Meyerbeers „Le Prophète“ in Linz: eine düstere Angelegenheit mit musikalischen Lichtblicken

Giacomo Meyerbeer, „Le Prophète”,  Musiktheater Linz, 18. Oktober 2019

Foto: Barbara Palffy (c)
Musiktheater Linz,
18. Oktober 2019
Giacomo Meyerbeer, „Le Prophète”

von Charles E. Ritterband

Heute kaum mehr nachvollziehbar: Mitte des 19. Jahrhunderts hatte Giacomo Meyerbeer weltweit die Spielpläne der großen Opernhäuser beherrscht. Richard Wagner bewunderte ihn – und übergoss ihn mit antisemitischen Schmähungen. Doch allmählich verschwanden Meyerbeers Werke aus dem Repertoire – sie wurden als oberflächlich kritisiert.

Dies ist teilweise nachvollziehbar; Passagen aus dem „Prophète“ erinnern an Jacques Offenbach, bieten aber nicht dessen hinreißende Verve und wirken im Handlungskontext dieser düsteren Oper doch eher deplatziert. Ende des 20. Jahrhunderts begann man sich an den namentlich jedermann geläufigen aber wenig gespielten Komponisten wieder zu erinnern.

Und bei der musikalisch hervorragenden (temperamentvolles Dirigat: Markus Poschner) Aufführung im Musiktheater Linz konnte man die Wucht und schöpferische Kraft seiner Komposition vollumfänglich erleben. Und auch verstehen, wie groß Meyerbeers Durchschlagskraft im Paris des 19. Jahrhunderts, damals dem führenden Opernpodium Europas, gewesen sein muss. Sehr zum Neid und Missfallen Wagners.

Deshalb ist es äußerst verdienstvoll, dass das für eine Stadt dieser Größe phänomenale Musiktheater Linz mit seinen erstklassigen technischen Möglichkeiten und seiner breiten Panorama-Bühne diese wenig gespielte Oper auf den Spielplan gesetzt hat – und uns die seltene Gelegenheit gibt, den Prophète in einer beachtlichen Inszenierung (in einem halbrunden, eisernen Fabrikgebäude aus der Zeit der Industriellen Revolution), anzuschauen. Beachtlich wegen des gewaltigen szenischen Aufwands – doch inhaltlich und szenisch eine düstere, fast depressiv wirkende Angelegenheit. Die Oper wurde 1849 – im Gefolge revolutionärerer und daher blutiger Ereignisse – mit geradezu sensationellem Erfolg uraufgeführt. Sie berichtet von Aufstieg und Fall der sozialrevolutionären Wiedertäufer-Bewegung im 16. Jahrhundert. Ein historisches Stück – doch im Paris jener Jahre brandaktuell und hochinteressant.

Heute wirkt das Geschehen auf der Bühne eher befremdlich. Leichen baumeln von der Decke, ununterbrochen wird eine blutige Axt geschwungen und oft auch entsprechend eingesetzt, es wird gehenkt und geköpft. Die Mutter Fidès (exzellent: Katherine Lerner) wird vom eigenen Sohn Jean, dem selbsternannten Propheten (hervorragende Leistung: Jeffrey Hartman) verleumdet und den Häschern ausgeliefert, die Geliebte Berthe (ausgezeichnet: Brigitte Geller) nimmt Gift; am Ende sprengt Jean das Ganze in die Luft, und die Welt der Niedertäufer geht in einem Flammeninferno unter. Schrecklich und durchaus wie in einem der zahllosen Katastrophenfilme, die uns heute in den Kinos gezeigt werden.

Dieser selbst-stilisierte Prophet war eine höchst ambivalente Figur, und seine blutige Schreckensherrschaft dauerte, Gott sei’s gedankt, nur ein knappes Jahr. Immerhin: schaut man sich die schockierenden Erfolge gewisser Sektenpriester namentlich in den USA an, so hat diese Oper auch heute leider durchaus ihre erschreckende Aktualität. Und diese sollte sich der Zuschauer vor Augen halten und das Stück nicht als ein ziemlich verstaubtes historisches Schauspiel abtun.

Nur: als Oper – an die sich selbst die Wiener Staatsoper seit zwei Jahrzehnten nicht mehr herangetraut hat – ist das Ganze zu lang und zu wenig kompakt, zu repetitiv und vor allem zu düster. Die Handlung ist für uns Heutige, nach rund 170 Jahren, nicht wirklich nachvollziehbar, vielleicht gerade noch für historisch an diesem Thema und jener Epoche Interessierte. Man genießt, zumindest passagenweise, die Musik und bewundert den Gesang – sehnt sich aber zugleich insgeheim nach dem Ende dieser fast drei Stunden beanspruchenden Aufführung.

Die gesanglichen Leistungen waren ebenso wie jene des so vielseitigen, präzisen Bruckner-Orchesters Linz, beachtlich. Der Amerikaner Jeffrey Hartman verleiht dem falschen Propheten eine samtene mehr als stählerne Stimme, rhythmisch manchmal etwas irritierend, aber mit einer durchaus gewinnenden „voix mixte“. Star des Abends war jedoch die heroische Mutter dieses Propheten, Fidès, mit überragender Sicherheit und wohlklingender Stimme selbst in den anspruchsvollen Passagen verkörpert von der amerikanischen Mezzosporanistin Katherine Lerner. Fast könnte man die Oper „La mère du prophète“ nennen, so sehr dominiert diese starke Frau das Stück. Sehr anschaulich hat der Regisseur die komplexe, ödipale Mutter-Sohn-Beziehung herausgearbeitet.

Um nichts stand dieser Fidès die zweite Frauenrolle in dieser Oper, die Berthe, nach – expressiv und mit großer Sensibilität gesungen von Brigitte Geller, die bereits in mehreren prominenten und sehr unterschiedlichen Rollen im Musiktheater Linz zu sehen war. Prägnant und kraftvoll der Chor des Landestheaters Linz unter der souveränen Leitung von Elena Pierini.

Dr. Charles Ritterband, 20. Oktober 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Musikalische Leitung: Markus Poschner
Inszenierung: Alexander von Pfeil
Bühne: Piero Vinciguerra
Kostüme: Katharina Gault
Chorleitung: Elena Pierini
Jean de Leyde („Prophet“) Jeffrey Hartman
Zacharie: Dominik Nekel
Jonas: Matthäus Schmidlechner
Mathisen: Adam Kim
Graf von Oberthal: Martin Achrainer
Fidès: Katherine Lerner
Berthe: Brigitte Geller
Erster Wiedertäufer: Jonathan Whiteley
Zweiter Wiedertäufer: Markus Raab
Chor des Landestheaters Linz
Extrachor des Landestheaters Linz
Kinder- und Jugendchor des Landestheaters Linz
Statisterie des Landestheaters Linz
Bruckner Orchester Linz

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Musiktheater Linz, 18. Oktober 2019“

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