Prova generale Turandot, Sferisterio © PhSimoncini
Bei dieser „Turandot“ im spektakulären „Sferisterio“ von Macerata (in der italienischen Provinz Marken), einer aus dem Jahr 1829 stammenden halbrunden von 56 klassizistischen Säulen umgebenen Arena, stimmte einfach alles – wie letztes Jahr bei der großartigen „Lucia“: Bühnenbild, Inszenierung, Sängerinnen und Sänger, Chor und Orchester eine perfekte „Turandot“ der Weltklasse.
Giacomo Puccini: „Turandot“
Dirigent: Francesco Ivan Ciampa
Regie und Bühnenbild: Paco Azorín
Kostüme: Ulises Mérida
Video und Licht: Pedro Chamizo
Orchestra Filarmonica Marchigiana
Coro Lirico Marchigiano „V. Bellini“
Chorleiter: Martino Faggiani
Macerata Opera Festival, 10. August 2024
Von Dr. Charles E. Ritterband
Grandios der Auftritt des sizilianischen Tenors Angelo Villari als Calaf, mit glattem elegantem Schmelz die Stimme als er das weltberühmte „Nessun dorma“ anstimmte – das Tenor-Gegenstück zur ebenso berühmten Sopran-Arie „Casta Diva“ aus „Norma“, die wir nur 24 Stunden zuvor im Sferisterio genießen durften. Villari tritt als todesmütiger „unbekannter Prinz“ souverän und selbstbewusst auf – der glaubwürdigste Widerpart zur „Prinzessin aus Eis“, dieser ebenfalls großartigen Turandot der russischen Sopranistin Olga Maslova.
Sie verfügt über ein weites Spektrum stimmlicher und darstellerischer Fähigkeiten – mit feinem, zynischem, ja sadistischem Lächeln stellt sie ihre Bedingungen und gibt als „chinesische Sphinx“ dem Heirats- bzw. Todeskandidaten die drei berühmten Rätsel auf, ändert umgehend die Bedingungen ihrer Forderung als sie auf Calafs Angebot eingeht, auf Turandot zu verzichten, falls jemand seinen Namen erfährt und fordert gnadenlos die Folterung der treuen Sklavin Liù.
Ebenso glaubwürdig wie die todesmutige Liebe Calafs ist ihre gewaltbereit-herrschsüchtige Allüre, die sie stimmlich und schauspielerisch gleichermaßen überzeugend zum Ausdruck bringt.
Ein Juwel, gesanglich und darstellerisch, die Liù der spanischen Sopranistin Ruth Iniesta, die beim Schlussapplaus ebenso bescheiden und sympathisch wirkt wie in ihrer Rolle als bedingungslos loyale (und in ihren Meister Calaf verliebte) Sklavin.
Originalfassung als Hommage an Liù
Ihr ist denn auch die hier zur Aufführung gelangte Originalfassung dieser Oper gewidmet – ohne das am 29. November 1924 nach dem Tod Puccinis vom italienischen Komponisten Franco Alfano hinzugefügte Happy End, das ja seither in den meisten Opernhäusern weltweit zur Aufführung gelangt.
Doch Arturo Toscanini hatte bereits am 25. April 1926, nur fünf Monate nach dem tragischen Tod des Meisters, die Originalfassung dirigiert, die jetzt auch im Sferisterio präsentiert wurde. Paco Azorín, der talentierte spanische Regisseur dieser Inszenierung, der auch für das schlichte aber sachlich wie ästhetisch überzeugende Bühnenbild verantwortlich zeichnet, hat sich für die ausschließlich aus der Feder Puccinis stammende Originalfassung entschieden. Obwohl Azorín bemerkt, dass der von Alfano nachkomponierte Schluss der Oper „ci piace moltissimo“ beschloss er, in Absprache mit dem Dirigenten Francesco Ivan Ciampa, die Oper dort enden zu lassen, wo Puccini sie vorzeitig beendet hatte.
Im Sferisterio endet – musikalisch und szenisch nicht nur überzeugend, sondern geradezu gewaltig – die Oper Puccinis mit dem Tod der Liù: In den Worten des Regisseurs Azorín „eine Figur, die üblicherweise im Schatten der Turandot bleibt, die aber eine enorme, überaus starke Frau ist, begabt mit einer so makellosen Liebe, dass sie damit die Welt verändern kann“.
Liù wurde denn auch von Kommentatoren und Kritikern stets als die aufrichtigste, wahrhaft „puccinieske“ Figur dieser Oper bezeichnet, als Gegenstück zur durch und durch künstlichen, affektierten und letztlich brutalen Hauptfigur Turandot.
Azoríns Inszenierung ist eine Meisterleistung, die sich spielend mit den Produktionen der Met, der Wiener Staatsoper, der Bregenzer Seebühne und der Londoner Royal Opera messen kann. Er choreographiert einfach aber virtuos die weit über hundert Statistinnen und Statisten, darunter viele Kinder und alle mit den spitzen Reisstroh-Kopfbedeckungen der südostasiatischen Reispflücker.
Das Bühnenbild besteht aus einem brückenartigen Podest im kaiserlich-chinesischen Rot, links und rechts dieses Aufbaus befinden sich Reisfelder, in denen von Anfang an eifrig gepflückt wird. Die Kostüme sind prachtvoll, vor allem natürlich das schneeweiß-jungfräuliche der Turandot, und ihres Vaters des kaiserlichen Herrschers, schlicht-unprätentiös und unauffällig das Gewand des Calaf, seines Vaters Timur und der Sklavin Liù.
Unerklärt und für allerlei Interpretationen offen (Covid made in China?) blieb allerdings der fürchterliche Hustenanfall eines der Statisten im Reisfeld, der dann sofort von einem Gardisten abgeführt wurde. Doch noch ein kleines Stücklein eigenwilliges Regietheater in einer sonst so stimmig-harmonischen Inszenierung
Dr. Charles E. Ritterband, 10. August 2024, für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Besetzung:
Turandot: Olga Maslova
Calaf: Angelo Villari
Liù: Ruth Iniesta
Timur: Antonio Di Matteo
Ping: Ludovico Filippo Ravizza
Pang: Paolo Antognetto
Pong: Francesco Pittari
Kaiser Altoum: Christian Collia
Vincenzo Bellini, Norma Arena Sferisterio, Macerata Opera Festival, 9. August 2024
Gaetano Donizetti, Lucia di Lammermoor Macerata Opera Festival, 14. August 2023
Giuseppe Verdi, La Traviata Macerata Opera Festival, 13. August 2023
Macerata Opera Festival 2023, Georges Bizet, Carmen, Macerata Festival, 6. August 2023