»Unterwegs-Sein« in der Lausitz: Kammermusikalische Pralinés mit dem Gidon Kremer Trio

Gidon Kremer Trio,  Lausitz Festival, 15. Oktober 2020

Foto: Görlitzer Kreuzkirche © Mechthild Lehmann

Lausitz-Festival
Kreuzkirche Görlitz, 15. Oktober 2020

Gidon Kremer, Violine
Madara Pētersone, Violine
Georgijs Osokins, Klavier

Mieczysław Weinberg, Sonate für 2 Violinen op. 69, Notturno aus den 3 frühen Stücken

Frédéric Chopin, Polonaise-Fantasie op. 61

Jean Sibelius, Notturno op. 51 Nr. 3

Valentin Silvestrov, Serenade

Dmitri Schostakowitsch, Präludium, Gavotte und Walzer aus 5 Stücke für 2 Violinen und Klavier

von Pauline Lehmann

Das umjubelte Konzert in der Görlitzer Kreuzkirche reiht sich wie eine goldene Perle in die gelungene Auftakt-Saison des Lausitz-Festivals ein. In einem nord-östlich inspirierten Programm führt der lettische Geiger Gidon Kremer zusammen mit den beiden – ebenfalls lettischen – Nachwuchskünstlern, der Geigerin Madara Pētersone und dem Pianisten Georgijs Osokins, das Publikum zu musikalischen Begegnungen abseits bekannter Pfade. Dabei ist es vor allem der Komponist Mieczysław Weinberg, der 2019 seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte, dem dieser grandiose Kammermusik-Abend gebührt.

Am 8. Dezember 1919 als Sohn eines jüdischen Theatermusikers in Warschau geboren, war Mieczysław Weinbergs Leben eng mit den dunklen und bitteren Ereignissen des vorigen Jahrhunderts verbunden. Diese Erfahrungen spiegeln sich auch in seinem musikalischen Schaffen wider: „Viele meiner Werke befassen sich mit dem Thema des Krieges. Dies war leider nicht meine eigene Wahl. Es wurde mir von meinem Schicksal diktiert, vom tragischen Schicksal meiner Verwandten. Ich sehe es als meine moralische Pflicht, vom Krieg zu schreiben, von den Gräueln, die der Menschheit in unserem Jahrhundert widerfuhren,“ sagte der Komponist und Pianist einmal.

Seine Familie wurde in Warschau von den Nationalsozialisten ermordet, er selbst flüchtete nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges zunächst nach Minsk und nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion, dem »Unternehmen Barbarossa«, 1941 nach Taschkent. Von Dmitri Schostakowitsch, mit dem ihn eine langjährige freundschaftliche und respektvolle Beziehung verband, nach Moskau geholt, wurde Mieczysław Weinberg 1953 vom Stalinistischen Terror heimgesucht und drei Monate lang inhaftiert.

Inmitten dieses bewegten Lebens entstand ein reiches und stilistisch überaus vielfältiges musikalisches Œuvre. Gidon Kremer und Madara Pētersone eröffnen das Konzert mit der Sonate für 2 Violinen op. 69 und begeistern mit einer lebendigen und tiefgründigen Interpretation von Weinbergs Musik. Die verflochtenen Klänge der beiden Violinen durchschiffen die unterschiedlichen Charaktere und Farben, die das Werk offenlegt. So entfaltet sich im zweiten Satz über einem sanften Pizzicato eine schöne Melodik.

Mit der Polonaise-Fantasie ergießt sich eine pianistische Springflut über die Kirche und Georgijs Osokins geht in dem Allegro maestoso des 1845/46 entstandenen, späten großen Klavierwerks von Frédéric Chopin vollends in seinem Metier als herausragender Virtuose auf. Im Zusammenspiel mit Gidon Kremer und Madara Pētersone hingegen agiert der 1995 in Riga geborene Pianist als feinsinniger Kammermusiker.

Mit warmen und brillanten Klängen lässt Madara Pētersone Jean Sibelius‘ Notturno op. 51 Nr. 3 erstrahlen. Das lettische Trio bringt Dmitri Schostakowitschs Präludium getragen von einer inneren Freude und die sich anschließende Gavotte im »Tranquillo, molto leggiero« macht einfach Spaß.

Das erste Lausitz Festival hatte intensive musikalische Begegnungen an architektonisch beeindruckenden Spielstätten im Gepäck. Getragen von einem philosophischen Grundtenor und in dieser ersten Ausgabe begleitet von Orpheus und seiner Lyra, war es ein bereicherndes »Unterwegs-Sein« und ein überaus vielversprechender Start in die kommenden Festspieljahre. Für die Premiere des neuen Kunst- und Kulturfestivals in der Ober- und Niederlausitz resümiert der Künstlerische Leiter, Daniel Kühnel: „Es ist so deutlich zu spüren, dass mit dem Lausitz Festival etwas Wichtiges für die Menschen in der Region und gleichzeitig auch für einen wirklich tragfähigen Europäischen Gedanken entsteht und zusammenwächst.

Das Publikum, die Künstler und die Kollegen haben ihre Freude daran entdeckt, herauszufinden, welche gestaltenden Kräfte durch die ereignishaften und einzigartigen Begegnungen in der Lausitz freigesetzt werden können“. So kann man einfach nur sagen: Welcome again!, wenn ab sofort einmal im Jahr die Welt in die Lausitz kommt.

Pauline Lehmann, 20. Oktober 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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