Foto © Wilfried Hösl
Silbriges Glänzen und #meetoo-Feeling
Giacomo Puccini – Tosca
Bayerische Staatsoper, 14. November 2017
Musikalische Leitung – Daniele Callegari
Inszenierung – Luc Bondy
Floria Tosca – Anja Harteros
Mario Cavaradossi – Joseph Calleja
Baron Scarpia – Željko Lučić
Cesare Angelotti – Goran Jurić
Bayerisches Staatsorchester
Chor, Kinderchor und Statisterie der Bayerischen Staatsoper
von Maria Steinhilber
München friert. Die oft so sonnige Stadt fröstelt sich von Akt zu Akt des Melodramas „Tosca“ von Giacomo Puccini. Das Libretto stammt von Giuseppe Gicosa und Luigi Illica. Grundlage der Oper ist das Drama „La Tosca“ von Victoire Sardou, uraufgeführt 1887.
Auf den samtigen, rosafarbenen Sitzen der Bayerischen Staatsoper sitzt erwartungsvoll das internationale Publikum. Farbig geradezu perfekt abgestimmt ist das Programmheft. Geht man noch wenige Sekunden vor dem letzten Gong durch das Alphabet, so findet sich für jeden Buchstaben ein passendes Gefühl zur Beschreibung dieses Abends. A wie Affekt, B wie Begierde, E wie Eifersucht oder auch F wie Folter.
Ohne Vorspiel und Ouvertüre heult der Motor der Oper tosend auf: Tutta forza. Das Bayerische Staatsorchester unter der Leitung von Daniele Callegari erinnert an eine perfekte CD-Einspielung. Aber das hier ist Live-Musik! Hörner und Pauken triumphieren in den ersten Takten dieser Verismo-Oper.
Verismo: Das bedeutet, die Natürlichkeit des Lebens in allen Aspekten auf die Bühne zu bringen. Wäre das eine CD und keine Live Performance grandioser Künstler, würde der ein oder andere im Publikum sicherlich sofort lauter drehen.
Der maltesische Tenor Joseph Calleja, 39, ertönt heute als Mario Cavaradossi, ein Maler der mit der berühmten Sängerin Floria Tosca liiert ist. Diese Rolle hat auch der Startenor Jonas Kaufmann mehr als im Blut und brilliert in ihr mit Anja Harteros auch an der Bayerischen Staatsoper.
Doch heute heißt es Joseph, nicht Jonas! Perfekt auf die Rolle des Malers zugeschnitten sitzt alles bei Joseph Calleja. Perfekte Portamenti und sein Tenor von überdurchschnittlicher Natürlichkeit lässt die Münchner jubeln. Bravi poltert das Publikum. Wer ist noch einmal Jonas Kaufmann?
Aus dem Schwärmen kommt man so schnell nicht wieder heraus. Denn die nächste stimmliche Wucht konfrontiert das Publikum. Niemand Geringere als die Sopranistin Anja Harteros, 45, gibt die Floria Tosca. Hinter der Bühne erschallen die ersten Töne. „Zittern.“ Auf der Bühne hält sie einen Strauß weißer Rosen für die Madonna in der Hand. Dabei singt sie so unsagbar schön, dass garantiert niemand seinen Abend wo anders verbringen wollen würde. Silbriges Glänzen, perfektes Italienisch und unfassbare Leichtigkeit.
Durch Anja Harteros erhält diese Oper 100 Punkte mehr Lieblings-Oper-Potenzial.
Baron Scarpia macht der eifersüchtigen Tosca das Leben zur Hölle. Der Bösewicht ist Željko Lučić, 49. Dieser muss nicht viel Bewegung auf der Bühne zeigen. Nur eine diskret eingesetzte Handbewegung, und jeder kauft ihm seine Rolle als Scheusal ab. Der serbische Bariton hat einen noch etwas verhaltenen Gang, aber eine freie Stimme. Er könnte das Abscheulichste seiner Rolle noch etwas auf das Stimmliche übertragen, doch wenn der Kinderchor ihn in Ministranten-Tracht unterbricht und die Posaunen die Handlung überblasen, das Licht perfekt auf der Bühne reflektiert, dann ist Scarpias stimmliche Zurückhaltung vergessen.
Mit „Ihr foltert meine Seele“ besingt Harteros den korrupten und herzlosen Baron. Ihren geliebten Maler ließ Scarpia festnehmen. Nur durch einen schlimmen Tauschhandel würde er wieder frei. Tosca muss sich dem Baron hingeben, oder sie sieht ihren Geliebten nie wieder.
Es ertönt ein Duett von Harteros und Calleja, sie rennen, leiden und lieben auf der Bühne. Zusammen mit Orchester und Dirigent sind sie ein unschlagbares Team. Das Publikum erstarrt ob dieser geballten Emotion auf der Bühne.
Halb tot liegt Tosca drapiert auf einer roten Couch. Aus dem Nichts heraus ertönt „Vissi d´arte“. Man kann Harteros kaum wahrnehmen. Sie selbst ein Traum in Rot. Diese Arie ist das Herz der Oper, und die Deutsch-Griechin meistert sie grandios. Was sie durchlebt, würden Promis und Frauen aus aller Welt derzeitig mit #metoo im Internet teilen. Betroffenheit und unsagbare Schönheit zugleich. Dirigent Callegari muss sich nach dieser Hammer-Arie den Schweiß von der Stirn wischen.
Es riecht nach Rauch. In Puccinis „Tosca“ gibt es nicht weniger als eine Folterszene, einen Mord, eine Hinrichtung und zwei Selbstmorde. Alle Hauptfiguren sterben eines gewaltsamen Todes. Ein „Mei, war des schee“ holt das Münchner Publikum wieder in die Realität zurück. Das silbrige Glänzen in Harteros’ Stimme nimmt jeder mit nach Hause.
Maria Steinhilber, 15. November 2017,
für klassik-begeistert.de
Weitere Akteure:
Bühne – Richard Peduzzi
Kostüme – Milena Cononero
Der Mesner – Leonardo Galeazzi
Spoletta – Kevin Conners
Sciarrone – Christian Rieger
Ein Gefängniswärter – Oleg Davydov
Stimme eines Hirten – Solist des Tölzer Knabenchors
Hallo Frau Maria Steinhilber,
„Was sie durchlebt, würden Promis und Frauen aus aller Welt derzeitig mit #metoo im Internet teilen.“
Dasselbe dachte ich beim Video-Schauen gestern – es lief „Der Rosenkavalier“ von Richard Strauss. Der arme Octavian… 17-jähriger Jüngling verkleidet sich als Frau und wird in einer Tour belästigt.
Herzliche Grüße
Jürgen Pathy