Berlin: Bieito zeigt die Schattenseiten der Suezkanal-Eröffnungsoper... auch mit Aida provoziert und triumphiert er zugleich!      

Giuseppe Verdi, Aida  Staatsoper Unter den Linden, Berlin, 9. Oktober 2023

Fotos: Herwig Prammer © Staatsoper Berlin

So eine Aida wird es so schnell nicht wieder geben.  Yusif Eyvazov liefert, die Musik triumphiert und Elīna Garanča siegt! Und eine wunderbar Verdi-kritische Inszenierung vom Skandal-Regisseur Calixto Bieito krönt die Spitze eines glorreichen Opernabends.

Staatsoper Unter den Linden, Berlin, 9. Oktober 2023

Aida
OPER IN VIER AKTEN (1871 )

Musik von Giuseppe Verdi
Text von Antonio Ghislanzoni nach einem Szenario von François Auguste Ferdinand Mariette


von Johannes Karl Fischer

Bieito ohne Buh-Rufe, das geht gar nicht! Da scheint das Berliner Opernpublikum meine Meinung zu teilen. Und diesmal erwischt es die Triumphzug-Szene. Oder besser gesagt: Die Szene mit dem Trompetenmarsch.

Denn von Gloria-Stimmung ist hier nicht viel zu sehen. Wo in Verona einst Elefanten quer durch die Arena marschierten, tanzt hier ein peitschender, rothaariger Clown vor einem mattweißen Bühnenbild umher. Unter den Gefangenen sind auch Kinder, eins bekommt eine Knarre in die Hand gedrückt. Definitiv unschöne Szenen. Aber ein Schlag ins Gesicht für den Militarismus!

Keine pompösen Ballettszenen, keine feierlichen Fahnenzüge. Stattdessen musikalisch triumphale Trompetenmärsche mit bitterem Beigeschmack. Weitgehend weiße Wände, bunte Karikaturen am laufenden Meter, Soldaten in schwarz-weiß-kirchlich-konservativen Kleidern. Vielleicht nicht das, was die Leute so sehen wollen. Aber absolut das, was diese Oper braucht.

Herr Bieito, sie haben mal wieder das Libretto zwischen den Zwischenzeilen gelesen. Ihre Regie nimmt das Werk so richtig auseinander. Eine längst überfällige Aufgabe. Fazit: Aida sollte nur noch in solch kritisch mit dem Werk umgehenden Inszenierungen gezeigt werden. Oder brauchen wir vor dem Hintergrund der weltweit immer zahlreicher und brutaler werdenden Kriege wirklich noch die Glorifizierung eines vermeintlichen Kriegshelden namens Radamès?

Egal, über diese Inszenierung wird gestritten werden. Das ist auch gut so. Aber kommen wir nun zum wichtigsten Teil des Abends: Die Musik. Die erste Arie des Abends wird man ordentlich erwarten dürfen, das gilt in Salzburg wie auch in Berlin. Eyvazov liefert, und wie! Wie ein Krieger siegt er glorreich mit „Celeste Aida.“ Sein metallischer Tenor brilliert kämpferisch und dennoch blitzblank sauber – auch in allen Höhen. Grenzen scheinen seine Kräfte nicht zu kennen. Die Verdi-Welt hat eine Antwort auf Andreas Schager.

Da findet Elīna Garančas unvergleichlich voluminöser Mezzosopran mehr als nur eine Antwort. Diese Sängerin stellt sich auf die Bühne und rückt die Amneris in einem Augenzwinkern an die Spitze der Handlung. Noch nie habe ich so eine starke, kommandierende Mezzosopranistin gehört. Wenn sie singt, ist nicht nur die Bühne, sondern auch der ganze Saal voll mit ihrer Stimme. Bis haushoch in den dritten Rang umschwärmt sie fesselnd das Publikum. Eine allmächtige Herrscherin in all ihren Zügen.

Fotos: Herwig Prammer © Staatsoper Berlin

Da hat Marina Rebeka in der Titelrolle keine leichte Aufgabe… doch die meistert sie mit Bravour! Mit einer etwas dramatischeren, stets omnipräsenten Sopranstimme hat auch sie das Publikum fest im Griff, wenn sie mit lang gezogenen Melodien für den Frieden und ihren Geliebten singt. In der Handlung ist sie eine Sklavin, doch ihre Arien strahlen völlig frei und fließend. Die Bläser-Soli zieht sie wie an einem seidenen Faden entlang. Eine äußerst innig und dennoch dramatisch gestaltene Rolle. Das waren pure Emotionen in ihrer Stimme.

Von all diesem türmenden Gesangsleistungen lassen sich auch die kleineren Rollen nicht überschatten. Allen voran René Pape: Seine Monologe fließen wie die Worte eines alten, weisen Priesters durch die akustische Kathedrale. Die Strippen der Handlung hat sein Ramfis fest im Griff, wie ein päpstlicher Herrscher steht er neben der Weltkugel – zweifelsfrei ein Symbol der Macht.  Grigory Shkarupa singt einen durchwegs röhrenden, majestätischen König, stolz herrscht er über sein Volk wie auf dem Thron eines Pharaos. Er preist den heiligen Nil, Palmen prächtig wie sein Bass gehen einem durch den Kopf. Sein Konkurrent, Gabriele Vivianis kämpferischer Amonasro, tritt nicht weniger selbstbewusst auf. Doch hört man in seinem Bariton stets das Böse. Kein Wunder, dass er schnell zum Schmid der Verrats-Geschichte wird.

René Pape (Ramfis), Yusif Eyvazov (Radamès), Herren des Staatsopernchores © Herwig Prammer

Stolzer hätte die Lindenoper auf ihren Gesang kaum sein können. Und das Orchester? Nicola Luisotti stürzt sich eifrig wie je in das Verdi-Parade-Werk. Chor und Orchester schreiten mit majestätischer Bravour durch die Partitur, als wolle der Chef einen zweiten Suez-Kanal eröffnen. Er fordert, die SängerInnen liefern! Endlich kann er sich mal richtig austoben. Diese Besetzung verträgt das nicht nur, sie verlangt es geradezu.

So eine Aida wird es so schnell nicht wieder geben. Die wunderbar Aida-kritische Inszenierung krönt einen glorreichen Verdi-Abend. Bieito wird auch weiter ausgebucht werden. Aber das gehört dazu! Weiter so!

Johannes Karl Fischer, 10. Oktober 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Giuseppe Verdi, Aida Staatsoper Unter den Linden, Premiere am 3. Oktober 2023

Giuseppe Verdi, Aida Arena di Verona Opera Festival, 2. August 2023

Giuseppe Verdi (1813-1901), AIDA Nationaltheater, München, 27. Juli 2023 

2 Gedanken zu „Giuseppe Verdi, Aida
Staatsoper Unter den Linden, Berlin, 9. Oktober 2023“

  1. Lieber Herr Fischer,

    Sie schreiben: „Herr Bieito, Sie haben mal wieder das Libretto zwischen den Zwischenzeilen gelesen.“ Was genau möchten Sie uns damit sagen? „Zwischen den Zwischenzeilen“?

    Ich habe die Premiere besucht und was Y.E. dort abgeliefert hat, war eine Qual für die Ohren… abgesehen von einer der hässlichsten Tenorstimme seit langem sind die technischen Mängel nicht zu überhören. Legato und Piano sind für ihn Fremdwörter… wirklich schade, dass er beim Schlussapplaus nicht noch mehr Ablehnung erhalten hat.

    Viele Grüße

    Hindemith

    1. Liebe(r) Hindemith,

      Zur Erläuterung: Calixto Bieito arbeitet noch eine Stufe tiefer als das gewöhnliche „zwischen den Zeilen lesen“. Entsprechend die Formulierung, „zwischen den Zwischenzeilen“.

      Und Gesang ist immer Geschmackssache… aber Eyvazov konnte das einfach verdammt gut singen. Ja, er singt laut, sehr laut sogar. Genauso wie Andreas Schager. Aber ich denke, ein Radamès muss nicht unbedingt schön singen, ist er doch vor allem ein Krieger und ein Kämpfer. Buh-Rufe gab es für Eyvazov am 09.10 übrigens keine; ich vermute, dass bei der Premiere auch außermusikalische Interessen im Spiel waren.

      Freundliche Grüße

      Johannes Fischer

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