Monika Korybalska (Carmen) und Tomasz Kuk (Don José) © Opera Krakowska
„Carmen“ von George Bizet
Krakauer Oper, 4. Februar 2024
Regie: Laco Adamik
Musikalische Leitung: Tadeusz Kozłowski
(die Vorstellung am 4. Februar 2024 hat José Maria Florêncio dirigiert)
Bühnenbild und Kostüme: Barbara Kędzierska
Choreographie: Katarzyna Aleksander-Kmieć
Chor: Janusz Wierzgacz
Kinderchor: Marek Kluza
von Jolanta Łada-Zielke
Ist es möglich, eine Operninszenierung ohne die heute so beliebten modernen technischen Innovationen zu realisieren? Die „Carmen“– Inszenierung von Laco Adamik an der Krakauer Oper zeigt, dass man es mit Erfolg machen kann. Exzellente Musik, großartige Stimmen, ausdrucksvoll gezeichnete Charaktere und eine rasante Handlung – all das ist dort vorhanden. Das Hauptmerkmal des Bühnenbildes ist eine riesige Glasschiebetür, hinter der sich im ersten Akt das Innere der Tabakfabrik und im dritten die Arena befindet. Der einzige moderne Touch ist eine Videoprojektion von wenigen Sekunden, die einen durch die Arena laufenden Stier zeigt.
Die Aufführung wird in der Originalsprache Französisch gesungen, mit Untertiteln in Polnisch und Englisch. Die Titelpartie singt Mezzosopranistin Monika Korybalska. Man sollte sich ihren Namen merken, weil diese Sängerin eine herausragende Persönlichkeit ist und alle Qualitäten besitzt, um eine der begehrtesten Stimmen auf der Weltbühne der Oper (wie Elīna Garanča) zu werden. Manchmal schiebt sie sich ein wenig zu stark in die Brustlage, aber das passt zu ihrer Figur; es unterstreicht ihren Trotz und sogar Vulgarität. Aber gleichzeitig, welch ein Temperament, was für eine Ausdruckskraft! Diese Künstlerin hat ein äußerst interessantes Erscheinungsbild einer der berühmtesten Femme fatale geschaffen. Ihre charmante und selbstbewusste Carmen neckt in „Habanera“, unterhält in „Seguidilla“ und bewegt die Seele in „En vain pour eviter“. Zwar hat eine hustende Person im Publikum die Aufführung der Karten-Arie am 4. Februar leicht gestört, aber die Ausdruckskraft nicht geschwächt. Korybalska würde ebenfalls Kundry erfolgreich singen.
Micaëla hätte meiner Meinung nach etwas milder sein sollen. Katarzyna Oleś-Blacha, welche die Rolle singt, ist gesanglich immer noch ziemlich fit. Ihre Interpretierung von Micaëla im ersten Akt, wo sie noch ein schüchternes, verliebtes Mädchen ist, klingt teilweise zu reif. Im dritten Akt hingegen, als ihr bewusst wird, dass man ihre Träume gewaltsam zerstört hat, passt ein dunkler Schatten der Bitterkeit zum Timbre ihrer Stimme.
Der wie immer hervorragende Tomasz Kuk als Don José stellt seinen Charakter sehr überzeugend dar. Seine Tenorstimme ist noch voll jugendlicher Frische, die er im ersten und zweiten Akt zeigt. Im dritten Akt jedoch enthält sein Gesang ausdrucksstarke Schichten des Schmerzes, den sein Held empfindet. Interessant sieht die Schlussszene vor Carmens Tod aus. Die Frau versucht, sich von dem besitzergreifenden Don José zu distanzieren, aber er zieht sie mit einem unsichtbaren Faden an sich, während im Orchester das „Schicksalsmotiv“ erklingt. Es war das blinde Schicksal, das diese beiden Menschen mit einem völlig anderen Verständnis von Liebe zusammengeführt hat.
Escamillo (Adam Szerszeń) hat mich mit seiner Aufführung der Torero-Couplets enttäuscht. Er macht ein solchen Eindruck, als käme er direkt von der Arena auf die Bühne und sei außer Atem, da er jede Phrase unterbricht und die oberen Töne zu forciert nimmt. Indem er „L’amour“ zum dritten Mal wiederholt, hätte er den Eindruck, den Carmen auf ihn machte, stärker betonen sollen. Erst während des Duetts mit Carmen beruhigte sich sein Atem, und ab dann verzauberte er das Publikum bis zum Ende mit dem warmen Timbre seines Baritons. In den lyrischen Passagen klingt er perfekt.
Auch die Darsteller der Nebenrollen verdienen eine Erwähnung. Paula Maciołek (Frasquita) mit ihrem klaren, strahlenden Sopran und Agnieszka Cząstka-Niezgódka (Mercédès), die über eine tiefe, dichte Mezzo-Stimme verfügt, bilden zusammen mit der Titelheldin ein meisterhaftes Trio mit den „Melons! coupons!”. Ausdrucksstark im gesanglichen und schauspielerischen Sinne präsentieren sich Wołodymyr Pańkiw in der Rolle von Zuniga, Jaroslaw Bielecki (Remendado), Michal Kutnik (Dancairo) und Krzysztof Kozarek (Moralès).
Ein großes Lob gebührt den von Janusz Wierzgacz und Marek Kluza vorbereiteten Chören. Die Arbeiterinnen, Zigeuner, Soldaten, Schmuggler, alle bilden stimmlich einen gesamten Organismus. Bemerkenswert ist die geschickte Anordnung der Sängerinnen und Sänger auf der Bühne, die dezenten Genreszenen, die nicht von der Haupthandlung ablenken, sondern dafür sorgen, dass sich der Zuschauer keinen Augenblick langweilt. Der Kinderchor der Krakauer Oper ist ein kleines, aber bedeutendes Schmuckstück dieser Produktion. Die Kinder treten im ersten Akt zweimal in dichter Formation auf die Bühne und singen diszipliniert und ziemlich musikalisch.
Und “last but not least” Maestro José Maria Florêncio… Ich erinnere mich noch an das Neujahrskonzert des Rundfunksinfonieorchesters im Januar 1997 unter seiner Leitung, als er das erste Stück – einen Mazur aus der Oper „Der Gespensterhof“ – mit einer schnellen und beeindruckenden halbe Drehung auf dem Podium begann. Diesmal dirigierte der Maestro „Carmen“ mit ähnlichem Elan wie damals, die Musik floss in einem rasanten Strom, sanft in den lyrischen Passagen und wellenförmig in den dramatischen. Die schöne, dynamische Ouvertüre und das unmittelbar folgende, beunruhigende „Schicksalsmotiv“, dem Florêncio am Ende des dritten Aktes noch mehr Tragik hinzufügte, umklammern prunkhaft die ganze Aufführung.
Die Kostüme von Barbara Kędzierska sind traditionell, aber schick: Soldatenuniformen, einfache Arbeiterschürzen, farbenfrohe Rüschenkleider der Zigeunerinnen und Schmugglerkostüme mit dem obligatorischen Gavroche-Tuch. Im dritten Akt tragen die Chormädchen und Solistinnen prachtvolle Kleidung (schwarzes Spitzenoberteil mit Korsett und weitem Rock, wie bei einem Flamenco-Tanz) – sie sehen wie für einen Karnevalsball aus. So etwas würde ich auch gerne einmal tragen.
Ich habe nur einen Vorbehalt gegenüber der Pause für den Bühnenbildwechsel vom Schmugglerlager zum Arenabereich von Sevilla im dritten Akt, in der nichts passiert. Ein paar verwirrte Zuschauer verließen daraufhin den Raum. Es wäre gut gewesen, diesen Moment der Pause zu nutzen, zum Beispiel mit einer Ballettsequenz bei geschlossenem Vorhang.
Ich schwimme im Vergnügen, wenn ich die populärste Oper Bizets mit einer guten Besetzung sehe. Vielleicht wird mir jemand einen Mangel an Objektivität vorwerfen, weil ich nicht nur Polin bin, sondern auch aus Krakau stamme. Aber ich habe in den letzten Jahren so viele komische und zwangsmodernisierte Inszenierungen gesehen, dass ich Laco Adamiks Produktion in der Krakauer Oper als ästhetisch entspannend empfand. Ich halte diese Inszenierung für vorbildlich und sehenswert.
Jolanta Łada-Zielke, 13. Februar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at