Die rumänische Sopranistin Angela Gheorghiu rief mit ihrer sängerisch und schauspielerisch überragenden Tosca an der Londoner Royal Opera Begeisterungsstürme hervor. Ihr Landsmann und kongenialer Partner, der Tenor Stefan Pop, in seinem Aussehen fast eine Art Wiedergänger des unsterblichen Luciano Pavarotti, meisterte die Partie des Malers Mario Cavaradossi mit Bravour und überragender stimmlicher Stärke und Schönheit. Die rumänischen Hauptdarsteller ernteten minutenlangen Applaus und enthusiastische „Brava“ und „Bravo“ – Rufe aus dem begeisterten Publikum in einem der schönsten und berühmtesten Opernhäuser weltweit. Als grandioser Bösewicht, stimmlich geradezu überwältigend und darstellerisch herausragend, der Baron Scarpia des deutschen Baritons Michael Volle. Orchester der Royal Opera in dramatischer Höchstform – unter der sensiblen und zugleich temperamentvollen Stabführung von Marco Armiliato, dessen glanzvolle Laufbahn mit Stationen an allen großen Bühnen der Welt von der „Met“, über die Wiener Staatsoper, der Opéra Paris, der Bayerischen Staatsoper, dem Opernhaus Zürich bis zur Arena di Verona zahllose Höhepunkte aufweist.
Foto: Staatsoper Hamburg ©
Royal Opera House Covent Garden, 8. Februar 2022
Giacomo Puccini „Tosca“ (Libretto Giuseppe Giacosa und Luigi Illica),
von Dr. Charles E. Ritterband (Text und Foto)
Dies war die wohl perfekteste „Tosca“ meiner jahrelangen Laufbahn als Opern-Liebhaber und Rezensent: klassisches, realistisches und überaus detailreiches Bühnenbild (Paul Brown), das insbesondere das Intérieur der Römer Basilika Sant’Andrea della Valle und den pompösen (und zugleich infernalischen Amtssitz) des Polizeichefs Scarpia im Palazzo Farnese wiedergibt. Die schauspielerischen Leistungen mit ihren zahllosen stimmigen Feinheiten, die überragenden sängerischen Leistungen sämtlicher Darsteller. Das grandiose Orchester unter der souveränen Stabführung des großartigen Marco Armiliato, das die sensiblen Gefühle der Tosca und Marios mit großer Feinfühligkeit und ebenso den Machtrausch des Scarpia und die überwältigende, mit der staatlichen Machtdemonstration durchtränkte Kirchenmusik samt Choral und Orgel intonierte.
Es war, wie mir gesagt wurde, bereits die zehnte Wiederaufnahme der Inszenierung des britischen Regisseurs Jonathan Kent aus dem Jahr 2006. Der jungen britischen Regisseurin Lucy Bradley sei an dieser Stelle ein Kränzlein gewunden – selten werden die Regisseure von Wiederaufnahmen gewürdigt, doch diese „Tosca“ war derart vital und kraftvoll, als wäre die Premiere erst gestern gewesen – gratuliere!
Es war, trotz der herausragenden Leistungen des Tenors Stefan Pop mit raumfüllender stimmlicher Stärke und warmen tenoralem Schmelz, ganz entschieden der Abend der Angela Gheorghiu. Ich hatte das Privileg, Angela bereits in meiner Zeit als London-Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung Ende 80er und während der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts an eben diesem Haus persönlich kennenzulernen.
Damals war es ihr Debut als „Traviata“ und ich fand schon damals, dies war eine der führenden Verkörperungen dieser Rolle der Gegenwart. Inzwischen ist die Gheorghiu über sich selbst hinausgewachsen, und diese Tosca war einfach phänomenal. Selten gibt es Auftrittsapplaus für einen Sänger – diesmal war es so: Einige Fans, die ganz unverkennbar wegen Gheorghiu in diese Aufführung gekommen waren, hießen sie bei ihrem ersten Auftritt im ersten Akt mit Applaus willkommen – was zwar störte, aber dennoch herzerwärmend war. Ihre große Arie „Vissi d’arte“ vor der dramatischen Zuspitzung, dem Tyrannenmord, im zweiten Akt ist unbestreitbar das Herzstück dieser Oper – und es erntete, interpretiert von Gheorghiu, minutenlangen Applaus und „Brava“-Rufe. Doch der Beifallssturm erhob sich erneut im dritten Akt, nach der kurzen aber berühmten Abschiedsarie de Mario Cavaradossi aus dem dritten Akt, „E lucevan le stelle“, die Stefan Pop mit viel Schmelz, Wärme und Einfühlsamkeit interpretierte.
Und dem Bösewicht, Baron Scarpia, verlieh der deutsche Bariton Michael Volle in seiner großen Arie über die erotisch-sexuellen Fantasien des Polizeichefs all die hintergründige Bosheit und Machtbesessenheit, welche diese Rolle erfordert. Ein perfektes Zusammenspiel der drei Hauptakteure, wie man es selten in dieser Vollkommenheit selbst an den führenden Bühnen zu sehen und zu hören bekommt. Überzeugend, darstellerisch und stimmlich, der Cesare Angelotti des Südafrikaners Chuma Sijega. Stimmlich nicht weniger ausgezeichnet der Sakristan des rumänischen Bassisten Alexander Köpeczi – wenn ich einen Einwand zur Besetzung hätte, dann diesen: der Sakristan ist unbestritten eine komische Figur, der shakespearische „Comic Relief“ (die „komische Erleichterung“) vor den blutigen Ereignissen die folgen und vor allem vor der musikalischen Explosion der staatlichen und kirchlichen Macht als harter Kontrast nach den unschuldigen Freudentänzen der Chorknaben angesichts des (vermeintlichen) Siegs über Napoleon bei Marengo. Der Sakristan ist eine „lustige“ Figur – aber Alexander Köpeczi war für diese Besetzung allzu gut aussehend, ein stattlicher junger Mann, statt, wie sonst üblich, ein schrulliger Alter, der über die mangelnde Respektierung der „Santi“, der Heiligen, vor sich hin brabbelt…
Dr. Charles E. Ritterband, 9. Februar 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Dirigent: Marco Armiliato
Inszenierung: Jonathan Kent
Regisseur der Wiederaufnahme: Lucy Bradley
Designer: Paul Brown
Tosca: Angela Gheorghiu
Mario Cavaradossi: Stefan Pop
Baron Scarpia: Michael Volle
Cesare Angelotti: Chuma Sijega
Sakristan: Alexander Köpeczi
Hirtenknabe: Alfie Davis
Chöre: William Spaulding
Chor und Orchester der Royal Opera
Giacomo Puccini , Tosca, Angela Gheorghiu, Staatsoper Hamburg