Grigory Shkarupa (Jake Wallace) und Ensemble. Foto: © Martin Sigmund
Puccinis „La fanciulla del West“ in der Berliner Staatsoper
Ein bisschen Wildwest-Romantik darf schon sein: In gelb, orange und braun leuchtet die Prärie, die riesige Leuchtreklame einer Nackttänzerin verspricht das erotische Paradies, neben einem ausgestopften Bison und einer Imbissbude tanzt, sauft und zockt eine Meute aggressiver Männer mit Cowboy-Hüten.
von Kirsten Liese
Die Berliner Staatsoper bringt als erste Premiere, die wieder ein Publikum erleben darf, Puccinis selten gespielte Oper „La fanciulla del West“. Zu erleben ist ein allemal spannender Opernkrimi, an dessen Ende man sich verwundert fragt, warum er noch heute ein Schattendasein in den Spielplänen fristet. Dass er arm ist an lyrischen Arien, mag eine Erklärung dafür geben, der Reiz aber liegt in einer ungeheuren Dramatik und Klangwelt, die bereits an die eisige „Turandot“ rührt.
Kaum hat sich der Vorhang geöffnet, baumelt jemand an einem Strick und ein bettelndes Kind wird genötigt, sich den Gelynchten noch einmal anzuschauen. Es wird nicht die einzige Gewaltszene bleiben, die an einen Western-Klassiker wie „Spiel mir das Lied vom Tod“ erinnert, und doch beschert das Melodram um eine mutige Frau, die vom Sheriff begehrt wird, sich aber ausgerechnet in einen Verbrecher verliebt, einen gänzlich anderen Puccini mit Happy-End.
Die Qualitäten von Lydia Steiers Personenregie kommen vor allem im zweiten Akt zum Tragen, wenn die Massenszenen aus dem ersten einem Kammerspiel weichen. Auf wenigen Quadratmetern in einem stark verkleinerten Aktionsraum (Bühne und Ausstattung: David Zinn) entwickelt die amerikanische Film- und Opernregisseurin sehr dicht mit ihren Protagonisten emotionale Achterbahnfahrten zwischen Leidenschaft, Eifersucht und hochdramatischen Kämpfen um Leben und Tod.
Als ein wirksamer, atmosphärisch starker Einfall erweist es sich, dass der Schneesturm, der das emotionale Drama begleitet, noch über den zweiten Akt für gefühlte zehn Minuten ohne Musik hinaus geht, und zwar als eindrucksvolle Videoprojektion in 3D mit authentischer Geräuschkulisse.
Schade nur, dass Steier nicht frei davon ist, sich politisch anzubiedern. Zwei indigene Figuren fallen wegen vermeintlichem Rassismus einfach unter den Tisch, an ihrer Stelle spielen Heroinsüchtige mit, und aus dem Kellner Nick wird – aus Gründen einer Diversity-Agenda (?) – ein Transsexueller in Frauenkleidern.
Mit den großen Stimmen, die es für die Oper braucht, bei deren New Yorker Uraufführung der legendäre Enrico Caruso von der Partie war, kann die Berliner Staatsoper aufwarten:
Michael Volle ist ein beinharter und rasend eifersüchtiger Jack Rance, der seinen mächtigen Bariton mit zynischer Brutalität einsetzt. Marcelo Álvarez empfiehlt sich mit ebenso großer Strahlkraft, geradliniger Stimmführung und betörendem Schmelz als ein Vorzeigetenor.
Anja Kampe gestaltet die Titelrolle intensiv mit großer Bühnenpräsenz, kämpft sich allerdings recht angestrengt durch die hohen Register ihres Parts.
Ein bisschen mag daran allerdings auch das Orchester seinen Teil haben, das unter der Leitung von Sir Antonio Pappano überwiegend sehr laut musiziert. Nur einmal baut der Brite mit italienischer Staatsbürgerschaft im Piano düstere Spannung auf, beim Tremolo in den tiefen Streichern nach dem entscheidenden Pokerspiel zwischen Minnie und Sheriff, das sie mit Hilfe einer Falschkarte gewinnt.
Im dritten Akt wird es dann nochmal richtig heftig, rennen gar brennende Menschen durch die Szene, bevor Minnie gerade noch rechtzeitig erscheint, um ihren Liebsten zu retten.
Danach hieß es erst einmal tief durchatmen, was angesichts der vorgeschriebenen FFP2 Maske kein Leichtes ist. Andernfalls hätte der begeistere Beifall sicher noch länger angehalten, gelang doch trotz einiger Abstriche eine der besten Neuproduktionen der vergangenen Jahre.
Kirsten Liese, 14. Juni 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Wagner, Lohengrin Staatsoper Unter den Linden, Berlin Stream bis zum 15. Januar 2021
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