Barbier, Oper Avenir © Ingo Höhn
Das Theater Basel bringt Rossinis „Barbiere“ in einer ungewöhnlichen Version: Als zweischichtiges, köstliches Spiel zwischen hervorragenden jungen Sängerinnen bzw. Sängern und den ausdrucksstarken Masken des erfolgreichen österreichischen Puppenspielers und Regisseurs Nikolaus Habjan. Ein origineller Spass für Darsteller, Musiker und Publikum, welches das Gebotene verdientermassen mit „Standing Ovations“ honorierte.
Gioachino Rossini (Text Cesare Sterbini), Il barbiere di Siviglia
Musikalische Leitung/Hammerklavier Hélio Vida
Bearbeitung für Kammerensemble von Alexander Krampe
Regie/Masken: Nikolaus Habjan
Graf Almaviva: Ronan Caillet
Rosina: Camille Sherman
Figaro: Kyu Choi
Bartolo: Diego Savini
Basilio: Jasin Rammal-Rykala
Berta: Inna Fedorii
Sinfonieorchester Basel
Herrenchor des Theaters Basel
Puppenspiel: Moritz Schönbrodt, Florence Schlumberger, Fabian Degen
Bühne: Jakob Brossmann
Theater Basel, 18. Dezember 2023
von Dr. Charles Ritterband
Rossinis „Barbier“, 1816 in Rom uraufgeführt – der erste Teil von Beaumarchais’ „Trilogie Espagnole“ –, ist deutlich verspielter als der zweite, 30 Jahre als „Nozze di Figaro“ von Mozart vertonte zweite Teil (obwohl der ja den Untertitel „La folle journèe“, „der tolle Tag“ trägt).
Figaro ist noch nicht des Grafen Almaviva Kammerdiener sondern unabhängier Unternehmer in seinem Barberladen in Sevilla, der ja zugleich auch auch als ambulante Klinik und Zahnarztpraxis dient und er arbeitet für die amourösen Ambitionen des noch jugendlichen Grafen auf Honorarbasis.
Rosina ist ein junges Mädchen im Käfig ihres lüsternen Vormunds, selbstbewusst und gewitzt (siehe ihre Kavatine „Frag ich mein beklommnes Herz“ – wo sie klare Warnungen ausspricht: „Doch wenn man mich da anrührt wo ich verletzlich bin, so steche ich wie eine Viper… bevor ich weiche, wehr’ ich mich“).
In „Nozze“ ist es dann die alternde, frustrierte Gräfin, die sich einen sehr jungen Liebhaber nimmt, Kammerdiener Figaro ist nicht mehr der fintenreiche Tausendsassa, der er noch als Barbier war, sondern lässt sich ziemlich naiv übertölpeln und der Graf ist nicht mehr der schwärmerische Liebhaber, sondern ein alternder Playboy, der von seinen Privilegien (ius primae noctis) skrupellos Gebrauch macht und die Gräfin links liegen lässt – bis ihm dann alle im nächtlichen Garten einen bösen Streich spielen.
Der politisch-revolutionäre Aspekt in Mozarts „Figaro“ fehlt in Rossinis „Barbiere“ – es ist eine reine, turbulente Komödie.
Daher passt es hervorragend, diese komische Oper als turbulentes Maskenspiel zu inszenieren: Habjans Masken sind berühmt und bewährt aus zahlreichen Inszenierungen (und namentlich auch der stets so witzigen Eröffnung der Bregenzer Festspiele) – sie sind alles andere als „schön“ und gefällig, es sind Karikaturen, teils ziemlich böse sogar (insbesondere die geradezu grauenhafte Maske des Don Basilio in dieser Inszenierung).
Überaus virtuos und kunstvoll das Doppelspiel zwischen Sängerinnen/Sängern und Puppenspielern: Manchmal sind Puppen/Masken identisch mit den Darstellern, manchmal lösen und distanzieren sich von diesen – die Verwirrung des Zuschauers ist einkalkuliert und vergrössert die Komik. Die Masken des in seiner Kunst jahrelang erfahrenen Meisters sind so lebendig, dass sie ein Eigenleben entwickeln – und der Zuschauer wird erfolgreich dazu verführt ernsthaft zu glauben, es sei die Maske, die da singt, und nicht der Mensch dahinter.
Ja, die Sängerinnen und Sänger – ausnahmslos fantastisch und alle sehr jung. Herrliches Belcanto – namentlich von der Rosina der Camille Sherman, die ihre Koloraturen mühelos, treffsicher und mit süßem Klang zum Besten gibt, und Ronan Caillet als Almaviva mit herrlich butterweicher, überaus harmonisch vorgetragenen Tenorstimme. Als ausgezeichneter und zugleich witziger Bariton glänzt Kyu Choi in der Titelrolle des Figaro, sonor der Bartolo des Diego Savini, humorvoll und stimmlich glänzend in ihrer grossen Arie die Berta der Inna Fedorii.
Das Kammerensemble des Sinfonieorchesters Basel intoniert Rossinis Musik wunderbar kammermusikalisch, sodass die einzelnen Instrumente wesentlich besser zur Geltung kamen als im üblichen großen Orchester (wenn auch bei der Ouvertüre Rossinis Verve und Temperament etwas vermisst wurden).
Sehr hübsch der eingeflochtene Hochzeitsmarsch aus dem „Figaro“ – als Brückenschlag gleichsam zwischen den beiden Opern.
Störend in dieser eigenwillig-kreativen Darbietung des „Barbiere“ waren drei Dinge: Das vielleicht praktische, aber nun wirklich überaus hässlich Bühnenbild (Bühne: Jakob Brossmann) mit seiner doppelten Wendeltreppe. Der Herrenchor sang zwar sehr schön, entbehrte jedoch (im Gegensatz zu dem in jeder Inszenierung eingesetzten Schönberg Chor des Musiktheaters an der Wien) jeglicher schauspielerischer Begabung oder auch nur Bemühung – was sich vor allem in der Musiker-Szene gleich zu Beginn des ersten Aktes bemerkbar machte.
Und wirklich sehr befremdlich trat die „Forza“, die von Doktor Bartolo herbeigerufenen Soldaten auf: Geradezu furchterregend in schwarzen Gewändern und mit Stahlhelmen. Das wäre weniger militaristisch auch gegangen und passender zum Humor dieser Farce: In bunten, leicht schäbigen Fantasieuniformen vielleicht? Aber was hier zu sehen war – leider eben ausgerechnet am Schluss dieser sonst so brillanten Inszenierung – war gründlich daneben.
Dr. Charles E. Ritterband, 18. Dezember 2023, für
klassik-beigeistert.de und klassik-begeistert.at
Gioachino Rossini, Il Barbiere di Siviglia Wiener Staatsoper, 26. September 2023
Gioachino Rossini, Il barbiere di Siviglia o L’inutile precauzione Garsington Opera, 7. Juli 2023
Gioachino Rossini (1792 – 1868), Il barbiere di Siviglia Haus für Mozart, Salzburg, 8. August 2022