Foto © Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
Jetzt erst recht, hat sich Musikdirektor Philippe Jordan vermutlich gedacht.
Nach dem Premieren-Debakel rückt der Schweizer Verdis „Don Carlo“ wieder ins rechte Licht – musikalisch zumindest. Kirill Serebrennikovs Inszenierung bleibt weiterhin undurchschaubar. Angesichts der Hochform, zu der die Wiener Philharmoniker auflaufen, gerät das aber weit in den Hintergrund. Noch dazu, weil Asmik Grigorian sich von ihrer zärtlichsten Seite zeigt. Dieser Elisabetta schenkt man gerne die Tränen, die sie zum Ende fordert.
Giuseppe Verdi, Don Carlo
Wiener Staatsoper, 6. Oktober 2024
von Jürgen Pathy
Ein Konzert mit Stimmen und bewegten Bildern im Hintergrund. So sollte man Kirill Serebrennikovs chaotische Inszenierung am Besten verfolgen. Dann bleibt genügend Raum, um sich aufs Wesentliche zu fokussieren. Philippe Jordan und die Wiener Philharmoniker in Hochform. Nach drei Vorstellungen laufe das Werkl auch wie von alleine, gibt sich Jordan bescheiden. Dass man an der Wiener Staatsoper ein musikalisches Highlight erleben darf, ist aber auch seiner Person zu verdanken.
Die Genialität des Wiener Staatsopernorchesters
Bereits der Auftakt lässt Großes erahnen. Vier Hörner, alle im Einklang, Harmonie bereits nach den ersten Takten. Von da an weiß man, heute läuft das Ding, da wird wieder gezeigt, was im Graben der Wiener Staatsoper alles drinnen steckt. Präzision, kein einziger Kiekser, dazu der unvergleichbare Ton, den diese Wiener Hörner wie glühende Lavafluten über dem Graben ausbreiten. Die Streicher stehen um nichts hinten nach. Bereits zu Anbeginn. Ein seidener Glanz, von unheimlicher Leichtigkeit, der alles umhüllt. Den Graben, das innige Cello-Solo, das die Atmosphäre der beiden letzten Akte intoniert. Ein Traum in Weiß, mit leichtem Rot und viel Herzschmerz.
Unter so einer Schutzhülle sollte es den Sänger ebenso leicht fallen – könnte man zumindest meinen. Joshua Guerrero müht sich als Don Carlo aber von Anfang an. Eve-Maud Hubeaux als Eboli wirkt auch nicht mehr so frei, wie sie noch zur Premiere agiert hat. Étienne Dupuis weiß dann als erster diese Unterlage zu nutzen und lässt seinen Bariton wohlklingend fließen. Mit diesem Rodrigo zieht man gerne in den Freiheitskampf.
QUEEN OF THE NIGHT: ASMIK GRIGORIAN
Den Hauptpreis angelt sich aber Asmik Grigorian. Dass sie als Drama-Queen alles aus dem Weg räumen kann, weiß man. Das hat sie als Salzburger „Salome“ 2018 unter Beweis gestellt. Dass sie als Prinzessin Turandot da nicht mithalten konnte, ebenso. Zu unterkühlt hatte die Litauerin da noch agiert. Was sie als Elisabetta nun aber abliefert, hätte man ihr deswegen kaum zugetraut. Eine zärtliche Leichtigkeit, die umhüllt ist von derart viel Schmerz, dass man sie am liebsten in die Arme nehmen würde. Mt dieser Königin leidet man jede Minute, jede Sekunde ihres schmerzerfüllten Lebens mit.
Fast möchte man Kirill Serebrennikov keine weiteren Inszenierungen in Deutschland und Österreich wünschen… damit dieser intellektuelle Hocherguss in der Versenkung verschwinden möge.
Zwanzig Minuten Augen auf und danach ist Schluss. Keinen Bock mehr, Energie in dieses undurchsichtige Chaos zu verschwenden. Das Programmheft bietet zwar Abhilfe. Darf aber nicht sein. Jedem muss klar sein, was auf der Bühne abläuft. Zumindest, wenn er Schillers Original gelesen hat.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 7. Oktober 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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