Bildquelle: Ennevifoto / Arena di Verona
Vor genau einem Jahrhundert wurde die römische Arena erstmals mit einer Oper bespielt, seither wird das gewaltige Bauwerk jeden Sommer das Opera Festival mit den populärsten „Blockbusters“ von Verdi, Puccini oder Bizet (Carmen) mit spektakulären Inszenierungen bespielt – mit elfjähriger Unterbrechung während der Weltkriege und der jüngsten Pandemie. Die erste Inszenierung im Jahr 1913 war Verdis „Aida“, ganz im Stil der damals üblichen Massenaufmärsche mit exotisch kostümierten Statisten und aufwendigen Kulissen – und mit besonderer Spannung wurden vom Publikum die Elefanten im legendären Triumphmarsch erwartet. „Aida“ blieb noch vor „Carmen“ und „Nabucco“ mit nicht weniger als 736 Aufführungen die meistgespielte Oper in der Arena.
Arena di Verona Opera Festival, 16. Juli 2023
Giuseppe Verdi, Aida
Libretto: Antonio Ghislanzoni
Dirigent: Marco Armiliato
Inszenierung: Stefano Poda
Aida: Anna Netrebko
Radamès: Yusif Eyvazov
Pharao: Simon Lim
Amneris: Olesya Petrova
Ramfis: Rafał Siwek
Amonasro: Alberto Gazale
Orchester, Chor und Ballett der Fondazione Arena di Verona
Chormeister: Roberto Gabbiani
In italienischer Sprache
von Dr. Charles E. Ritterband (Text und Fotos)
Während der Wiederaufnahme nach Covid wurde aus Sicherheitsgründen erstmals auf Kulissen verzichtet und stattdessen spielte sich das ägyptische Königsdrama ausschließlich vor hervorragenden Projektionen mit modernster Technik ab. Doch zum 100. Jubiläum der Festspiele und somit auch der „Aida“ in der Arena wurde eine Neuinszenierung (Stefano Poda) präsentiert, die alles bisherige buchstäblich in den Schatten stellte:
Effektvoll – vielleicht allzu effekthascherisch – wurden alle Register gezogen, welche die aktuelle Bühnentechnologie bietet: Ausgiebig kamen Laser-Strahlen in allen Farben zum Einsatz, die Hinterbühne wurde dominiert von einer riesigen mechanischen Hand, die sich eher unmotiviert bewegte und in ihrer High-Tech-Perfektion sehr an den geradezu epochalen Rigoletto-Kopf (mit identischer mechanischer Hand – von Verona übernommen?) der letzten Produktion der Seebühne Bregenz erinnerte.
Was diese knallig bunte, zweifellos beeindruckende aber letztlich ziemlich sinnlose Techno-Show mit Verdis guter alter Aida zu tun haben sollte, blieb allerdings offen. Dieser (offenbar eher nostalgisch eingestellte) Rezensent hätte jedenfalls die altbewährten ägyptischen Tempelsäulen vorgezogen, wie sie ja noch letztes Jahr in der großartigen Zeffirelli-Inszenierung zu bewundern waren.
Auf einer gläsernen Spielfläche, auf der die Statisten – ungewollt oder beabsichtigt – aus- und herumrutschten und aus der mittels Klappen dann die Gefangenen und die Krieger des äthiopischen Königs Amonasro herauskrochen, wickelte sich die ganze Oper vor der Riesenhand ab.
Statisten und Chor wuselten anfänglich mit schwarzen Trikots und schwarzbemalten Gesichter, die sie zu unmotivierten Grimassen verzerrten, auf dieser rutschigen Fläche herum und befingerten die Protagonisten. Später waren dann alle Statisten und Choristen ganz in Alufolie gehüllt – ein riesiger, silberglänzender Haufen, in dem man Mühe hatte, die Solisten und Solistinnen überhaupt zu finden. Das ganze wirkte eher wie ein riesige Recycling-Fabrik als wie eine Aida-Inszenierung. Spektakulär bestimmt, beeindruckend wohl auch für viele der maximal 15000 Zuschauer (nicht alle Plätze waren besetzt auf den Steinstufen oder im „Parkett“) – aber wohl nicht sehr erhellend, was die Handlung betrifft, und „Aida“-Erstbesucher dürften aus dieser Inszenierung wenig Rückschlüsse erhalten haben, was sich denn nun wirklich in dieser dramatischen Story abspielte und was nicht.
Da gäbe es ja noch die vielsprachige Inhaltsbeschreibung im Programmheft – allerdings mit grobem Fehler im deutschen Text, der zur allgemeinen Verwirrung beitragen dürfte: „die Anschuldigungen des Königs Ramphis“ während des Prozesses gegen den verliebten Fehldherrn Radamès. Sorry – Ramphis ist mitnichten der König (Pharao), sondern der Hohepriester.
Video Dr. Charles Ritterband
Superstar Netrebko neben schwachem Radamès
Unbestreitbar kamen jedoch die Opernfans musikalisch auf ihre Rechnung – und der absolute Höhepunkt, der wohl auch für viele Besucher der ausschlaggebende Faktor war, sich eine Karte zu beschaffen, war die weltberühmte (und inzwischen aus den bekannten weltpolitischen Gründen von vielen Bühnen verbannte) Anna Netrebko. Ihre immer noch fantastische, melodiöse und inzwischen in wunderbare Tiefen gereifte Stimme war es, was diesen Abend trotz visuellen Schrecknissen doch noch zu einem Erlebnis machte. Sie singt diese Aida souverän, gefühlvoll, mit weicher und stets hochprofessionell kontrollierter Stimme. Die Amneris der aus Petersburg stammenden Mezzosopranistin Olesya Petrova war in ihrem sängerischen Niveau ihrer illustren Kollegin Netrebko fast ebenbürtig: kraftvoll, leidenschaftlich und stets souverän – im „Pace , pace“, das diese Oper so bewegend beendet, zeigte sie subtile Zurückhaltung.
Sehr musikalisch und präzis aber ebenfalls prononciert zurückhaltend – wie um der herrlichen Netrebko akustisch das Feld zu überlassen – das hauseigene Orchester unter dem altbewährten Meisterdirigenten Marco Armiliato. Etwas farblos aber stimmlich sicher der Amonasro des italienischen Baritons Alberto Gazale. Dominant und kraftvoll der polnische Bass des Oberpriesters (nicht Königs!!) Ramfis, Rafał Siwek. Enttäuschend und als Partner seiner Gattin, der Operndiva Netrebko, in keiner Weise gewachsen, der Radamès des aserbaidschanischen Tenors Yusif Eyvazov.
Er brachte es zwar zielsicher auf das von Tenören gefürchtete Hohe b als Höhepunkt der berühmten Arie „Celeste Aida“ – doch sonst fehlte ihm der tenorale Schmelz, den man sich von dieser Rolle erhofft, oder auch schlicht die gesangliche Schönheit und Souveränität. Schade, dass dieser phänomenalen Aida kein ebenbürtiger Radamès gegenüberstehen durfte.
Dr. Charles E. Ritterband, 20. Juli 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Irrtum, Herr Ritterband!
Die „alte“ Aida war zuletzt (nach Corona) in voller Kulissenüppigkeit zu sehen!
Waltraud Becker