"Wagners Musikwelt macht süchtig und ist ein bisschen gefährlich"

Interview, Piotr Beczała,  Bayreuther Festspiele 2019

Foto: © Jean-Baptiste Millot

Interview mit dem Tenor Piotr Beczała
Bayreuther Festspiele 2019

von Jolanta Łada-Zielke

Letztes Jahr waren polnische Sänger in der Neuinszenierung von „Lohengrin“ in Bayreuth unter der Regie von Yuval Sharon und unter der Leitung von Christian Thielemann stark vertreten: Die Rollen der beiden Antagonisten spielten: Tomasz Konieczny (Friedrich von Telramund) und Piotr Beczała, der die Titelrolle des Lohengrin übernahm, nachdem Roberto Alagna im letzten Moment zurückgetreten war. Sowohl Zuschauer als auch Kritiker hielten sein Debüt auf der Bühne des Festspielhauses für einen großen Erfolg. Zu Anfang der laufenden Saison hat Klaus Florian Vogt die Lohengrin-Partie gesungen. Die Vorstellungen mit Beczała finden am 07., 11., 14., und 18. August 2019 statt.

Im Interview mit Jolanta Łada-Zielke sprach Piotr Beczała über seine vielseitige Gesangsaktivität und seine Teilnahme an den Bayreuther Festspielen.

Hat Ihr Abenteuer mit Wagner gerade erst mit Lohengrin begonnen?

Ich debütierte als Lohengrin 2016 in Dresden. Christian Thielemann hat fünf Jahre zuvor versucht, mich zu überzeugen, aber ich musste zu dieser Entscheidung reif werden. Wagners Musikwelt macht süchtig und ist ein bisschen gefährlich. Wenn du einen Finger darein steckst, verlierst du die ganze Hand. Ich habe auch andere Vorschläge für Wagner-Rollen von der Metropolitan Opera und Covent Garden (in der neuen Produktion der „Meistersinger“) bekommen, aber jetzt werde ich noch bei Lohengrin bleiben. Er gilt als „die italienischste“ der Wagner-Opern. Die Gesangspartien ähneln darin oft dem Belcanto-Stil. „Lohengrin“ war auch sehr beliebt, er wurde in Italien auf Italienisch, in Frankreich auf Französisch, selbst in Polen auf Polnisch aufgeführt. Ich habe eine wundervolle, polnische Übersetzung des Librettos aus dem 19. Jahrhundert, die mir der Dirigent Łukasz Borowicz geschenkt hat.

Vereinfache ich die Dinge sehr, wenn ich behaupte, dass Sie sich nur an die Bedingungen des Festspielhauses anpassen mussten, weil Sie die Oper und den Dirigenten bereits kannten?

Piotr Beczała als Lohengrin. Foto: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Das ist ein bisschen eine Vereinfachung, weil dieser Fall eine komplizierte Vorgeschichte hatte. Vor ungefähr drei Jahren bestand die Idee, dass ich in dieser Saison im „Lohengrin“ mit Anna Netrebko singe, aber später schien die Sache aus verschiedenen Gründen zu verschwimmen. Vor sieben Monaten hat Christian Thielemann mich angerufen und gesagt, dass es in Bayreuth ein Problem mit der Rolle des Lohengrins geben könnte. Er hat gefragt, ob ich mich auf einen eventuellen Ersatz vorbereiten würde. Ich hatte aber schon andere Konzerte und Auftritte für den ganzen Sommer geplant. Außerdem habe ich diese Partie seit zwei Jahren nicht mehr gesungen, also hatte ich Angst, ob ich das nach solcher Pause schaffen könnte, besonders in Bayreuth, dem sogenannten „Mekka der Wagnerianer“.  Aber als ich drei Wochen vor dem Festival dort angekommen war, war die Vorbereitung auf die Premiere noch nicht weit fortgeschritten. Ich konnte meine Rolle von Anfang an aufbauen. Ich hatte einen guten Kontakt zu dem Regisseur Yuval Sharon, den ich schon in San Francisco getroffen habe. Die Anwesenheit von Christian Thielemann und die Unterstützung von Sängern und Mitspielern haben mir sehr geholfen. Das Unangenehmste war, dass meine Agentur einige Termine meiner Auftritte verschieben oder komplett absagen musste. Das passiert mir sehr selten.

Sie haben Bayreuth als „Mekka der Wagnerianer“ bezeichnet. Ist die Stadt auch für Sie ein magischer Ort?

Von der künstlerischen Seite sieht das so aus: An einem Abend sprachen wir bis spät mit Christian Thielemann über dieses Thema. Die Bayreuther Festspiele sind kein gewöhnliches Opernfestival. Hier wird nur Wagner gespielt und alles dreht sich um ihn. Jedes Jahr wird eine neue Inszenierung einer seiner Opern vorbereitet, die dann in den nächsten vier oder fünf Saisons aufgeführt wird. Aber es hört nicht bei der ersten Fassung auf. Die künstlerische Leitung, Dirigenten, Assistenten, Chorleiter – jeder bemerkt einige Dinge, die korrigiert werden müssen. Jede neue Saison bringt neue Elemente, Korrekturen werden sowohl auf der Bühne als auch auf der Musikebene vorgenommen. Dann nimmt die Produktion einen „zweiten Atemzug“ – das heißt, es muss noch besser als vor einem Jahr werden. Und dieser Prozess läuft seit Jahrzehnten. Die ganze Welt schaut nach Bayreuth, was hier mit Wagner gemacht wird. Christian Thielemann arbeitet seit über zwanzig Jahren am Festival und kennt diesen Mechanismus perfekt. Sicher, nicht jede Aufführung hier ist besser als z. B. in der Metropolitan oder irgendwoanders auf der Welt. Aber das Engagement der Sänger und des gesamten Führungsteams ist hier ernster als anderswo. Und das ist der Zauber dieses Festivals.

Alle Künstler loben die familiäre Atmosphäre, die bei allen am Festival Beteiligten herrscht. Erleben Sie sie auch?

Absolut ja. Außerdem kenne ich die meisten Sänger, sowie Musiker aus dem Orchester, weil wir uns schon auf anderen Bühnen getroffen haben. Dies ist keine völlig neue Umgebung für mich. Was die Atmosphäre betrifft, ist es wirklich sehr freundlich und wir alle schaffen es mit. Es gibt keinen Neid oder Wettbewerb zwischen uns. Die meisten hier auftretenden Sänger sind nicht nur in einer Saison involviert. Sie kommen gerne jedes Jahr hierher, natürlich wenn sie gut genug sind und wieder eingeladen werden. Selbst diejenigen, die als so genannte „Covers“ (Ersatz im Notfall) arbeiten, werden absolut nicht „schlechter“ behandelt. Sie sind auch Teil dieser großen Festspielfamilie.

Piotr Beczała als Lohengrin. Foto: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Es gab kritische Stimmen über die Inszenierung des „Lohengrin“, dass sie zu düster sei. Man hat Zuschauern geraten, am besten die Augen zu schließen und nur die Musik zu hören, die die größte Stärke dieser Produktion sei. Stimmen Sie damit überein?

Nur teilweise. So war die Absicht von dem Maler Neo Rauch, der hier als Bühnenbildner mitwirkte. Das ist seine Vision, er wollte, dass es dunkel ist, also ist es dunkel. Das Wichtigste ist, dass die Sängerinnen und Sänger gut beleuchtet, und füreinander sowie für das Publikum sichtbar sind. Es genügt, damit das Spektakel die Zuschauer anspricht und niemand die Augen schließen muss. Ich fühle mich auf der Bühne nicht unwohl, es gab Aufführungen, bei denen ich schlechtere Beleuchtungsbedingungen hatte. Unser „Lohengrin“ wurde auf dem Fernsehsender 3Sat gezeigt und es stellte sich heraus, dass es hervorragend als Fernsehspektakel funktioniert. Alles ist gut zu sehen, selbst in einer so dunklen Aura. Außerdem können Sie während der Übertragung einige Details sehen, die den Zuschauern im Theater entgehen könnten.

Oder im Gegenteil, zum Beispiel in der Duellszene, in der Lohengrin und Friedrich von Telramund in der Luft kämpfen. Als ich sie im Fernsehen gesehen habe, dachte ich, das wären zwei Puppen, und im Theater habe ich gemerkt, dass sie lebendige Menschen waren …

Das ist die Illusion, denn wir fliegen nicht, sondern zwei verkleidete Jungs. Wir gehen mit Tomasz hinter die Kulissen, und da warten schon zwei junge Komparsen darauf, an den Seilen hochgezogen zu werden und dann wieder zurück. Und das ist meiner Meinung nach eine wirklich gute Idee, es gibt einen tollen szenischen Effekt. Wir haben sogar vorgeschlagen, dass diese Jungs nach dem ersten Akt mit uns zum Applaus gehen sollten, aber leider mussten sie damit bis zum Ende der ganzen Vorstellung warten.

An anderen Orten und bei anderen Auftritten, an denen Sie teilgenommen haben, gab es bestimmt lustige Situationen?

Es gibt eine Angewohnheit, dass wir während der letzten Aufführung miteinander Witze machen. Dies war der Fall in der ersten Szene von Eugen Onegin, in der ich in New York sang und mit mir Anna Netrebko und Mariusz Kwiecień. Nach der Idee des Regisseurs betrat ich die Bühne als Włodzimierz Leński und hielt ein Marmeladenglas in der Hand. Das schenkte ich Łarina und das Glas stand bis zum Ende des ersten Akts auf dem Tisch. Vor der letzten Vorstellung kaufte ich ein Glas Gurken in einem polnischen Geschäft und klebte ein Bild von Anna und Mariusz darauf, mit der Aufschrift „Lenskis Gurken“. Als ich Anna während der Vorstellung das Glas schenkte, öffnete sie es einfach und gab Mariusz eine Gurke.

Vor ein paar Jahren haben Sie eine CD mit Operettenliedern u.a. von Richard Tauber aufgenommen, um Musikliebhaber an diesen Sänger zu erinnern. Man sagt, Opernsänger sollten sich mit der Operette nicht auseinandersetzen, weil das ihre gesangliche Entwicklung hemmen könnte?

Das ist ein Stereotyp, welches nicht nur die Operette, sondern auch die Lieder betrifft, die ich auch in meinem Repertoire habe. Tauber war ein Anlass für mich, die Operette neu zu entdecken und zu präsentieren. Aber nicht nur er, sondern auch Jan Kiepura und viele Opernsänger, die bis in die 1970er Jahre in Operetten sangen, trugen zu ihrer Popularität und ihrem hohen Niveau bei. Erst in den 80er und 90er Jahren wurde diese Gattung degradiert, weil in Theatern keine anständigen Operettenvorstellungen mehr gemacht wurden. Es wurden kleine Ensembles gegründet, die die Vorstellungen zu möglichst geringen Kosten organisierten. Infolgedessen sank das Leistungsniveau der Operette Jahr für Jahr. Meine CD war eine Art von Impuls, der zur Unterbrechung dieses negativen Prozesses führen sollte. Ich sagte dann, dass es mich sehr freuen würde, wenn zumindest einer meiner Kollegen in meine Fußstapfen treten würde. Bald darauf nahmen Jonas Kaufmann und Klaus Florian Vogt Operettenarien auf. Vor nicht langer Zeit sang ich in Franz Lehárs „Das Land des Lächelns“ in Zürich unter der Leitung von Fabio Luisi. Es ist eine Operette auf höchstem Niveau, an der großartige Sänger teilgenommen haben.

2017 gaben Sie in der Elbphilharmonie in Hamburg einen Liederabend. Wie beurteilen Sie die akustischen Bedingungen dort?

Der Konzertsaal mit der Bühne in der Mitte und dem Publikum, das rundherum sitzt, eignet sich eher für sinfonische als für vokale Musik, da der Sänger den Klang in eine bestimmte Richtung gestalten muss. Aber vielleicht werde ich eines Tages dort ein Solokonzert singen. In der Zwischenzeit trat ich in dem kleinen Konzertsaal mit einem Liederabend auf. Ich mag alte, klassische Konzerträume wie den vom Wiener Musikverein, das Concertgebouw in Amsterdam oder den vom Musikverein in Graz. Ich hatte auch die Gelegenheit zu erfahren, wie großartig die Akustik des Raums des Großen Theaters in Warschau und der Canergie Hall in New York, oder der Pariser Oper Palais Garnier ist.

Für die Liederabende, mit denen Sie in Deutschland auftreten, wählen Sie unter anderem Mieczysław Karłowicz?

Mit Karłowicz, der 23 Lieder und die meisten davon in Berlin komponierte, fühle ich eine Art musikalischer Beziehung. Vor zwölf Jahren habe ich auch eine CD mit Liedern von Karol Szymanowski aufgenommen, den ich auch sehr schätze.

2019 feiert man in Polen den 200-jährigen Geburtstag von unserem nationalen Opernkomponist Stanisław Moniuszko. Zu dem Anlass wird seine berühmteste Oper „Halka“ im Dezember im Theater an der Wien aufgeführt, wobei Sie Jontek singen.

Ich arbeitete acht Jahre lang an diesem Projekt. „Halka“ wird unter der Leitung von Łukasz Borowicz und unter der Regie von Mariusz Treliński aufgeführt. Eine neue Partitur von diesem Werk ist gerade entstanden. Wir wollen die Welt für die polnische Opernkunst interessieren, die auch sehr wertvoll ist. Tomasz Konieczny wird die Rolle von Janusz singen.

Wie oft treten Sie in Polen auf?

Ich habe mir selbst und dem polnischen Publikum versprochen, dass ich mindestens einmal im Jahr in Polen singen werde und bis jetzt kann ich mein Wort halten. Manchmal schaffe ich es, einen zusätzlichen Termin einzurichten, normalerweise an einem Tag zwischen den Aufführungen oder in der ersten Probenphase

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Jolanta Łada-Zielke, 14. August, für
klassik-begeistert.de

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