Rossinis „L’Italiana“: Schrill, humorvoll, grotesk, knallbunt und wie immer ein Festival mit Belcanto zum Niederknien

Gioachino Rossini, L’Italiana in Algeri  Teatro Rossini, Pesaro, 12. August 2025

Fotos: www.rossinioperafestival.it

Das Rossini-Opera-Festival in Pesaro, das sich in den stolzen 45 Jahren seines Bestehens als Pilgerstätte für die besten Rossini-Aufführungen weltweit profiliert hat, versucht sich immer wieder mit erfrischenden, eigenwilligen, ja kühnen Inszenierungen bekannter und wenig bekannter Werke des bekanntesten Sohnes dieser attraktiven Stadt in den Marken an der Adria.

Gioachino Rossini, L’Italiana in Algeri

Dirigent: Dmitry Korchak

Regie: Rosetta Cucchi
Bühne: Tiziano Santi
Kostüme: Claudia Pernigottii

Coro del Teatro Ventidio Basso (Chorleitung: Pasquale Veleno)
Orchestra del Teatro Comunale di Bologna

Teatro Rossini, Pesaro, 12. August 2025

von Dr. Charles E. Ritterband

1792 in eine Musikerfamilie geboren steht hier alles (vom Rossini-Wein zur Rossini-Pizza) im Zeichen des brillanten Komponisten Gioachino Rossini, der 39 meist humorvolle Opern – neben opere serie wie Tancredi und Guillaume Tell – geschrieben hatte, bevor er sich ganz seiner kulinarischen Leidenschaft zuwandte und namentlich das legendäre „Tournedo Rossini“ schuf.

Die Festival-Neuinszenierung der „L’Italiana in Algeri“ zieht alle Register der szenischen Innovationen: Schrill, humorvoll, grotesk, knallbunt und wie immer am Festival, mit Belcanto zum Niederknien…

Stendhal sagte, als Rossini „l’Italiana“ komponierte, war er in der vollen Blüte seines Genies und seiner Jugend.

Die „Italiana“ ist wohl die extravaganteste unter den mehr als drei Dutzend Opern Rossinis – allein dies rechtfertigt bereits eine äußerst ungewöhnliche, ja frappierende Annäherung an dieses Werk: Isabella (Daniela Barcellona), die temperamentvolle und überaus dominante „Italiana“, welche der Super-Macho Mustafà um jeden Preis gegen seine Ehefrau Elvira (Vittoriana de Amicis), die ihm zu langweilig wurde, eintauschen möchte, wird hier als turmhoch-überragende „Drag Queen“ auf die Bühne gebracht.

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Ihre kraftvollen und doch kontrollierten und melodischen Belcanto-Koloraturen machten sie zum unbestrittenen Star des Abends. Das zumeist aus (englisch-exzentrischen) Pesaro-Habitués bestehende Publikum spendete ihr minutenlangen und doch englisch-zurückhaltenden Applaus. Schon ihr  Entree mit dem berühmten „Cruda Sorte! Amor tiranno!“ war atemberaubend.

Die Regisseurin Rosetta Cucchi begründet im Programmheft den Einsatz der Isabella und anderer ebenfalls von Mustafàs Piraten gefangen genommenen Italienerinnen als Drag-Queen. Allein in dieser Erscheinung ist Isabella in der Lage dem machistischen, brutalen und sprunghaft-irrationalen Sultan Mustafà die Stirn zu bieten. Ihre „Femininität“ ist nicht natürlich, sondern artifiziell, konstruiert, theatralisch, politisch und vor allem hochgradig subversiv. Cucchi argumentiert, dass Rossini selbst seinen Charakteren Ironie einflößte, sodass die Regisseurin durchaus im Sinne des Meisters handelte mit ihrer Inszenierung.

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Der eitle und eingebildete Mustafà wird so zur Strecke gebracht vom Objekt seines Begehrens. Eine Rückkehr zu den von Rossini selbst eingebrachten Innovationen, argumentiert Cucchi. Das Algerien der „Italiana“ war nie real oder realistisch, es war stets Projektionsfläche für exotisch-orientalische Fantasien von Europäern. Hier, in dieser Inszenierung, wird dieses Algerien zum grellen Kitsch, zur Pop-Karikatur überhöht – als harte, parodistische Antwort auf die europäischen Orient-Fantasien.

Das funktioniert ausgezeichnet im ersten Akt, mit feinem Humor – beispielsweise und zweifellos als beste Pointe als vor dem Fenster des Ehepaars Elvira-Mustafà: Vor dem Fenster landet ein Storch mit Kulleraugen und Baby in der Trag-Windel, doch als sich bei dem gelangweilten Ehepaar nichts mehr abspielt, fliegt er unverrichteter Dinge weiter und nimmt das Baby wieder mit: Köstlich.

Doch nach der Pause wird dies alles für meinen Geschmack etwas zu knallbunt, turbulent und forciert komisch.

Für subtilen Humor ist nunmehr kein Platz, stattdessen wird mit großer Kelle angerührt. Versöhnlich stimmt die Applausordnung in ihrer konsequent poppig-nostalgischen Aufmachung: Vor einem großen bunten Regenbogen fährt ein farbig bemalter Bus ein, dem die Protagonistinnen und Protagonisten zum Schlussapplaus entsteigen – unweigerlich kommten da Erinnerungen an Hippie-Kultur und 60er Jahre.

Schlussapplaus – Foto Dr. Charles E. Ritterband

Giorgi Manoshvilis Mustafà begeistert mit seinem sonoren, sehr männlichen Bass und als großartiger stimmlicher Kontrast der von ihm zur Zwangs-Ehe mit seiner Ex Elvira auserkorene italienische Sklave Lindoro (im Sultanspalast, wie könnte es auch anders sein, in der Gelato-Produktion eingesetzt): Der kanadische Tenor Josh Lovell mit seinem überaus feinen, wohlziselierten Belcanto.

Das Orchester des Teatro Comunale di Bologna unter der souveränen Stabführung von Dmitry Korchak gibt dieser großartig-grotesken Rossini-Oper all die Aufmerksamkeit, das Temperament aber auch die rhythmische Exaktheit, die ihr gebührt.

Dr. Charles E.  Ritterband, 13. August 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Besetzung:

Mustafà: Giorgi Manoshvili
Elvira: Vittoriana de Amicis
Zulma: Andrea Nino
Haly: Gurgen Baveyan
Lindoro: Josh Lovell
Isabella: Daniela Barcellona
Taddeo: Misha Kiria

Gioachino Rossini, Ermione Rossini Opera Festival, Pesaro, 13. August 2024

Gioachino Rossini, L’Equivoco Stravagante Rossini Opera Festival Pesaro, 12. Augsut 2024

Rossini Opera Festival 2023 Pesaro, 17. Juli – 23. August 2023

Opern- und Musikfestival Rossini in Wildbad Bad Wildbad 19. – 20. Juli 2024

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