"Madama Butterfly" mit Kristīne Opolais an der Wiener Staatsoper - ein seltener Gast

Giacomo Puccini, Madame Butterfly, Wiener Staatsoper, 16. September 2019

Fotos: © Michael Pöhn
Giacomo Puccini, Madama Butterfly, Wiener Staatsoper,
16. Oktober 2019

von Lothar und Sylvia Schweitzer

Noch ein ängstlicher Blick auf den Anschlag, bevor wir die schwere Tür zum Foyer der Wiener Oper öffnen. Erleichterung. Kein roter Zettel! Kristīne Opolais hat nicht – wie manchmal in München – abgesagt. Sie ist in Wien selten zu erleben. In elf Jahren sang sie zwischen 2008 und 2013 sieben Male die Mimi, dann erst wieder im September 2016 in einer nur dreiteiligen Staffel die Cio-Cio-San. Wir lernten die Künstlerin im Herbst 2007 in Riga als Micaëla kennen und schätzen. Nun wollten wir uns nach unserer Wiederbegegnung mit ihr als Tosca, die sie zweimal im Jänner dieses Jahres in unserem Haus als Verliebte und nicht als Diva verkörperte, ein Bild machen, ob sie wirklich die typische Puccini-Sängerin ist, auf die sie seit drei Jahren mit Ausnahme einer Rusalka international eingeschworen ist. Erst im Mai nächsten Jahres kommt eine Adriana im Teatro Comunale di Bologna.

Aber so richtig entspannt zurücklehnen darf man sich erst beim Erscheinen des Dirigenten. Der gefürchtete Lichtkegel vor dem noch geschlossenen Vorhang beginnt zu leuchten. Nein, nicht der Tenor, der Bariton oder der Mezzosopran, Kristīne Opolais wird wegen einer Erkältung angesagt. Wir versuchen uns während der ersten Takte zu trösten. Die hohe Schule der Gesangskunst lernt man an einer Sängerin oder einem Sänger kennen und schätzen, wenn sie oder er in einer schon lange nicht gesungenen Partie einspringen muss oder an einer erkältungsbedingten Indisposition leidet. Außerdem gibt es das, was wir Emanation nennen: das Unverwechselbare einer Person die mittels Stimme uns berührt.

Zunächst treten drei Männer auf. Von Herwig Pecoraro, dem Mime des Hauses, hatten wir auch als Goro mehr Präsenz erwartet. Vom Pinkerton des Abends, Ivan Magrì, bekamen wir den Eindruck eines Tenorinos. Im Schlussduett mit seiner Butterfly am Ende des Ersten Akts vergibt er das Ungestüme und Drängende seines „Vieni, vieni!“ gegenüber seiner verträumten Butterfly. Sind der Marineleutnant Pinkerton und der Konsul Sharpless große oder mittlere Rollen? Mein erstes Butterfly-Erlebnis war ein Opernfilm Mitte der Fünfzigerjahre. Von diesem beeinflusst finden wir die heikle Aufgabe des Konsuls interessanter. Aber dazu gehört eine Persönlichkeit ersten Ranges, die Paolo Rumetz stimmlich und darstellerisch gänzlich fehlt. Auch wenn der Konsul um einiges älter als ein Marineleutnant zu sehen ist, so alt wie hier dargestellt, muss er sich nicht geben. Da bleiben in der gleichen Regie und Ausstattung (Josef Gielen und Tsugouharu Foujita) Giuseppe Zampieri und Rolando Panerai mit ihrer Lebendigkeit in vorbildhafter Erinnerung. Erlebt im Frühjahr 1958.

Als wir vor fünf Jahren Monika Bohinec als Fremde Fürstin in „Rusalka“ hörten, glaubten wir, hier reife eine neue Lipovšek heran. Ihr volltönender Mezzosopran/Alt wurde an dem Abend einige Male durch rauen Klang unterbrochen. Auch in der Tiefe hatten wir noch mehr Sattheit erwartet. Im kurzen Duett des Ersten Teils des Zweiten Akts „Seminiamo intorno april“ mussten wir uns eingestehen, dass Frau Bohinec als Suzuki einige Konkurrenz im Hause hat.

© Michael Pöhn

Als bang erwartet im Ersten Akt Kristīne Opolais mit den Frauen erscheint (der Chor der Wiener Staatsoper stand unter der Leitung von Martin Schebesta), werden wir beruhigt. Es scheint sich nur um einen „Streifschuss“ zu handeln. Kann sein, dass ihr wegen der Erkältung einige wenige Spitzentöne im Lauf des Abends nicht voll zu Gebot standen. Der Vorteil dieser typischen Repertoirevorstellung einer lange nicht mehr neu einstudierten Inszenierung ist, die Protagonistin kann aus ihrer langjährigen Rollenerfahrung schöpfen. Im Gegensatz dazu nutzten das die Herren Pinkerton und Sharpless nicht und standen oft hilflos herum. Haben wir auf unsre mehr als ein halbes Jahrhundert alte Inszenierung stolz zu sein? Wir sind davon überzeugt, dass ein neuer Blickwinkel angebracht wäre. Cio-Cio-San ist eine integrationswillige Japanerin, deren erfolgreiche Anpassung von Pinkerton abgelehnt wird. Das könnte eine neue Inszenierung mit reizvollem Kontrast zu ihrer Dienerin Suzuki herausarbeiten. In einer früheren Rezension gingen wir sogar so weit und schlugen vor, das Thema neu in der Art von Schönbergs „Erwartung“ zu komponieren. Bei Opolais´ Gestik und Rollengestaltung nahmen wir diese Idee wieder zurück. Sie spielte hervorragend, im späteren Verlauf mit ungewohnt gelöstem Haar, und viel intensiver als je zuvor erlebt, eine Frau, die eigentlich an einer Obsession leidet.

Jonathan Darlington leitete das Orchester der Wiener Staatsoper. Vor zwei Jahren verstand er es nicht, den SängerInnen einen Klangteppich zu unterlegen. Dieses Mal fing er die Stimmungen vor allem im Zweiten Akt berührend ein.

Wir haben an unseren geschätzten etwa zwanzig Butterfly-Abenden noch nie einen gewaltigen Onkel Bonze gehört. Alexandru Moisiuc enttäuschte wie seine Vorgänger. Der Fürst Yamadori wurde diesmal mit Hans Peter Kammerer mit der Klangfarbe eines Baritons besetzt. Der im Aufbau stehende junge ukrainische Bariton Igor Onishchenko vermochte der schicksalshaften Episode seines Wirkens als kaiserlicher Kommissär nicht genügend stimmlichen Nachdruck zu verleihen. Die Rolle der Kate Pinkerton wurde im Lauf der Entstehungsgeschichte immer mehr bis zur Kleinstpartie gekürzt. Schade, denn auf Lydia Rathkolb werden wir immer wieder gerne aufmerksam. Es ist interessant, dass bei dieser winzig gewordenen Rolle mit „geringem Ausschlagwinkel“, um einen Ausdruck Rilkes auszuleihen, verschiedenste Eindrücke vermittelt werden können. Bei einer anderen Rollenbesetzung bekamen wir das Gefühl, dass Cio-Cio-Sans Sohn einer guten Ersatzmutter anvertraut wird.

Wie aus unsrem Bericht hervorgeht, hätten wir aufgrund der zahlreichen dem „hohen Haus“ nicht entsprechenden Leistungen den Abend als verloren betrachtet, wenn sich Frau Opolais nicht entschlossen hätte, doch zu singen.

Lothar und Sylvia Schweitzer, 17. Oktober 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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