Foto: © Salzburger Festspiele / Ruth Walz
Cecilia Bartoli and friends:
Giacchino Rossini, L’italiana in algeri
Salzburger Festspiele, Haus für Mozart, Salzburg, 16. August 2018
Jean-Christophe Spinosi, Musikalische Leitung
Moshe Leiser & Patrice Caurier, Regie
Christian Fenouillat, Bühne
Agostino Cavalca, Kostüme
Christophe Forey, Licht
Étienne Guiol, Video
Christian Arseni, Dramaturgie
Cecilia Bartoli, Isabella
Ildar Abdrazakov, Mustafà
Edgardo Rocha, Lindoro
Alessandro Corbelli, Taddeo
José Coca Loza, Haly
Rebeca Olvera, Elvira
Rosa Bove, Zulma
Philharmonia Chor Wien
Walter Zeh, Choreinstudierung
Ensemble Matheus
Luca Quintavalle, Hammerklavier
von Sebastian Koik
Eine stärkere Frau hat man selten auf der Bühne erlebt. Nichts beunruhigt sie, sie sorgt sich nicht, kennt keine Angst. Cecilia Bartoli als Isabella ist ein Spektakel! L’italiana in algeri bei den Salzburger Opernfestspielen 2018 ein großer Erfolg von beeindruckender Komik und Lebendigkeit.
Sie lässt sich nichts sagen. Es geschieht, was sie will. Sie hat ihr eigenes Leben und das einiger anderer komplett in der Hand.
Der Opern-Aufführung ist auch davor schon schön, doch zur großen Show wird sie, als Cecilia Bartoli mit feschem Cowgirl-Hut in heiterem roten Sommerkleid auf einem Kamel auf die Bühne eingefahren kommt.
Frau Bartoli singt mit dichter, cremiger Stimme, herrlichen Höhen und Spitzentönen. Sie singt mit sichtbarer Freude am Tun und voller Leidenschaft. Die vielen Koloraturen ihrer Isabella sind einfach sensationell gut! Das kann wohl kaum jemand so präzise, spritzig, leicht und scheinbar unangestrengt wie diese Cecilia Bartoli. Sie singt und spielt mit funkensprühendem Witz und ansteckendem Charme und füllt die ganze Bühne mit ihrer Präsenz. Selbst wer Cecilia Bartoli, eine der berühmtesten und erfolgreichsten Sängerinnen der Welt, nicht kennen sollte, wird sofort erkennen: Die Frau ist ein Phänomen. Sie ist ein Star, ein Stern, der im Haus für Mozart wie eine Sonne strahlt.
Vor drei Monaten bei den Salzburger Pfingstfestspielen gab die Mezzosopranistin Bartoli ihr Debüt in dieser Rolle. Eigentlich ist die Isabella für eine Altistin geschrieben, doch davon lässt sich Frau Bartoli nicht stören. Nur, wer sie in anderen Rollen in ihrer Stimmlage erlebt hat weiß, dass sie dort gesanglich noch stärker begeistern und tiefer berühren kann als hier ohnehin schon.
Die Sonne Cecilia Bartoli hat drei wunderbare Sänger-Sterne neben sich. Auf der Bühne kreisen drei Herren um diese Isabella und kämpfen auf ihre jeweils eigene Art um sie.
Edgardo Rocha als Lindoro ist ein wunderbarer Tenor, lyrisch, weich, warm, dicht und cremig. Seine Höhen sind herrlich schön, präzise und stabil. Sein Atem ist lang. Der Uruguayer klingt sehr natürlich und grazil. Es macht große Freude seinem betörenden Gesang zu lauschen. Rocha überzeugt in allen geforderten Registern, sein Gesang wirkt geerdet, frei von Anstrengung und souverän.
In der gedachten Vorgeschichte dieser Inszenierung muss dieser Lindoro seine Isabella wohl auch mit feinem Gesang erobert haben – seine Erscheinung als Gras rauchender Schluffi mit Rastafrisur, ärmellosem Unterhemd, kurzen Hosen und Birkenstock-Sandalen dürfte auf die Frau, die jeden haben kann, nicht unbedingt den allergrößten Eindruck gemacht haben. Nur der gelegentliche Sprechgesang ist nicht ganz das Metier dieses starken Tenors.
Ganz großartig ist auch Alessandro Corbelli als gänzlich aussichtslos verliebter Taddeo. Die herrlich tiefe und sonore Stimme des Italieners klingt im ganzen geforderten Spektrum herrlich natürlich und selbstverständlich, authentisch, dicht und cremig. Selbst in schnellsten Passagen bleibt dieser Weltklasse-Bariton präzise, singt herrlich agil und spritzig. Sein ganzer Auftritt ist voller Esprit. Besser kann man diese Rolle nicht singen! Im Stück hat seine Figur zu keinem Augenblick die Chance auf Isabellas Eroberung, doch gesanglich ist er der stärkste im starken Männertrio.
Ildar Abdrazakov ist ein starker Mustafà. Sein Bass ist sonor und warm. Allerdings klingt der Baschkire, vor allem im ersten Akt in dieser Aufführung teilweise etwas aufgesetzt und gestelzt, nicht ganz so schön und natürlich wie bei seinen drei Hauptpartie-Kollegen. Auch die gelegentlich geforderten Höhen gefallen nicht ganz so sehr.
Rebeca Olvera als Mustafàs Ehefrau Elvira sorgt schon während der Ouvertüre mit ihrem engagierten Spiel für viele Lacher. Sie vollführt Bauchtanz und schmeißt sich mit übersteigerter Willigkeit an ihren von ihr gelangweilten Lebenspartner. Vielleicht auch wegen dieses großen Körpereinsatzes klingt die mexikanische Sopranistin gesanglich gelegentlich etwas nervös und kurzatmig. Doch das ist relativ – Meckern auf sehr hohem Niveau.
Die italienische Sopranistin Rosa Bove als Zulma und der bolivianische Bass José Coca Loza als Haly machen ihre Sache ebenfalls sehr gut.
Alle spielen sie großartig und herrlich lebendig und voller Witz, diese Aufführung ist ein komödiantisches Feuerwerk! Neben Bartoli sind hier ganz besonders Alessandro Corbelli als Taddeo und Ildar Abdrazakov als Mustafà hervorzuheben. Besser und witziger kann man diese Rollen nicht auf der Bühne darstellen. In Mimik, Gestik und Körperhaltung ist das bis ins letzte Detail perfekt und maximal komisch mit Leben gefüllt.
Selten hat sich wohl jemand so sehr und ohne jegliche Rücksicht auf Verluste so sehr und so genial zum Horst gemacht wie diese Beiden. Sie sind sich für keinen Witz zu schade. Selbst beim Schlussapplaus kommt dieser Taddeo in knapper blauer Superman-Unterhose auf die Bühne. Und so komisch wie dieser Mustafà Ildar Abdrazakov hat sich wohl auch noch keiner selbstzufrieden den kugelrunden Bauch gestreichelt!
Auch dem Chor wird darstellerisch einiges abverlangt, auch sie müssen verschiedene skurrile Kostüme tragen und sie machen das beeindruckend und herrlich hemmungslos.
Der Philharmonia Chor Wien, einstudiert von Walter Zeh, singt aber ganz wunderbar! Von Anfang bis Ende agiert er sehr präzise und hochmusikalisch, herrlich spritzig und mit feinem Timing und Witz. Mal klingt er schön weich und lyrisch sanft, mal sehr kraftvoll mit großer Energie und Inbrunst. Auch bei größerem Tempo erklingt bei diesen famosen Herren immer alles auf den Punkt. Der Philharmonia Chor Wien beeindruckt stark in dieser schönen Aufführung!
Das Ensemble Matheus unter der Leitung seines Gründers Jean-Christophe Spinosi vermag an diesem Abend nicht so wirklich zu begeistern.Es agiert solide, doch man wünschte sich die Musik etwas zupackender, spritziger, lebendiger. Bis auf das Finale, in welchem sich das Orchester mit seinen historischen Instrumenten vom allgemeinen Wahnsinn auf der Bühne dann doch ansteckenden lässt, vermag es nicht wirklich mitzureißen. Oft wirkt es etwas zu blass, träge und schleppend.
Wunderbar lebhaft begeistert Luca Quintavalle am Hammerklavier.
Die Inszenierung des Regieteams Moshe Leiser und Patrice Caurier ist überaus gelungen und voller Vitalität. Die Beiden versetzen das Schauspiel in ein Algier der Gegenwart und bringen das Publikum von den ersten Momenten an regelmäßig zum Lachen. Diese Rossini-Oper, 1813 uraufgeführt, wurde wohl in den 205 Jahren seines Bestehens kaum je so witzig interpretiert wie vom Team Leiser/Caurier! Manch ernsteres Gemüt mag einige der zahlreichen die Massen erheiternden Scherze für etwas zu simpel halten. Doch am Ende kriegen die komischen Künstler aus dem Regieteam und auf der Bühne sie alle.
Das Finale explodiert fast vor Skurrilität und bringt dann auch den Letzten zum Lachen, einem tief beglückenden Lachen, das das Publikum dann auch heiter in den schönen Salzburger Abend trägt.
Das Bühnenbild von Christian Fenouillat ist sehr bunt und lebendig, besonders die nordafrikanische Wohnblock-Fassade voller ausgehängter Wäsche und gespickt mit Satellitenschüsseln ist hochcharmant bis ins Detail und enorm atmosphärisch in seiner Wirkung.
Auch die Figuren in den Kostümen von Agostino Cavalca sind sehr liebevoll ausgewählt und geben ihren Figuren oft eine sehr skurrile Note. Die visuelle Charakter-Zeichnung erinnert an die herrlich kauzigen Figuren aus den Wes Anderson-Filmen wie The Royal Tenenbaums, The Grand Budapest Hotel und Moonrise Kingdom. Das ist ein großer Spaß! Unwiderstehlich ist die Übersteigerung im Finale mit einer Mannschaft von Italienern in seltsamen Kitteln mit rosa Gummi-Badekappen auf dem Kopf. Das ist schon zum Brüllen komisch, doch das Regieteam setzt noch einen drauf: Mustafà als frisch gekürter “Pappataci” wird zum König der Witzfiguren –seine rosa Badekappe ziert eine silberne Lametta-Palme als Krone.
Am Ende versinkt die Bühne in herrlichem Chaos und Konfetti-Regen. Auf einem riesigen Spielzeug-Kreuzfahrtschiff fliehen die Italiener zurück nach Europa, mit einem Mustafà und einer Isabella in “Titanic”-Pose am Bug wie einst Leonardo di Caprio und Kate Winslet. Großartig! Die Stimmung im ehrwürdigen Saal erreicht ihren Siedepunkt. Es wurde wohl selten so sehr gelacht in den heiligen Hallen am Fuße des Mönchsbergs.
Das köstlich amüsierte Publikum dankt mit Standing Ovations.
Sebastian Koik, 17. August 2018, für
klassik-begeistert.de