klang, den wir nicht selten bei Countertenors zu bemängeln haben. Der große römische Feldherr und Imperator Julius Caesar war 52 Jahre alt als er sich von den Liebeskünsten der schönen Kleopatra umgarnen ließ – Mehta ist 51. Er entsteigt in dieser überwältigenden Inszenierung von Robert Carsen, die vom Alten Rom ins Szenario eines (amerikanischen) Wüstenkriegs transponiert wurde, einem staubigen Jeep, angetan mit einer khakifarbenen Generalsuniform, und schmettert sogleich kraftvoll seine erste Arie „Presti ormai l’egizia terra“ in die Runde.
Christophe Dumaux als Tolomeo vermochte mit einem sehr eigenen, ausgeprägten stimmlichen Charakter zu bestechen – gewalttätig-machohaft, wie die Rolle es verlangt. Als Gegenstück und Widersacher der jugendliche Sesto Pompeo (Philippe Jaroussky), mit sanfter, fast kindlicher Stimme, der den Mord an seinem Vater an Tolomeo rächt.
Neben der Sopranistin Danielle de Niese hat der Dirigent dieser Produktion beim verwöhnten Mailänder Publikum Begeisterungsstürme hervorgerufen. Der Barock-Spezialist Giovanni Antonini ist nicht nur ein herausragender Dirigent, der das auf Barockinstrumente umgestellte Hausorchester souverän, subtil und ohne Show-Effekte lenkte, sondern auch – wovon wir uns sogleich auf mehreren fantastischen CD-Einspielungen überzeugen konnten – ein virtuoser Flötist. Antonini mit seiner wunderbaren Sensibilität und Musikalität war am Dirigentenpult für diese geradezu sensationelle Händel-Inszenierung ein absoluter Volltreffer. Unter seinen Händen verwandelte er das Orchester der Scala, das wir so oft in ausgezeichnet interpretierten Verdi- und Puccini Opern hören durften, in ein Barockorchester von makelloser Perfektion. Bravo Maestro!
Doch nicht nur musikalisch wartete auf das Mailänder Publikum eine einzigartige Aufführung – geradezu spektakulär die Inszenierung des namhaften kanadischen Regisseurs Robert Carsen, von dem bereits mehrere erfolgreiche Produktionen an der Scala zu sehen waren. Carsen ist ein Publikumsmagnet – und dies völlig zu Recht:
Diese in der Zeit der Irak-Kriege angesetzte Inszenierung ist stimmig und überzeugend bis ins letzte Detail. Und auch der Humor kommt nicht zu kurz: Nach dramatischen Ereignissen findet die große Versöhnung zwischen Amerikanern (Römern) und dem (ägyptischen) Wüstenvolk statt, Verbrüderung zwischen West und Ost – und ebenso wie es zwischen Caesar und Cleopatra nur um eines ging, geht es auch bei diesem Friedensschluss nur um eines: Im letzten Akt dominiert eine mächtige, knallgelbe Öl-Pipeline die Bühne, in einer kleinen aber eindrucksvollen Zeremonie wird der Ölhahn aufgedreht, Hände geschüttelt und Verträge ausgetauscht. Zahlreiche Ölfässer in leuchtend oranger Farbe werden auf die Szene gerollt, auf diesen das Logo des neuen Ölreichtums: Ein feuerspuckendes Kamel.
Dr. Charles E. Ritterband, 29. Oktober 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Dirigent: Giovanni Antonini
Inszenierung: Robert Carsen
Chorleitung: Bruno Casoni
Römer:
Giulio Cesare: Bejun Mehta
Curio: Renato Dolcini
Cornelia: Sara Mingardo
Sesto Pompeo: Philippe Jaroussky
Ägypter:
Cleopatra: Danielle de Niese
Tolomeo: Christophe Dumaux
Achilla: Christian Senn
Nireno: Luigi Schifano
Chor und Orchester der Mailänder Scala. Barocke Original-Instrumente