Haben wir uns gut unterhalten gefühlt in der Hölle dieser göttlichen Komödie? Und wie!

Giacomo Puccini, Il Trittico Deutsche Oper Berlin, 14. Dezember 2023

Foto: Galoyan © Eike Walkenhorst

Giacomo Puccini
Il Trittico

Musikalische Leitung: John Fiore
Regie: Pinar Karabulut
Bühne: Michela Flück
Kostüme: Teresa Vergho

Il Tabarro

Michele                        Misha Kiria
Luigi                              Mikhail Pirogov
Il Tinca                         Burkhard Ulrich
Il Talpa                        Andrew Harris
Giorgetta                    Carmen Giannattasio
La Frugola                  Natalie Lewis                Un venditore di canzonette    Andrei Danilov
Due amanti                Lilit Davtyan, Andrei Danilov

Suor Angelica

Suor Angelica              Maria Motolygina
La Zia Principessa     Lauren Decker
La Badessa                    Nicole Piccolomini
La Suora Zelatrice      Natalie Lewis
La Maestra delle Novizie   Davia Bouley
Suor Genovieffa           Lilit Davtyan
Suor Osmina                  Stephanie Lloyd
Suor Dolcina                  Gyumi Park

Gianni Schicchi

Gianni Schicchi              Misha Kiria
Lauretta                             Lilit Davtyan
Zita                                       Natalie Lewis
Rinuccio                             Andrei Danilov
Gherarado                         Burkhard Ulrich
Nella                                     Karola Pavone
Betto di Signa               Christian Simmons
Simone                               Andrew Harris
Marco                                  Artur Garbas
La Ciesca                  Oleksandra Diachenko
Maestro Spinelloccio         Jörg Schöner
Ser Amantio di Nicolao     Kyle Miller
Buoso Donati           Wanderson Wanderly

Orchester, Chor, Kinderchor und Statisterie der Deutschen Oper Berlin

Deutsche Oper Berlin, letzte Aufführung in der laufenden Spielzeit am 14. Dezember 2023

von Sandra Grohmann

Was war noch einmal Il Trittico? Das Zusammentreffen nicht allein von Himmel, Erde und Hölle. Sondern auch von La Bohème, Verdis Don Carlo, etlichen Spätromantikern und Impressionisten, einigen Jazzanklängen, Strawinsky, Beethoven, Charles Dickens’ Pickwick sowie Dante Alighieris Göttliche Komödie. Und sicherlich noch weit mehr. An einem einzigen Opernabend!

Welchen Zusammenhang die drei Stücke hätten, die sich hier zu einem Triptychon zusammenfinden, darüber rätselt die Welt seit der Uraufführung 1918. Dass geliebt und gestorben wird, genügt nicht.
Damit ließen sich 99% der Opernliteratur zu einer Einheit erklären. Paradigmatisch soll indes nichts weniger als dies geschehen: Der auf drei Einakter verteilte Dreiklang bringt ein Welttheater auf die Bretter, auch indem das Tragische, das Lyrische und das Komödiantische an sich thematisiert werden. Dieser Herausforderung muss sich jede Regie stellen.

Regisseurin Pinar Karabulut denkt vom Ende, vom Gianni Schicchi her. Das ist konsequent, weil jede gute Komödie gruseliger ist als jede Tragödie. So auch hier. Es handelt bei sich bei Schicchi um eine bitter bestrafte Figur aus Dantes Göttlicher Komödie, die für eine spitzbubenhaft ausgeführte Erbschleicherei grausam bestraft wird. Die Bestrafung sieht man in der Fassung von Puccini nicht, er zeigt das Bubenstück selbst, und zwar mit einem riesigen Augenzwinkern, das vom Orchester unentwegt munter in groteske Töne gesetzt wird.

Es handelt sich um die beste Inszenierung des Abends, weil das Geschehen der Musik auf der Bühne ein Echo findet: Die habgierige Verwandtschaft in sorgsam ausgearbeiteten Kostümen mit Buckeln, hochgezogenen Schultern und einer großartigen Maske einschließlich wahnsinniger Perücken sind Leute, die sich aus der Commedia dell’Arte-Familie ableiten und in ihrer Plakativität außerdem deutlich an Comicfiguren erinnern, vielleicht auch ein wenig an die Addams Family.

Fotos © Eike Walkenhorst

Die Gruppe aus Onkeln, Tanten und Neffe ist herrlich überzeichnet und agiert in jeder Sekunde genau auschoreografiert. Dass mein Kollege Sommeregger in der Premiere den Zauber dieser Überzeichnung nicht zu sehen vermochte (https://klassik-begeistert.de/giacomo-puccini-il-trittico-deutsche-oper-berlin-premiere-am-30-september-2023/) und auch nicht die Entsprechung in der Musik entdecken konnte, tut mir ausgesprochen leid für ihn.

Meine Begleiterin und ich hatten großen Spaß daran, und auch dem grotesken Plot des Stückes war die Umsetzung völlig angemessen. Dass außerdem durchgehend gut gesungen wurde – der von Lilit Davtyan, einer Stipendiatin der Manfred-Strohscheer-Stiftung, zart und weich, wenn auch nicht besonders strahlend vorgetragene Schlager „O mio babbino caro“ summte natürlich noch durchs Treppenhaus, als alle schon den Garderoben zustrebten – und dass vor allem Misha Kiria die Titelpartie wunderbar ausspielte und -sang und mit Andrei Danilov als Rinuccio ein respektabler Tenor die liebe Verwandtschaft überredet, Schicchi zu Hilfe zu rufen, machte den auf Dante basierenden Spaß zu einer rundum gelungenen Sache. Dante und Spaß! Aber so ist das eben in Göttlichen Komödien.

Die Rückbeziehung von Dante auf den grausigen ersten Einakter, Il tabarro (Der Mantel), zeigt sich im Wesentlichen dadurch, dass über der Bühne das „Lasciate ogni speranza, voi ch’entrate“ in gebogenen Neonröhren hängt, die gegen Ende dieses Stückes aufleuchten. Was soll man sagen. Diesen Spruch könnte man natürlich über die meisten Tragödien pappen. So auch über diese, deren Inhalt ich immer wieder schnell vergesse, weil ihr Plot so grässlich wie unoriginell ist: Ein liebendes Paar, das mit einem Lastkahn auf der Seine sein Geld verdient, entfremdet sich nach dem Tod des gemeinsamen Kindes, worauf hin die Frau sich einen Liebhaber nimmt, den der Ehemann ermordet. Einzig originelle Idee: Sie kümmert sich am Ende schlicht gar nicht um den toten Lover, sondern verschwindet unter dem Mantel des Ehemannes. Geheimnisvoll, geheimnisvoll.

Von Seine-Kahn und Lokalkolorit ist in der Inszenierung indes nichts zu sehen, immerhin ein seichtes Wasserbecken von einigem Ausmaß deutet den Schauplatz der Handlung an. Grundsätzlich bin ich ja ein Fan von abstrahierenden Inszenierungen, doch hier endet das Sammelsurium von Riesen-Requisiten, die das Bühnenbild ausmachen und in der Suor Angelica auch ihren Sinn erhalten werden, in belangloser Beliebigkeit.

Galoyan © Eike Walkenhorst

Kein Kahn, kein nahes Paris, kaum eine Andeutung des Orts der Handlung. Das ist schade, weil die Musik sich mit den Zitaten aus La Bohème und der lautmalerischen Wiedergabe der Großstadtgeräusche auch auf das Schiff und sein Wiegen bezieht und nun keinen Halt auf der Bühne findet. In einem sei es auch noch so düsteren Planschbecken wiegt sich nun einmal nichts. Und ein Hieronymus-Bosch-Berg hat mit Stadt nichts zu tun. Nachvollziehbar ist allerdings, dass mit einigem Mobiliar die Verbindung zu den anderen beiden Stücken versucht wird – so schön wie naheliegend auch, dass das Liebespaar des Schicchi hier bereits in derselben Besetzung als Due amanti auftritt.

Immerhin: Die Stimmen sind durchweg gut hörbar. Wie später im Gianni Schicchi überzeugt auch schon im Mantel besonders Misha Kiria als massiger Ehemann mit seinem brummigen, ruhigen, durchdringenden Bariton. Dass ausgerechnet in einer Oper einem der Hauptprotagonisten von der anderen Hauptfigur – hier Carmen Giannattasio als sauber singende, wenn auch nicht mitreißende Giorgetta – erst einmal Schweigen vorgeworfen wird, lässt sich als paradoxe Pointe oder Schwäche des Stücks interpretieren. Bleibt nur noch festzustellen, dass Mikhail Pirogov als Luigi ein gut hörbarer Tenor ist, wenn seine Stimme auch nicht ohne Verlust bis in die letzte Reihe getragen haben dürfte.

Von der Tragik zur Lyrik: Suor Angelica steht im Zentrum eines musikalischen Wimmelbildes, das die Regie als genau solches auch umgesetzt hat. Die auf der Bühne verbliebenen Dinge – wie Berg, Tor, Hölle, Tribüne – dürfen jetzt, passend zur vom Bühnenbild explizit zitierten Hieronymus-Bosch-Welt des christlichen Sündenkosmos, die komplexe und widersprüchliche Welt einer klösterlichen Frauengemeinschaft bebildern.

Sehr erfrischend, dass einmal nicht die üblichen Nonnengewänder nachgeschneidert wurden und auf die sattsam ausgebeutete christliche Ikonographie fast ganz verzichtet wird. Man muss die Mondsichel-Symbolik und die zarten grünen, an feenhafte Florfliegen erinnernden Gewänder nicht mögen, man muss auch die neuerfundenen Gesten der Frauen nicht gutheißen, aber sie zeigen jedenfalls, dass es hier nicht um die Anklage der Kirche geht, sondern um urmenschliches Verhalten, in welchem Gewand auch immer es daherkommt. Andererseits, zugegeben, die Bezugnahme des Librettos auf christliche Traditionen findet in der Bühne wieder wenig Widerhall.

Mehr als in Il tabarro überzeugen hier noch die Stimmen. Insbesondere Maria Motolygina in der Titelpartie und Lauren Decker als fürstliche Tante liefern sich ein stimmgewaltiges Duell. Es erinnert, auch durch die dunkle Untermalung des Orchesters, ein wenig an die (freilich noch viel erschütterndere) Auseinandersetzung zwischen Philipp II. und Großinquisitor in Verdis Don Carlo. Die Tante überfällt hier nicht nur in donnerndem Rot und mit anbetungswürdigen langen weißen Handschuh-Fingern in grandioser Personenregie die zarte grüne Frauen-Feen-Welt. Sie bricht mit ihrem massigem Alt-Solo in die filigrane Sopran- und Mezzo-Welt ein und zerstört das Leben ihrer Nichte endgültig mit der lapidaren Mitteilung, dass deren nichtehelicher Sohn übrigens trotz aller Mühen gestorben sei. Über das eigentliche Anliegen der Tante – dass die Nichte zugunsten ihrer Schwester auf ihr Erbteil verzichte – muss dann wegen der folgenden Selbsttötung Angelicas gar nicht mehr verhandelt werden.

Schlicht, Bachtadze, Ulrich Manganello © Eike Walkenhorst

Auch alle Schwestern sind bestens disponiert. Wie später im Schicchi als Zita sticht hier Natalie Lewis als Suora Zelatrice hervor, Stipendiatin der Opera Foundation New York. Dass an diesem Abend insgesamt vier Stipendiaten auf der Bühne stehen, ist auf den Brettern der Deutschen Oper Berlin längst keine Ausnahme mehr und sehr erfreulich.

Die Schwestern treten im Schicchi schließlich noch einmal auf, als alles schon gelaufen ist. Das Welttheater findet seinen Abschluss im Zusammentreffen des Tragischen, Lyrischen und Komödiantischen. Und dies in einer ganz eigenen Optik: Die Inszenierung mag keine Jahrhundertmaßstäbe setzen, erfreulich ist sie im großen und ganzen aber doch. Und die Stimmen waren gut hörbar bis wunderschön.

Haben wir uns – so fragt Gianni Schicchi am Ende des Abends – also gut unterhalten gefühlt? Und wie!

Sandra Grohmann, 16. Dezember 2023, für
klassik-begeistert.de un klassik-begeistert.at

Giacomo Puccini, Il Trittico, Wiener Staatsoper, 4. Oktober 2023, Premiere

Giacomo Puccini, Il Trittico Deutsche Oper Berlin, Premiere am 30. September 2023

Blu-ray: Giacomo Puccini, Il Trittico, Wiener Philharmoniker, Franz Welser-Möst klassik-begeistert.de, 4. August 2023

Italienische Opernwochen 2023, Giacomo Puccini „Il trittico“ Staatsoper Hamburg, 31. März 2023

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