Mit dieser „Tosca“ bestätigt die Wiener Staatsoper ihre weltweite Spitzenstellung – auch dank Sonya Yoncheva und Ambrogio Maestri

Giacomo Puccini, Tosca  Wiener Staatsoper, 21. Mai 2021

Wiener Staatsoper, 21. Mai 2021
Giacomo Puccini, Tosca

Foto: Sonya Yoncheva und Ambrogio Maestri, Michael Pöhn ©

von Andreas Schmidt

Allein ihr „Vissi d’arte…“ war den Eintritt zehnfach wert.

Wer diese Ausnahmeerscheinung, diese Primadonna assoluta, am Freitagabend in der Wiener Staatsoper in der Jahrtausendoper „Tosca“ von Giacomo Puccini erleben durfte, wurde Zeitzeuge eines musikalischen Ausnahmeerlebnisses.

Sonya Yoncheva als Tosca in Wien: Hier singt eine Sopranistin auf dem Höhepunkt ihrer Schaffenskraft, hier offenbart sich stimmliche Vollkommenheit und Genauigkeit und paart sich mit spielerischer Freude.

Sonya Yoncheva war an diesem Abend stimmlich umwerfend, sinnlich, weich, aber auch kapriziös, manchmal mit angenehmer Schärfe in den Eifersuchtsszenen. Das „Vissi d’arte“ hatte an Wärme und Wohlklang nicht seinesgleichen.

„In der Tosca habe ich bei Sonya Yoncheva immer den Eindruck, sie spielt sich selbst und ihre Erscheinung wird der großen Diva ja auch wahrhaftig gerecht“, sagte eine Opern-Begeisterte. „Sie ist eindeutig die schönste Tosca, die ich kenne. Sie ist für mich die einzige Sängerin, die zur Zeit das Prädikat ‚Primadonna assoluta‘ verdient.“

Beeindruckend agierte auch der italienische Bariton Ambrogio Maestri, wie auch schon klassik-begeistert.de-Autor Ulrich Poser festgestellt hat. Meister Maestri hat an diesem Abend nicht nur stimmliche Maßstäbe gesetzt. Er hat die Rolle des Scarpia unter maximalem körperlichen Einsatz auch glänzend und mit Liebe zum  Detail gespielt. Seine Darbietung war aufopfernd. Er sang und spielte den Scarpia jedoch nicht nur, er war an diesem Abend Scarpia. Alles in allem war das die ganz große Ambrogio-Maestri-Show; Weltklasse in Wien! Maestris Scarpia und sein Falstaff sind die besten und beeindruckendsten, die derzeit auf diesem Planeten zu hören sind. Mit einer mächtigen Stimme baritonalen Wohlklangs artikuliert er die Feinheiten seiner Partie auf höchstem sängerischen Niveau: Wandlungsfähig, dynamisch und glasklar brilliert er hier in einer seiner Paraderollen.

Treffen beim Italiener Trattoria da Enzo, Wexstraße 34 in Hamburg-Neustadt: klassik-begeistert.de-Herausgeber Andreas Schmidt, der italienische Bariton Ambrogio Maestri und Entlebucher Sennhündin Juli, 20. Januar 2020

Kommen wir nun zu einem der Publikumslieblinge in der Wiener Staatsoper: Piotr Beczała, der unglaublich sympathische Pole. Er hat, wenn er frei und frisch singt, wirklich das ganz besondere, elektrisierende Timbre. Dieses schimmerte auch immer wieder durch an diesem großen Abend. Unglaublich: Wie auch einst bei Jonas Kaufmann applaudierte das Wiener Publikum so lange, dass der Tenor – während der Aufführung – eine Zugabe zu der zauberhaften Arie „E lucevan le stelle“ (italienisch für: „Und es leuchteten die Sterne“) gab. Er sang die Arie bei zweiten Mal auch wirklich sehr, sehr schön, besonders einfühlsam im mittleren und tiefen Register, mit gaaaaanz viel Gefühl. Was ihm indes (nicht bei der Reprise) fehlte, war eine selbstverständliche, entspannte, freie, tenorale Strahlkraft.

Piotr Beczała , Sonya Yoncheva. Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Mchael Pöhn

Immer wieder wurde an diesem Abend deutlich, dass Beczała nicht locker singt in den Höhen wie etwa seine Mitstreiterin Sonya Yoncheva. Beczała muss immer wieder arbeiten, „hackeln“, wie man in Wien sagt, sich richtig anstrengen, pressen, eng machen. Auch seine „Vittoria! Vittoria!-Rufe“ sang er anfangs mit enger Kopfstimme leicht von unten an – dann aber gerieten sie aber zu einem Fanal unendlicher Stärke und Vollkommenheit.

Piotr Beczała bekam an diesem Abend vom „seinem Publikum“ ganz ganz viele Bravi !!! und ein paar Buhs.

Das Orchester der Wiener Staatsoper unter Axel Kober spielte: magisch – merci!

Der ganze Abend war ein beeindruckendes Zeugnis von der weltweiten Spitzenstellung des Wiener Hauses am Ring.

AutorInnen von klassik-begeistert.de haben den Star des Abends, die Bulgarin Sonya Yoncheva, mehrfach gehört. Jedem Klassik-Liebhaber sei es empfohlen, diese Ausnahmesängerin baldmöglichst zu erleben. Zusammen mit ihrem Ehemann, dem Dirigenten Domingo Hindoyan, hat sie einen Sohn und eine Tochter.

Dr. Holger Voigt:„Für Sonya Yoncheva war es eine Zelebration ihres derzeitigen Stimmvermögens, eine Demonstration höchster Gesangskunst. Verblüffend, wie leicht ihr die hellen, hoch und beweglich angelegten Partien gelangen, wo doch ihre wahre Stärke in den „tiefer gelegten“ dramatischen Partien zu liegen scheint, deren Forte und Fortissimo-Anteile unvergleichlich kraftvoll von ihr gesungen werden können – hier scheidet sich ja oft die Spreu vom Weizen, und vielen anderen Sängerinnen geht dort die Luft aus.

Was Sonya Yoncheva hier erklingen ließ, hat eine nicht zu übertreffende Präsenz, Eindringlichkeit und Dramatik, wie man es früher nur bei einer Maria Callas hören konnte. Vergleiche mit früheren oder kontemporären Sängern und Sängerinnen sind immer arbiträr oder gar unfair, doch hier erinnert tatsächlich vieles an die große Callas.

© Gregor Hohenberg / SonyClassical

Das Spannende wird sein, zu sehen, wie sich Sonya Yonchevas Stimme weiterentwickeln wird. Sie ist kein definitiver Mezzo, aber kann nach oben und unten eigentlich alles mit einer Eindringlichkeit, die ihresgleichen sucht. Es ist unmöglich von dieser Stimme nicht gefesselt zu werden. Bravissima, Sonya!“

Peter Sommeregger: „Sonya Yoncheva gibt mit der Medea ein Rollendebüt und setzt damit einen weiteren Fuß ins dramatische Fach. Die Stimme ist hörbar groß geworden, erinnert in manchen Augenblicken sogar an das Timbre von Maria Callas, allerdings eher an die späte, bereits sehr gefährdete Callas. Yoncheva fehlt es nicht an der Kraft für die großen Bögen und Ausbrüche dieser Partie, aber in den exponierten Lagen gerät die Stimme doch etwas aus dem Fokus, da macht sich  ein gefährlich starkes Vibrato bemerkbar, einzelne Töne geraten dann eher unschön. Rollen dieses Kalibers sollte die Sängerin vielleicht nur in sparsamen Dosen singen.“

„Sonya Yoncheva als Desdemona ist für den lyrischen Part zuständig und erledigt ihre Aufgabe mit Bravour. Die Stimme klingt frei, gut fokussiert und auch in den heikelsten Passagen bombensicher. Ihr Sopran blüht im Lied von der Weide förmlich auf und setzt einen weiteren Höhepunkt des Abends. Yoncheva, die offensichtlich erneut Mutterfreuden entgegensieht, ist auf der Höhe ihrer Kunst.“

Yehya Alazem: „Wer könnte es glauben, dass man nach Maria Callas, die das Interesse für diese (leider vergessene) großartige Oper von Luigi Cherubini Mitte des 20. Jahrhunderts erweckte, etwas auf dem gleichen Niveau 60 Jahre später erleben könnte? Doch gibt es eine: Vom ersten bis zum letzten Ton verleiht die bulgarische Star-Sopranistin Sonya Yoncheva dieser Welt etwas PHÄNOMENALES. Ihre Darstellung der verrückten Frauenfigur Medea (Médée) ist sowohl gesanglich als auch darstellerisch wirklich kaum zu glauben.

Yoncheva hat ihr eigenes, persönliches Timbre, das dunkel, warm und rund ist, dazu kommt eine solide Höhe mit perfektem Vibrato. Die Stimme besitzt eine unglaubliche Intensität, Ausdruckskraft, Einfühlungsvermögen und klingt total unerschöpflich. Jeder Ton und jede Phrasierung ist im kleinsten Detail durchdacht, und alles kommt gerade vom Herzen heraus. Wie sie die mütterliche Leidenschaft, die Liebe und die glühende Rache sowohl musikalisch als auch dramatisch authentisch darstellt, ist unfassbar. Besser geht es einfach nicht: Sonya Yoncheva IST Medea.“

Maria Steinhilber: „La traviata, ‚die vom Wege abgekommene’ Violetta, singt die Bulgarin Sonya Yoncheva. Sie hat ein solches Volumen, dass sie gefühlt das ganze Orchester zusammen singen könnte. Der dramatische Koloratursopran steht ihr vorzüglich. Oft musste sie schon für Anna Netrebko einspringen und hat sich auch dadurch einen Namen auf den Bühnen der Welt gemacht. Ein starkes Vibrato schmückt ihre Stimme, und in den hohen Lagen hat sie eine wahnsinnige Ausdruckskraft.“

„Sonya Yoncheva zielt auf den Wesenskern einer Phrase. Sie hat eine weiche und füllige Mittellage, kräftig und dramatisch singt sie die tieferen Töne. Ihre Höhe ist intonatorisch perfekt und verfügt über eine große Strahlkraft – hier steht ein Weltstar auf der Bühne. „Meine Stimme ist eine mächtige Waffe“, sagt die Bulgarin, doch viel wichtiger ist ihr noch, die Geschichte ihrer Figur darzustellen. Und diese Violetta stellt sie wunderbar dar. Starke Frauen sind genau ihre Rollen! Violetta will eine tadellose Frau sein; auch wenn sie in der Gesellschaft eine „Halbwertdame“ ist, ist sie durchaus zu bewundern. Für ihre Liebe zu Alfredo verzichtet sie auf ihr bequemes Leben. Dieses Leistungsbewusstsein und sogleich die Leichtigkeit der Violetta singt und spielt Sonya an diesem Abend fantastisch – sie verdient durchaus die Bezeichnung ‚kleine Schwester der Netrebko‘.“

© Julian Hargreaves / SonyClassical

Wunderbar passen für diesen Abend in leichter Abwandlung die Worte von klassik-begeistert.de-Autor Sebastian Koik, die er für die große Anja Harteros fand: „Die Star-Sängerin spielt die Star-Sängerin. Es ist ihre Rolle: Sonya Yoncheva ist als Floria Tosca eine Sensation! Besser als sie kann man diese Rolle nicht singen und spielen. Tosca ist eine der am häufigsten aufgeführten und meist besuchten Opern. Und niemand auf der Welt gibt diese leidenschaftliche, eifersüchtige und starke Bühnenfigur Tosca besser als die Bulgarin.

Beim ersten Auftritt löst sie in Sekunden Gänsehaut aus. Ihre ungemein dichten Höhen strahlen mannigfaltig, funkeln komplex und wundersam in viele Richtungen. Ihre Mittellagen und Tiefen sind ebenfalls vollkommen. Sonya Yoncheva begeistert in der Wiener Staatsoper mit Intensität, herrlicher Cremigkeit und exzellenter dramatischer Ausgestaltung und Nuancierung. Frau Yonchevas Stimme klingt golden und warm. Die Wunder-Sopranistin kann auch die höchsten Höhen sehr geerdet klingen lassen. Alles hat ein solides Fundament, alles ist genau richtig. Und alles klingt bei ihr absolut natürlich, sieht so unfassbar leicht aus. Sonya Yonchevas Tosca ist vollkommen souverän, von grandioser Selbstverständlichkeit… und unglaublich schön. Diese Frau kann alles. Ihre Sangeskunst ist ohne Schwächen.

Sonya Yoncheva singt und redet wie eine Italienerin, sie bewegt sich wie eine temperamentvolle Italienerin, sie strahlt Leidenschaft, Feuer und Kraft aus, sie spielt die launische Diva mit Perfektion in jeder Geste, Toscas Eifersucht gestaltet sie bis ins kleinste Detail. Yoncheva wirft Blitze der Eifersucht in den Saal und füllt die Staatsoper bis in die kleinsten Winkel mit Tosca-Emotionalität.

Ihre Bühnenpräsenz ist gewaltig! Diese Frau hat Aura und verzückt in jedem Augenblick das Publikum, löst immer wieder Gänsehaut und Kälteschauer aus. Wenn diese Floria Tosca ihrem Mario am Ende erzählt, wie sie dem Peiniger Scarpia das Messer ins Herz stach, dann sind das nicht nur Worte! Es hört und fühlt sich an, als wäre man noch einmal dabei, wie sie Scarpia erdolcht, diesmal mit der gewaltigen Kraft ihrer Stimme.“

Auch der Berliner Blogger Anton Schlatz hat die Sopranistin erlebt:

”Nun singt Sonya Yoncheva auch so gut wie erwartet, und sie sieht jung und verführerisch aus. Die Yoncheva hat vieles: Farbe, pastose, cremige Mittellage, lyrische Üppigkeit. Von fehlender psychologischer Einfühlung, wie verschiedentlich bemängelt, höre ich nicht die leiseste Spur. Sie singt ohne jede aufgesetzte Theatralik (wie das Angela Gheorghiu gerne macht). Ja, in ausladenden großen vokalen Gesten klingt die Stimme nicht so natürlich, das gilt auch für die Spitzentöne in Vissi d’arte. Yoncheva ist eben kein geborener Spinto. Auch nicht vom Temperament her: im Hass auf Scarpia überzeugt sie nicht ganz. Dennoch: So sattschön in den beiden großen Duetten habe ich schon lange keine Tosca mehr gehört. Eifersüchtig im Andrea-della-Valle-Akt, zart im leidenden Piano im Farnese-Akt, freiströmend im trügerischen Traum von der Freiheit im Engelsburg-Akt. Einiges Lyrische habe ich nie gelungener gehört: sempre, con fé sincera, das ist dunkel und üppig abgetönt, mit verletzlichem Herzen gesungen. Yoncheva findet die richtigen Farben für Toscas Tragödie. Sie phrasiert mit Instinkt. Sie hat den tiefen, von innen leuchtenden Glanz. Kleine Anmerkung, die ihre Leistung nicht schmälert: Im 1. Akt ist sie oft ein Ticken langsamer als das Orchester.“ (Anton Schlatz, Blogger)

Soweit zum Star des Abends.

Andreas Schmidt, 22. Mai 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Interview, Piotr Beczała, Bayreuther Festspiele 2019

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