Foto: Manfred Baumann (c)
Musikverein Wien, 16. Juni 2018
Gioachino Rossini, Il viaggio a Reims, ossia L’albergo del Giglio d’Oro oder: Die Reise nach Reims oder Das Hotel zur Goldenen Lilie
Dramma giocoso in einem Akt
Libretto: Giuseppe Luigi Balocchi
Konzertante Aufführung in italienischer Sprache – Benefizkonzert zugunsten von Sinfonía por el Perú
von Charles E. Ritterband
Ein derart fulminanter Abend ist selbst im altehrwürdigen Goldenen Saal des Wiener Musikvereins nicht allzu häufig: Der in Lima geborene Juan Diego Flóres, einer der bedeutendsten Tenöre der Welt, lud zu einem Benefizkonzert für die von ihm gegründete Initiative „Sinfonía por el Perú“. 2011 hatte der Sänger diesen Wohltätigkeitsverein geschaffen, der Kindern und Jugendlichen – überwiegend aus sozial benachteiligten Schichten – kostenlosen Zugang zu intensivem und regelmäßigem Musikunterricht zur Verfügung stellt. In 21 Musikschulen in ganz Peru werden rund 8000 Kinder in Chören und Orchestern unterrichtet. Dabei geht es nicht nur um Musikerziehung – die Musik ist ein Vehikel, das den Kindern, die zu einem beträchtlichen Teil aus den Slums am Stadtrand der Millionenmetropole Lima stammen, mittels Engagement und gleichberechtigter Teilhabe ein Wertegerüst bietet, das diesen Kindern und Jugendlichen Selbstbewusstsein, Verantwortungsgefühl, Respekt und Gemeinschaftssinn vermittelt und ihnen eine Perspektive für ihr künftiges Leben gibt.
Flóres hat für diesen hinreißenden, vom Kultur-Fernsehsender ORF3 live übertragenen Abend ein extrem anspruchsvolles Programm gewählt – Rossinis entzückenden Einakter „Il viaggio a Reims“. Diese Opera buffa wird sehr selten aufgeführt – in Wien das erste und letzte Mal vor etwas über 30 Jahren. Aus naheliegenden Gründen: Das außergewöhnliche und so charmante Werk hat zwar keine wirkliche Handlung – diese spielt sich in einem fiktiven Hotel in Plombières-les-Bains – besteht eigentlich nur aus dem Warten auf eine Transportgelegenheit zu den Krönungsfeierlichkeiten für Karl X in Reims am folgenden Tag. Eigentlich ist das Ganze gar keine wirkliche Oper, sondern eine Art szenische Kantate. Doch die Handlungslosigkeit steht in Kontrast zum wohl einmaligen Erfordernis: zehn Hauptrollen, die durch hochkarätige, durchwegs virtuose Koloratur-Interpreten zu verkörpern sind. Das gelingt selten, und so ließ man es denn sinnvollerweise zumeist bleiben – mit wenigen Ausnahmen, wie eben jener historischen, unvergesslichen Aufführung an der Wiener Staatsoper im Januar 1988.
Juan Diego Flores gelang es, nicht nur zehn sondern 13 absolute Spitzensängerinnnen und Sänger zusammenzubringen – und dazu das Filarmonica Gioachino Rossini–Orchester, welches das hervorragende Rossini-Festival in Pesaro bestreitet und zweifellos den weltweit führenden Klangkörper für die orchestrale Begleitung von Rossini-Opern verkörpert. Unter der präzisen und zugleich humorvoll-augenzwinkernden Stabführung des jungen Amerikaners Christopher Franklin konnte dieses Rossini-Orchester die ganze Spritzigkeit dieser Oper hervorragend zur Geltung bringen. Der Rossini-Biograph Richard Osborne bezeichnet „Il Viaggio“ als „eines der verrücktesten und erheiterndsten Unterhaltungsstücke, die je aus der Feder eines Opernkomponisten geflossen sind. Rossini versammelte ein außergewöhnliches Ensemble für ein außergewöhnliches Werk und schrieb seinen hochbegabten Sängerinnen und Sängerinnen die brillanten Arien gewissermaßen auf den Leib und in die Kehlen. Das ganze, bestehend aus nur neun Gesangsnummern, die durch Secco-Rezitative miteinander verbunden sind, ist ein Sammelsurium mit verschiedenen Typen von Arien aus den komischen Opern Rossinis – unter parodistischen Zitaten großer Komponisten wie Beethoven und Bach sowie köstlichen Sprach-Persiflagen.
Die Uraufführung fand am 19. Juni 1825 als geschlossene Veranstaltung im Pariser Théatre-Italien bei einer Gala für und in Anwesenheit des Königs Karl X (um den es in dieser Oper ja auch geht) statt. Es gab nur drei Vorstellungen – alle ausverkauft und mit Begeisterung vom Pariser Publikum aufgenommen. Dann aber zog Rossini das Stück erstaunlicherweise zurück und verwendete große Teile davon in seiner späteren Oper „Le Comte Ory“.
Im Musikverein brillierten alle 14 – nicht nur 10 – Sänger. An ihrer Spitze und als Star des Abends natürlich Juan Diego Flórez als Conte di Libenskof. Er legte in seine Stimme allen wohltuend sanften Schmelz und zugleich Brillanz und Stärke hinein, als ob dies sein Paradestück werde sollte. War es denn auch – vereint mit Humor und Temperament. Diese Qualitäten waren beim gesamten Ensemble überreich vorhanden – selten habe ich so viel Begeisterung und Engagement erlebt. Unter den zahlreichen herausragenden „Friends“ von Flóres, die diesen Abend fulminant bestritten, war die aus St. Petersburg stammende Mezzosopranistin Anna Goryachova, die dem begeisterten Publikum – vor allem in ihrem atemberaubend schönen Duett mit Flórez – Kraft und Wärme, gepaart mit Humor und präzisen Koloraturen darbot.
Charles Ritterband, 17. Juni 2018, für
klassik-begeistert.de
Juan Diego Flórez and Friends
Filarmonica Gioachino Rossini Orchestra
Chorakademie der Wiener Staatsoper
Christopher Franklin Dirigent
Ruth Iniesta Sopran (Corinna)
Anna Goryachova Mezzosopran (Marchesa Melibea)
Marina Monzó Sopran (Contessa di Folleville)
Carmen Romeu Sopran (Madama Cortese)
Xabier Anduaga Tenor (Cavalier Belfiore)
Juan Diego Flórez Tenor (Conte di Libenskof)
Simone Alberghini Bariton (Lord Sidney)
Roberto Lorenzi Bassbariton (Don Profondo)
Paolo Bordogna Bassbariton (Barone di Trombonok)
Gurgen Baveyan Bariton (Don Alvaro)
Daniele Antonangeli Bassbariton (Don Prudenzio)
Óscar Oré Tenor (Don Luigino, Zefirino, Gelsomino)
Laura Olivia Spengel Mezzosopran (Delia, Maddalena)
Lorika Ismajli Hainzl Sopran (Modestina)
Stefano Marchisio Bariton (Antonio)
Walter Auer Soloflöte
Robert Palfrader Gast (Karl X., König von Frankreich)