Charlotte Larzelere, Joaquin Angelucci, Louis Musin, Demis Volpi, Futaba Ishizaki, Daniele Bonelli, Matias Oberlin, Aleix Martínez und die Dramaturgin Vivien Arnold
Eines wird man aber schon sagen können, es handelt sich nicht um Ballett, wie wir es bisher kennen, also um Tanz, bei dem es neben dem darstellerischen Ausdruck um die Überwindung der Gravitation geht. Volpis vorgestellte Szenen aus Demian gleichen eher einem erdverbundenen Tanztheater, wie man es seit langem auf Kampnagel in Hamburg sehen kann.
Ballett-Werkstatt IV, Traumbilder
Demis Volpi spricht über die Arbeit an seinem neuen Ballett Demian
Hamburgische Staatsoper, 25. Mai 2025
von Dr. Ralf Wegner
Demis Volpi hat es sich mit Hesses handlungsarmen Roman Demian sicherlich nicht leicht gemacht. Und nach den paar Bruchstücken, die er auf der Bühne vorführen ließ, wurde man auch nicht wirklich schlauer. Er sprach von Traumbildern, die ihn immer wieder begleitet hätten und die er choreographisch umsetzen wolle. Was sei Wahrheit (und was Fiktion), Hesses Roman lasse mehrere Sichten zu, es gäbe nicht nur die eine Wahrheit.
Damit spielte Volpi wohl auch auf die Vorgänge in seinem Ensemble an. Zuletzt hatte sich sogar der Spiegel mit den Dissonanzen beim Hamburg Ballett befasst, vor allem mit einem offenbar rüden Vorgehen des Ballett-Intendanten gegenüber der 17-jährigen Ballett-Schülerin und Tänzerin Azul Ardizzone. Sie tanzte noch vor wenigen Tagen eine Julia, wie man sie intensiver kaum zu sehen bekommt. Volpi will sie trotz ihrer offensichtlich hohen Begabung und für eine Siebzehnjährige herausragenden tänzerischen Leistung nicht in das Ensemble übernehmen.
Warum, wurde nicht bekannt. Jedenfalls soll die junge Tänzerin wegen der wenig freundlichen Art Volpis einen körperlichen Zusammenbruch erlitten haben. Damit erklärt sich auch, warum Azul Ardizzone am Ende der Romeo und Julia-Vorstellung am 16. Mai 2025 ihre Tränen nicht mehr zurückhalten konnte. Denn trotz aller vermutlichen Selbstzweifel hatte sie es mit emotionaler Ausdruckskraft und faszinierender Tanzkunst geschafft, das Publikum zu Begeisterungsstürmen hinzureißen.
Um die Wahrheiten beim Hamburg Ballett aus Zuschauersicht beim Namen zu nennen:
1. Mehr als die Hälfte der Spitzenkräfte des Neumeier-Balletts haben gekündigt.
2. Mehr als die Hälfte des gut 60-köpfigen Ensembles hat sich mit einem Brief an den zuständigen Senator wegen fehlender choreographischer Qualifikation und mangelnder Führungsqualität von Demis Volpi an die Öffentlichkeit gewandt.
3. 17 aktive und ehemalige Mitglieder des Düsseldorfer Balletts am Rhein haben sich wegen vergleichbarer Vorgänge unter dem ehemaligen dortigen Ballettdirektor Demis Volpi mit einem entsprechenden Schreiben ebenfalls an den zuständigen Hamburger Senator gewandt.
4. Azul Ardizzone, derzeit Ballettschülerin, von John Neumeier als wunderbare Julia auf die Bühne geholt, erhält von Demis Volpi keinen Anschlussvertrag.
5. Die Anzahl der Ballette von John Neumeier, die Volpi eigentlich pflegen sollte, wird in der kommenden Saison, wenn alles so bleibt wie es ist, erneut drastisch reduziert.
Die weiteren Ballett-internen Details mögen unterschiedlich interpretiert werden. Vielleicht gibt es in diesem Zusammenhang auch zwei Sichten. Dennoch bleiben die von Demis Volpi geschaffenen, dem Hamburger Ballett in seiner jetzigen Form den Garaus bereitenden Fakten bestehen. Und diese sind aus Zuschauersicht letztlich entscheidend. Deshalb waren der Buh-Sturm und auch die eigentlich unhanseatischen verbalen Missfallenskundgebungen beim Auftritt von Demis Volpi zu Beginn der Ballett-Werkstatt nur zu gut zu verstehen.
Was zeigte er auf der Bühne? Eigentlich recht wenig. Mehr als drei Tänzerinnen bzw. Tänzer traten nie auf. Gruppenszenen waren nicht zu sehen. Es begann mit einer Meditation von Daniele Bonelli (Emil Sinclair) weit im Hintergrund der Bühne, die mich an Sonnenanbetungsrituale im Sinne von Edvard Munchs Osloer Großgemälden Die Sonne oder Der Menschenberg: Hin zum Licht erinnerten.
Zur selben Musik (von John Luther Adams) traten dann Charlotte Larzelere als Emils Mutter und Joaquin Angelucci als Emils Vater sehr erdverbunden auf, soweit ich es aus der 1. Loge links überhaupt sehen konnte. Später kamen sie mit schlangenförmigen Bewegungen und häufigem Einsatz der Arme weiter nach vorn. Und der anschließende Pas de trois am Tisch, Familienglück überschrieben, erinnerte mich von der Bewegung her an den antiken Laokoon, der sich mit seinen Söhnen gegen die sie umzingelnden Schlangen wehrt.
Mit Ballett im von mir verstandenen Sinne hatte das bisher wenig zu tun, es überschnitt sich sehr deutlich mit Tanztheater, wie man es auf Kampnagel seit langem zu sehen bekommt.
Es schlossen sich Soli von Futaba Ishizaki (Beatrice) und Aleix Martínez (Pistorius) an. Ishizakis elegant vorgetragenes Solo war schön anzuschauen, ebenso jenes von Greta Jörgens, die den Part dramatischer anlegte. Was dem so exzellenten Ersten Solisten Aleix Martínez allerdings choreographisch abverlangt wurde, lag weit unter seinem eigentlich fantastischen tänzerischen Niveau. Am Schluss traten noch ein ausdruckstarker Matias Oberlin als Max Demian und der vom Ausdruck her eher schüchtern wirkende Daniele Bonelli in zwei Pas de deux auf.
Eine Vorstellung von dem, was uns bei der Premiere auf der Bühne erwartet, gelang eher nicht. Zumal jegliche Gruppenszenen fehlten. Eines wird man aber schon sagen können, es handelt sich nicht um Ballett, wie wir es bisher kennen, also um Tanz, bei dem es neben dem darstellerischen Ausdruck um die Überwindung der Gravitation geht. Volpis vorgestellte Szenen aus Demian gleichen eher einem erdverbundenen Tanztheater. Ob der Beifall des Publikums aber der vorgestellten Choreographie oder doch eher den auftretenden Tänzerinnen und Tänzern galt, lässt sich schwerlich belegen.
Der großartige Louis Musin und die kurzfristig für die verletzte Lin Zhang eingesprungene Futaba Ishizaki beeindruckten abschließend mit einem vom Publikum begeistert aufgenommenen, etwa 10-minütigen Pas deux auf Musik von Elvis Presley. Demis Volpi hatte mit diesem, Little Monsters genannten Stück 2011 in Toronto den Preis für die beste Choreographie erhalten. Volpi wird es wieder auf der nächsten Nijinsky-Gala zeigen.
Im Übrigen fiel auf, dass das öffentliche Training nicht von Volpis Erstem Ballettmeister Damiano Pattenella, sondern von dem Stellvertretenden Ballettdirektor und Neumeier-Experten Lloyd Riggins geleitet wurde.
Dr. Ralf Wegner, 25. Mai 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Kommentar: Demis Volpi – wie soll es weitergehen? Hamburgische Staatsoper, 15. Mai 2025
Ballett-Werkstatt I, The Times Are Racing Hamburg Ballett, Staatsoper Hamburg, 15. September 2024
Es wird Zeit, dass Demis Volpi geht. Wir haben den großartigen Edvin Revazov, der grade als Choreograph mit dem Kammerballett seine Erfolge feiert. In Zusammenarbeit mit Lloyd Riggins wäre das doch sicher eine gute Alternative.
Mit der jetzigen Situation bleiben sicher in der kommenden Saison weiterhin viele Plätze leer.
Vero Benthin-Oehlrich
Es werden mit Sicherheit viele Stühle leer bleiben, aber damit ist das Problem doch nicht gelöst. Im Gegenteil: Sie können davon ausgehen, dass die politisch Verantwortlichen genau das von langer Hand beabsichtigt haben – da bin ich ganz beim Kollegen Wegner – und sich die Hände reiben. Denn umso leerer das Haus ist, umso widerstandsloser können die Frevler das ganze Ballett schlussendlich einstellen. Es wird dann niemandem mehr fehlen und man wird argumentieren, dass das Ballett entbehrlich ist. Leute wie Volpi sind die Totengräber unserer Kultur, vermutlich sogar entsprechend instrumentalisiert von den Steuernden dieses Systems.
Ich fürchte, dass es mit der Oper noch ähnlich gehen wird…
Kirsten Liese
Nachlese zur Ballett-Werkstatt und überhaupt –
Es spielt sich eine Tragödie ab. Die Unmutsbekundungen in der Ballett-Werkstatt waren mehr als berechtigt. Gleichzeitig sieht man natürlich den Menschen auf der Bühne. Der aufmunternde Beifall war hier und da auch ein Akt des Mitleids.
Etwas lässig waren die Kündigungen der Spitzenkräfte des Ensembles zunächst als normale Vorgänge bei einem Wechsel des Vorgesetzten abgetan worden. Dann wurde das ganze Ausmaß sichtbar. Was muss man davon halten: eine anonyme Befragung des Ensembles… bei einer solchen Schmach wäre ich als Verantwortlicher freiwillig zurücktreten. Was bisher noch nicht geschehen ist, ist zu hinterfragen, was die damalige Findungskommission mit der Entscheidung für diese Besetzung verbunden hat. Vermutlich soll ein jüngeres Publikum angesprochen werden, als das, welches derzeit zumeist im Foyer anzutreffen ist? Ob dieses Unterfangen aufgeht? Es wird immer gern mit argumentiert, dass die beiden Stücke des neuen Intendanten erfolgreich waren. Sagen wir mal lieber, sie waren gut besucht. Wir waren alle neugierig, der Presserummel um diesen Wechsel war groß und wir haben Karten gekauft. Aber es wird keinen zweiten Besuch dieser Stücke geben, dafür haben sie nichts fürs Herz oder Inspiration geboten. Letztlich waren es zusammengesetzte Stücke mit einzelnen Bildern. Den Nussknacker dagegen werde ich dieses Jahr zum achten Mal sehen, Stücke wie Glasmenagerie (wir werden Alina Cojocaru wohl ebenfalls kaum wiedersehen) oder Kameliendame sieht man auch schnell fünf- oder sechsmal. Oder Romeo und Julia, in dem wir 2023 Azul Ardizzone gesehen habe. Man konnte damals erkennen, dass sie alles dafür gab, dass das Publikum zufrieden sein soll. Diesen Wunsch zu sehen machte die Aufführung sehr liebenswert. Als ich vor zwei Wochen das Stück erneut gesehen habe, waren wir uns einig, dass die junge Frau in kurzer Zeit künstlerisch unglaublich gewachsen ist. Was für ein Talent! Die anschließenden Nachrichten über Azul haben uns fassungslos zurückgelassen. Leider wird es noch mehr Angebote in der neuen Saison im Stil der rasenden Zeiten und das langsame Brennens geben. Wir werden kaum noch dabei sein. Als wir zu dritt nach der Werkstatt vor drei Tagen die Köpfe zusammengesteckt haben, waren wir von den Skizzen von Demian nicht überzeugt. Eine Freundin sagte: „Nun ja, jetzt haben wir schon die Karten, jetzt müssen wir auch hingehen.“ Mittlerweile haben wir aber bei der Staatsoper angefragt, ob man die Karten zurückgeben könne aufgrund besonderer Umstände. Der Programmtausch von Demian und den Surrogate Cities ist die Reißleine, um ein Debakel bei der Premiere und noch lauteren Forderungen nach einer personellen Veränderung zu verhindern. Dass angesichts der Not des Ensembles die Freunde des Ballettzentrums Hamburg sich (zwar verbal auch hinter die Compagnie, letztlich aber) hinter den Intendanten stellen, kann wohl nur so verstanden werden, dass die Verfasser*innen des Statements lieber den Intendanten auf der Bühne sehen mögen als das Ensemble. Immerhin: Zumindest Alessandro Frola kann man beglückwünschen: In Wien will Frau Ferri das Ensemble zur Weltspitze führen, gut, dass da gerade ein Platz frei wird.
C. Fittschen
Rückgabe von gekauften Demian-Karten ist möglich
Die Staatsoper nimmt die Karten problemlos zurück, da mit den Cities eine Programmänderung eingetreten ist, und erstattet den Kaufpreis.
C. Fittschen