Foto © Bettina Stöß
Gioacchino Rossini, Il Barbiere di Siviglia
Deutsche Oper Berlin, 6. Oktober 2017
Ido Arad, Dirigent
Thomas Richter, Chorleitung
Katharina Thalbach, Inszenierung
Momme Röhrbein, Bühne,
Guido Maria Kretschmer, Kostüme
Claudia Gotta, Spielleitung
Yijie Shi, Graf Almaviva
Giovanni Romeo, Bartolo
Vasilisa Berzhanskaya, Rosina
Thomas Lehman, Figaro
Dong-Hwan Lee, Basilio
von Yehya Alazem
Trotz des fürchterlichen Sturms konnten die Zuschauer in der Deutschen Oper Berlin in bester Laune sein und Tränen lachen. Katharina Thalbachs Inszenierung von Gioacchino Rossinis Oper „Der Barbier von Sevilla“, die 2009 Premiere hatte, ist genial.
Diese Oper hat alles, was man von einer Opera buffa erwartet: eine entzückende Partitur, eine dichte, tolle und einfache Handlung und ein frohes Ende für alle – ungeachtet dessen, ob man auf der Bühne oder im Publikum ist.
Die Handlung in dieser Inszenierung spielt in Sevilla, aber in der Jetztzeit anstatt Ende des 18. Jahrhunderts. Wir sehen Häuser am Strand und Touristen, die die Sonne genießen. Schon während der Ouvertüre ahnt man, dass dies ein außergewöhnlich lustiger Abend wird – Nonnen, ein Mann auf einem (richtigen) Esel, ein altes Sportauto und ein Traktor, der eine riesige Ladefläche zieht.
Diese Ladefläche wird später das zentrale Element der Inszenierung: Sie ist die Bühne, auf der die Handlung spielt. Genau wie in Ruggiero Leoncavallos „Pagliacci“ ist nun Bartolo mit seiner Commedia dell’arte-Truppe in Sevilla angekommen, und die Einwohner sowie die Touristen werden eingeladen.
Der Graf Almaviva singt seine erste Arie mit Begleitung von spanischen Straßengitarristen, dann kommt der Star-Barbier, der auch ein Mitglied der Theatertruppe ist, und lockt das Publikum mit seinem Charme und einem Macarena-Tanz.
Die zwei Männer sind befreundet, Almaviva ist in Rosina, die Tochter des Theaterbesitzers, verliebt. Er muss Bartolo erst davon überzeugen, dass er ein Mitglied der Truppe werden kann – Figaro ihm hilft ihm dabei. Rosina ist eine der Schauspielerinnen; ihr strenger Vater hat ihr verboten, die Theater-Ladefläche zu verlassen. Der Schauspieler Basilio beobachtet Rosina ständig. Die Oper spielt jetzt auf der kleinen Theaterbühne.
Im 2. Akt entfernte sich das Geschehen immer mehr von der Originalgeschichte und wurde immer verwirrender. Aber das machte nichts, denn die Inszenierung war voller unerwarteter Witze, Farben und Feuerwerke. Man konnte die Verbindung zwischen den Sängern und dem Publikum so gut spüren, als wäre das Schauspiel auf der Ladeflächenbühne die eigentliche Vorstellung. Die Rezitative waren schauspielerisch komplett durchdacht.
Musikalisch war dieser Abend nicht nur sehr gut. Das Orchester unter dem israelischen Dirigenten Ido Arad spielte mit hoher Lust und Energie, es mangelte aber an vielen Stellen an Präzision. Die berühmten „Rossini-Crescendi“ sollten mehr aufbauend und forcierend gespielt werden. Ido Arad fand nicht die Balance, die Sänger atmen zu lassen, ohne die Energie des Orchesters zu beeinflussen. Die Bläser waren aber einfach wunderbar!
Der chinesische Tenor Yijie Shi fing ein wenig schwach an. Aber er verbesserte sich schnell und sang mit viel Selbstvertrauen. Sein Timbre ist warm und elegant, und er besitzt auch eine gute Koloratur und eine stabile Höhe.
Als seine Geliebte war die junge russische Mezzosopranistin Vasilia Berzhanskaya eine wunderbare Rosina. Sie stellte eine emotionale, liebevolle und trotzige Rosina dar. Ihre Stimme ist dunkel, hat aber einen besonderen Glanz. Sie glänzte sowohl mit schnellen Koloraturen als auch mit wunderschönen Legati. Eine richtige Belcanto-Sängerin!
Der in Mailand geborene Bassbariton Giovanni Romeo gab einen strengen Bartolo mit seiner harten und robusten Stimme. Aber er war auch sehr genussvoll und lustig zu erleben.
Der amerikanische Bariton Thomas Lehman war leider als Figaro nicht vollends überzeugend. Seine szenische Gestaltung war ziemlich arm und entsprach nicht einem Star-Barbier. Lehman hat eine schöne Stimme, aber seine Technik reichte nicht aus: In den schnellen Passagen klang seine Stimme borstig.
Im Gegensatz zu Figaro konnte der koreanische Bass Hong-Hwan Lee glänzen. Sein Basilio hatte ein breites, rundes Timbre mit hoher Subtilität und Ausdruckskraft. Ein hervorragender Einsatz!
Diesen unterm Strich fantastischen Abend an der Deutschen Oper konnte man einfach genießen. Es gab eine schöne Mischung von Humor, Lust und Realität – genau das, was die Berliner brauchten nach dem schrecklichen Sturm.
Yehya Alazem, 9. Oktober 2017, für
klassik-begeistert.de