Ganz Wien kniet vor Cecilia Bartoli

Georg Friedrich Händel, Giulio Cesare in Egitto  Wiener Staatsoper, 9. Juli 2024

Foto © Marco Borrelli

Der letzte Ton ist vorbei, alles nur Schall und Rauch. Nicht so bei Cecilia Bartolis Gastspiel in Wien. Bei der gebürtigen Römerin gibt es sogar an der Wiener Staatsoper einige Zugaben. Zuvor hat die 58-jährige Ausnahmesängerin bewiesen, dass sie noch lange nicht zum alten Eisen zählt. In Händels „Giulio Cesare“ stiehlt ihr nur einer fast die Show: Countertenor Carlo Vistoli in der Titelpartie.

Georg Friedrich Händel, Giulio Cesare in Egitto

Wiener Staatsoper, 9. Juli 2024

von Jürgen Pathy

Das gibt’s ja gar nicht. Da denkt man sich gerade noch, die Bartoli hat’s nicht mehr drauf. Die Stimme glüht nicht mehr so wie früher. Da schaltet die quirlige Ausnahmekünstlerin plötzlich einen Gang höher. Den kompletten ersten Akt lang hat sie ihre Kräfte geschont, den zweiten auch noch. Ab der Arie „Se pietà“, in der sie ihren Schmerz auf dem Silbertablett ausbreitet, hebelt sie einen komplett aus dieser Welt. „Wenn du kein Mitleid mit mir hast, Himmel, werde ich sterben“. Cleopatras wehmütige Klage, nachdem Cesare ihr zuvor die kalte Schulter gezeigt hat.

Monte Carlo zu Gast in Wien

Rechts auf der Galerie schluchzt ein Gast, das gesamte Publikum an der Wiener Staatsoper hängt an ihren Lippen. Ausverkauft, versteht sich fast von selbst. Seit ihrem ersten Gastspiel 2022 hat sich Cecilia Bartolis Gastspiel zu einem Highlight der Saison manifestiert. „Da kann sich der Roščić ein Stückchen davon abschneiden“, schießt eine Dame in Richtung Direktion, die sich mit fragwürdigen „Woke“-Inszenierungen den Unmut vieler Stammgäste zugezogen hat.

Davide Livermores Inszenierung hat es in sich. Die „elendig langen Rezitative“ hat der italienische Regisseur mit heiteren Einlagen aufgepeppt, die Bühne mit Spiegeln illusorisch vergrößert. „AND NOW JUST FOR YOU“, richtet sich Giulio Cesare ans Publikum. Während sich der römische Imperator, bei Livermore ein Schiffskapitän, zwischendurch in „Frankie Boy“, Frank Sinatra, verwandelt und einen auf SHOWMAN macht. Countertenor Carlo Vistoli ist dabei mit allen Wassern gewaschen. Ausgedehnte Arien, Rezitative & Koloraturen – mit allen nur erdenklichen Kapriolen hat Händel seine Partien bestückt.

Ein Fest der Countertenöre

Kangmin Justin Kim als Sesto ist dabei die „weiblichste“ aller Männerstimmen, die im Falsett singen, um einen vagen Einblick zu gewinnen, wie Kastraten zu Händels Zeiten geklungen haben müssen. Star-Countertenor Max Emanuel Cenčić „the most grotesque figure” als Tolomeo. Der Rest des Casts kann sich ebenfalls sehen und hören lassen. Luca Vianello als Curio liefert einen enorm wuchtigen Kontrast, während er seinen Bassbariton profund erklingen lässt. Sara Mingardo mit ihrer Altstimme zählt vermutlich sowieso zu den besten, die man sich in ihrem Stimmfach gerade vorstellen kann.

Großes Lob gebührt auch Gianluca Capuano. Dem italienischen Dirigenten ist es erst zu verdanken, dass die Bartoli zu solchen Höhenflügen ansetzen kann. Mit großer Sorgfalt leitet er die Arien der Bartoli erst ein. Lässt viel Ruhe und breiten Atem walten, als sie zu ihren großen Arien ansetzt. Erst dadurch entfalten sich diese innigen Leideskundgebungen zu dem, was sie schlussendlich geworden sind: Highlights des Abends, der ganzen Saison vielleicht.

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 11. Juli 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Georg Friedrich Händel, Giulio Cesare in Egitto Wiener Staatsoper, 9. Juli 2024 

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