Im Netz von Macht, Intrigen und Verrat gibt es keinerlei Entrinnen – Giacomo Puccinis düstere „Tosca“ an der Hamburgischen Staatsoper

Giacomo Puccini, Tosca   Staatsoper Hamburg, 5. November 2023

Archiv: Tosca, Staatsoper Hamburg © Arno Declair

Ein glanzvoller Opernabend in der Hamburgischen Staatsoper. So düster und aussichtslos, dabei musikalisch so wunderschön – das kann nur Oper leisten!

Giacomo Puccini
Tosca

Inszenierung: Robert Carsen
Bühnenbild und Kostüme: Anthony Ward
Lichtkonzept: Davy Cunningham

Premiere 15. Oktober 2000

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Musikalische Leitung: Paolo Carignani

Besetzung:

Floria Tosca:  Ewa Vesin, Sopran
Mario Cavaradossi:  Young Woo Kim, Tenor
Baron Scarpia:  Andrzej Dobber, Bariton
Cesare Angelotti:  Chao Deng, Bass-Bariton
Sagrestano:  David Minseok Kang, Bass
Spoletta:  Peter Galliard, Tenor
Sciarrone:  Liam James Karai, Bass-Bariton

Un Carceriere:  Chorsolist
Un Pastore:  Yeonjoo Katharina Jang

Kinderchor:  Alsterspatzen – Kinder- und Jugendchor der Hamburgischen Staatsoper

Chor: Chor der Hamburgischen Staatsoper
Orchester:  Philharmonisches Staatsorchester Hamburg

Staatsoper Hamburg, 5. November 2023

von Dr. Holger Voigt

„Dem Wort eines Despoten sollte man tunlichst nicht vertrauen; es öffnet eher Tod und Verderben die Türen“.

Diese Einsicht – der heutigen Politik offenkundig noch immer nicht geläufig – hat Giacomo Puccini bereits vor mehr als einem Jahrhundert dazu bewogen, einen packenden Politthriller auf die Opernbühne zu bringen, dessen Spannung nicht eine Sekunde Entlastung zulässt (Uraufführung: 14. Januar 1900, Teatro Costanzi, Rom). Zum Schluss haben vier Protagonisten (Angelotti, Scarpia, Cavaradossi, Tosca) ihr Leben verloren und keine Seite hat gesiegt. In düsterem Nichts endet eine der bedeutendsten Opern des Verismo und hinterlässt Rat- und Sprachlosigkeit, während im Kopf die musikalischen Leitmotive noch stundenlang nachklingen. Das ist das, was große Oper ausmacht!

Wer eine „Tosca“ auf die Opernbühne bringen möchte, muss starke Nerven haben. Als Schwergewicht des Verismo muss buchstäblich alles mit- und untereinander stimmen, soll dieser Opernthriller nicht aus der Bahn geraten. Schließlich geht es um nichts weniger als Liebe, Eifersucht, Macht, Verrat und Tod durch Mord, Hinrichtung und Selbstmord – das ist schon eine große Dosis an dramatischer Substanz – keine leichte Kost eben!

Sänger und Sängerinnen, Chor, Orchester und Bühnenbild müssen so glaubhaft und abgestimmt inszeniert werden, dass der Spannungsbogen nie abreißen kann. Dabei müssen die Stimmen der Solisten und Solistinnen und die orchestralen Klangfarben so ineinander greifen, dass dem Zuhörer vor dramatischer Unausweichlichkeit schlichtweg die Luft wegbleibt. Keine Frage – eine riesige Herausforderung für alle Beteiligten.

Die Hamburger Inszenierung von Robert Carsen ist nun schon mehr als zwanzig Jahre alt (Premiere am 15.10.2000 unter der Leitung von Ingo Metzmacher), doch wirkt sie kaum aus der Zeit gefallen. Im Unterschied zu anderen opulenten Inszenierungen wirkt das Bühnenbild (Anthony Ward) eher karg und zurückgenommen, weist dadurch aber gerade umso intensiver auf das „innere Bühnenbild“ des Geschehens hin, das sich in den Köpfen und Herzen der Protagonisten ständig weiter entwickelt.

Musikalisch fällt in dieser Oper ganz deutlich die kompositorische Nähe zu Richard Wagner auf. Die Anlehnung an das Stilmittel von Leitmotiven ist unverkennbar. Arien stehen nicht für sich, sondern entwickeln sich aus dem ständigen, nicht abreißenden melodischen Strom der Musik und stehen wie eingebettet in dessen Zusammenhang. Wagners Vorstellung einer „unendlichen Melodie“ gilt hier auch für diese Oper; man könnte sich – trotz der dann auftretenden Länge – das Ganze auch als Einakter vorstellen und würde noch immer die Musik im Kopf tragen, wenn man nach Hause geht.

Paolo Carignani © Voigt

Alles steht und fällt bei dieser mächtigen Oper mit der atmosphärischen Anlage der Partitur. Mit dem Mailänder Maestro Paolo Carignani  stand ein Dirigent am Pult, der bereits in den ersten Takten (‚Ah! Finalmente!“) das philharmonische Staatsorchester so kompromisslos auf den Puccini’schen Klangzauber ausrichtete, dass man sicher sein konnte, eine glanzvolle Aufführung zu erleben. Hier gab es keinerlei Fehler, alles klang melodramatisch dicht und spannungsgetragen, ohne jemals die Stimmen der Sänger zu überdecken. Den Klangzauberer Paolo Carignani würde man gerne häufiger in Hamburg am Pult erleben wollen.

Als Floria Tosca begeisterte die polnische Sopranistin Ewa Vesin, bei deren Auftritt trotz der Schwierigkeiten der Partie (nur wenige Szenen ohne Tosca!) eine beeindruckende Gesangsdarbietung das Publikum in den Bann zog. Alle Facetten der Rolle – verletzlich, mutig, hart, entschlossen – zugleich auch kokett und kalkuliert, waren für sie kein Problem. Ihre Arie „Vissi d’arte“ –  aus dem dunklen Hintergrund heraus gesungen –  klang sehr berührend. Hinzu kam ihre große Spielfreude, die die Glaubwürdigkeit ihrer Rollengestaltung in allen Schattierungen noch deutlicher hervortreten ließ. Die auch im Wagner-Fach erfahrene Sängerin war an diesem Abend ein Ereignis für sich und wurde mit langanhaltendem Applaus bedacht.

Ewa Vesin © Zuzanna Szamocka

Schon zu Beginn des Dramas fiel die mächtige und schönklingende Stimme des Tenors Young Woo Kim (Cavaradossi) auf (Arie: „Dammi i colori!… Recondita armonia“). Es war eindrucksvoll, wie gleichbleibend schön und raumfüllend seine Stimme im gesamten Verlauf der Oper blieb. Im Duett mit Tosca entstanden so magische Momente, denen man begeistert zuhörte. Besonders anrührend und wunderbar klingend sein wehmütiger Abschied vom Leben (Arie: „E lucevan le stelle“), für die es viele Bravo-Rufe gab.

Young Woo Kim © Theater Dortmund

Maliziös bis zum Anschlag, und sogar noch darüber hinaus gehend, präsentiert sich Baron Scarpia, der übergriffige Polizeichef von Rom, der da meint, er könne sich alle seine Wünsche und Obsessionen höchstpersönlich einverleiben. Grandios gespielt und ebenso grandios gesungen gestaltete Andrzej Dobber (Bariton) diese finstere Figur des Geschehens.

Andrzej Dobber © A Świetlik

Man brauchte keine Wetten abzuschließen, um vorhersehen zu können, dass er nicht davon kommen wird. Doch sein Verrat hat Fernwirkung und greift sogar noch nach seinem Tod, als Cavaradossi absprachewidrig tatsächlich doch erschossen wird. In diesem Moment erkennt Tosca, die faktische Mörderin Scarpias, dass sie hintergangen wurde und ihr nur noch der Freitod bleibt.

Ein glanzvoller Opernabend in der Hamburgischen Staatsoper. So düster und aussichtslos, dabei musikalisch so wunderschön – das kann nur Oper leisten!

Dr. Holger Voigt, 5. November 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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