English National Opera brilliert mit „Pirates of Penzance“

Gilbert & Sullivan, The Pirates of Penzance  English National Opera, ENO 8. Februar 2025

John Savournin, ENO’s The Pirates of Penzance 2024 © Craig Fuller 

Was den Parisern Jacques Offenbach und den Wienern Johann Strauß ist den Londonern das Librettisten/Komponisten-Duo Gilbert & Sullivan, und was in der Donaumetropole die „Fledermaus“ und „Wiener Blut“ ist für die Stadt an der Themse „Pirates of Penzance“ und „The  Mikado“.

W.S. Gilbert / Sir Arthur Sullivan
The Pirates of Penzance

Regie: Mike Leigh
Designer: Alison Chittys

Dirigentin: Natalie Murray Beale

Chorleitung: Matthew Quinn

Coproduktion mit Les Théatres de la Ville de Luxembourg und dem Saarländischen Staatstheater Saarbrücken

English National Opera, ENO 8. Februar 2025


von Dr. Charles E. Ritterband

Zündende Melodien, Ohrwürmer geradezu – und zeitkritische, satirische und politische Anspielungen wie in Offenbachs „Orphée“ und in der „Fledermaus“.

Gilbert & Sullivan nehmen auf liebenswürdig-bösartige Weise die puritanische, auf Ämter, Titel und Uniformen erpichte Welt der Queen Victoria aufs Korn. Und selbstverständlich figuriert sie in dieser englischen Operette als die Figur, welche am Ende die skurrile Handlung einer verblüffend einfachen Lösung zuführt – und in dieser Inszenierung dominiert ihr riesiges, fast bühnenfüllendes Konterfei denn auch die letzte Szene…

Drei Jahre nach dem Tod der Königin Victoria im Jahr 1901 wurde das gigantische London Coliseum eröffnet, dieser größte Theaterbau Londons mit 2359 Sitzplätzen (die nahe Royal Opera House Covent Garden hat 103 Plätze weniger!), der mit seinen zahllosen Statuen, Messingtürfallen, Deckengemälden und bunten Glasfenstern an den Türen immer noch den Geist der viktorianischen Ära atmet. Welch besseren Rahmen könnte man sich für diese sprühende viktorianische Operette aus der Feder des begnadeten Librettisten/Komponisten-Duos Gilbert & Sullivan wünschen?

Fantasiehandlung oder tatsächlich Piraterie in Cornwall ?

Der Schauplatz der längst zu Kultstatus avancierten Operette ist das mehr als 400 Kilometer von London entfernte Penzance am Ende einer markanten Halbinsel, die in der Grafschaft Cornwall in den Atlantik hinausragt und den Eingang zum Ärmelkanal markiert. Man mag vielleicht denken, dass die Handlung der „Piraten von Penzance“ nicht mehr als ein Witz war – doch rund ein Jahrhundert bevor dieses Stück im Jahr 1879 im englischen Paignton (südlich von Exeter) und im gleichen Jahr in New York uraufgeführt wurde, trieben in Penzance tatsächlich echte Piraten ihr Unwesen!

Obwohl die lustigen Piraten in Gilberts Libretto recht harmlose Übeltäter sind, die sich mit ihren selbst auferlegten Regeln (sich niemals an Personen zu vergreifen, die zu Waisen geworden sind und nie Schwächere zu attackieren) selber ein Bein stellen und kommerziell völlig erfolglos sind, war mit den historischen Piraten in Cornwall vor zweieinhalb Jahrhunderten offenbar nicht zu spaßen.

Vom Pilot zum Pirate

In dieser Oper kommt es zu allerlei grotesken und typisch englischen Verwirrungen: Der junge Frederic sollte den Beruf des Lotsen (pilot) ergreifen, doch die schwerhörige Amme Ruth dachte, dass „pirate“ gemeint sei und schickte ihn deshalb zu Piraten in die Lehre – und verdingt sich sicherheitshalber gleich selbst als „Mädchen für alles“ bei diesen wilden Kerlen. Die Abmachung ist, dass der sehr korrekt-pflichtbewusste (wohl eine Anspielung auf übertrieben genau genommene viktorianische Tugenden) Frederic die Piraten an seinem 21. Geburtstag verlassen und zu einem bürgerlichen Dasein zurückkehren sollte – doch der „Piratenkönig“ macht ihm klar, dass er am 29. Februar in einem Schaltjahr geboren wurde und folglich erst seinen 5. Geburtstag feiern konnte – und somit bei den Piraten bleiben müsse.

William Morgan, ENOs The Pirates of Penzance 2024 © Craig Fuller

Am Strand taucht eine Schar unablässig kichernder, weißgekleideter Mädchen auf – allesamt Töchter des schon leicht vertrottelten, ordensbehangenen Major-General Stanley: Sie beschließen kühn, Schuhe und Socken auszuziehen und die Füße ins Meerwasser zu tauchen. In peinlichen Situationen – wenn Männer auftauchen, welche die entblößten Damenknöchel sichten könnten – wird ausgiebig übers Wetter Konversation geführt. Durch und durch viktorianisch-prüde.

Doch da taucht Frederic, tauchen die Piraten auf und die Handlung wird turbulent – bis ein Trupp mit Knüppeln bewaffneter Polizisten auftaucht, um sich den Piraten zum Kampf zu stellen. Aber – ein sehr englischer Schluss: die Piraten unterwerfen sich der Autorität der geliebten Königin Victoria und zuguterletzt stellt sich heraus, dass es sich ohnehin um verirrte Lords handelt, die Einsitz im House of Lords nehmen dürfen: das flößt den Polizisten Respekt ein und sie verzichten umgehend auf ihren Kampfeinsatz.

Das ENO-Orchester unter der temperamentvollen Stabführung von Natalie Murray Beale sprüht förmlich und bringt Brillanz dieses Melodienreigens hervorragend zum Ausdruck.

Isabelle Peters, William Morgan, ENOs The Pirates of Penzance 2024 © Craig Fuller

Als unübertroffener Star des Abends glänzte die Mabel von Isabelle Peters – die sich umgehend in Frederic verliebt – mit ihren reinen, klangvollen Koloraturen. Die Ruth der Gaynor Keeble überzeugte mit einer tragenden, melodiösen Stimme und der großartige Bassbariton des imposanten „Piratenkönigs“ John Savournin imponierte mit einem reinen, weichen und doch dominant maskulinen Klang.

James Creswell, the Chorus of ENO, ENOs The Pirates of Penzance 2024 © Craig Fuller

Herrlich, urkomisch in seinen Posen und stimmlich in den Tieflagen unübertroffen James Creswell als Kommandant der Polizeitruppe. Virtuos in seinem zugenbrecherischen Schnelltext der Major-General Stanley des Richard Stuart.

Schlussapplaus mit Queen Victoria im London Coliseum, Foto: Charles E. Ritterband

Die Kostüme sind allesamt großartig, „vintage victorian“ – enttäuschend und gewöhnungsbedürftig allerdings das doch allzu karg-minimalistisch konzipierte Bühnenbild mit geometrischen, knallbunten wie Pappkulissen einer Schüleraufführung wirkenden Wänden, in die abwechselnd eine Drehbühne (darauf das stilisierte Piratenschiff) oder kreisrunde Öffnungen eingebaut wurden.

Man vermisste die schönen alten Bühnenbilder von der wildromantischen Küstenlandschaft Cornwalls, in die sich die wunderbaren Kostüme wesentlich besser eingefügt hätten.

Dr. Charles E. Ritterband, 9. Februar 2025, für
klassik-begeistert.de, 9. Februar 2025

Benjamin Britten, The Turn of the Screw ENO English National Opera, 11. Oktober 2024

W.A. Mozart, The Magic Flute, English National Opera ENO, London Coliseum, englische Fassung, 3. Wiederaufnahme 6. März 2024

W.S. Gilbert / Sir Arthur Sullivan, Iolanthe English National Opera ENO, 7. Oktober 2023

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