Üble Gesellen im IKEA-Kubus – Verdis „Masnadieri“ als „Die Räuber“ in der Volksoper Wien

Giuseppe Verdi, Die Räuber, Volksoper Wien, 14.10.17,  Volksoper Wien

Foto: Volksoper Wien / B. Pálffy (c)
von Charles E. Ritterband

Das Ganze auf Deutsch, wie vor vielen Jahren in der Volksoper, als Wien noch ungleich weniger kosmopolitisch war (was der Musikalität Giuseppe Verdis zweifellos Abbruch tut) – und noch dazu in einer schwarz angemalten Box als Guckkasten im Guckkasten mit verschieden großen Türen, in der ein mediokres schwarzes Ikea-Sofa stand. Die Box drehte sich von Zeit zu Zeit um die eigene Achse, damit das Bühnenbild (Bettina Meyer) nicht allzu monoton wurde, was es dennoch war: So muss man sich die Neuinszenierung von Verdis „I Masnadieri“ alias „Die Räuber“ nach Schiller in der Wiener Volksoper vorstellen – 116 Jahre nach der Uraufführung im Londoner Haymarket Theatre und immerhin 54 Jahre nach der ersten und bisher letzten Volkstheater-Produktion.

Im schwarzen Kubus spielte sich alles ab – auch ein wunderschönes aber etwas willkürlich wirkendes Cello-Intermezzo (Roland Lindenthal) als Sondereinlage während der Ouvertüre, eine Szene wie das Bild  eines alten Meisters, das entfernt an das berühmte Velázquez-Gemälde „Las Meninas“ erinnerte: drei rot gekleidete Kinder verkörperten die Familie Moor, in idyllischen Kindheitstagen lange vor den schrecklichen aber theatralisch ergiebigen Familiendramen.

Der besagte Kubus respektive das Bühnenbild wirkte wie ein überdimensionierter Fernseher, in dem sich ein historisches Kostümdrama (wunderschöne Kostüme übrigens, von Bettina Walter) abspielte: Die klaustrophobe Box eines hoffnungslosen, brutalen Familiendramas voll Hass und Intrige. Und die Räuber, Statisten und Choristen gemischt, waren wahrhaft wilde Gesellen, abenteuerlich gewandet, etwas provinztheaterhaft grimassierend und furchterregend geschminkt…

… und dass sich unter diesen üblen Burschen auch mein jüngster Sohn Ulisse befand, der besonders wild dreinblickte und noch dazu ein zynisches Grinsen aufsetzte, war für mich (abgesehen von der Gelegenheit, eine Rarität des verehrten Meisters Verdi zu geniessen) das wichtigste Motiv dieser Premiere an der Volksoper beizuwohnen.

Ich verließ das Haus mit gemischten Gefühlen: Die Regie (Alexander Schulin) konnte in den beengten Verhältnissen des Kubus, in dem meist ein arges Gedränge herrschte, denkbar wenig ausrichten – die Personenführung war demnach so gut wie inexistent. Die Idee, die historisierenden Elemente (Kostüme) mit einem modernistischen Rahmen zu kontrastieren und zu relativieren war gut – aber die Umsetzung funktionierte nicht ganz. Wie die Verkommenheit der Räuber – die ja den Räuberhauptmann Karl dazu treiben, sich selbst und (unlogischerweise) auch seine Geliebte umzubringen – zu den hehren Idealen Freiheit und Gerechtigkeit des erst 22jährigen Schiller passen sollen, weiß man beim Verlassen des traditionsreichen Hauses an der Währinger Straße jedenfalls immer noch nicht.

Jac van Steen als Dirigent provozierte das verlässlich brillante Volksopernorchester zu wuchtig-martialischen Klängen, die dem dramatischen Stoff gut anstehen – gegen welche die Sänger vor allem in den leichten, eleganten Belcanto-Duetten des frühen Verdi oft vergeblich ankämpften. Herausragend die Amalia von Sofia Soloviy, mit glasklaren, zu beinahe perfekten Phrasen poliertem Sopran. Ihr Partner, der Tenor Vincent Schirrmacher (Karl) war der Rolle auch schauspielerisch durchaus gewachsen, aber gesanglich blieb er flach und uninteressant. Ähnlich sein jüngerer Bruder und Widerpart, der Bösewicht Franz, Boaz Daniel („die Kanaille“), als dunkler Bariton. Als verzweifelter Vater Maximilian, Graf von Moor, war Kurt Rydl mit seinem dröhnenden, polternden Bass ein Ereignis – wenn auch nicht unbedingt ein gesangliches.

Alles in allem eine interessante Show, eine verdienstvolle Wiederaufnahme einer (teilweise zu Recht) selten gespielten Verdi-Oper – aber sicher kein Ereignis, das in die Annalen der Operngeschichte eingehen wird.

Der Journalist Dr. Charles E. Ritterband schreibt exklusiv für klassik-begeistert.at. Er war für die renommierte Neue Zürcher Zeitung (NZZ) Korrespondent in Jerusalem, London, Washington D.C. und Buenos Aires. Der gebürtige Schweizer lebt seit 2001 in Wien und war dort 12 Jahre lang Korrespondent für Österreich und Ungarn. Ritterband geht mit seinem Pudel Nando für die TV-Sendung „Des Pudels Kern“ auf dem Kultursender ORF III den Wiener Eigenheiten auf den Grund.

 

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