Jonas Kaufmann wird seines großen Namens zu selten gerecht. Nur gelegentlich, wie zum Beispiel im Abschiedsduett zwischen Don Carlos und Elisabeth, lässt er die Herzen des Publikums höherschlagen. Der Rest ist überwiegend ziemlich ernüchternd. Woran das ganz genau gelegen hat, ist schwierig zu beantworten. Ob einfach nur an der Stimme, die dauerhaft zu wenig differenziert und aufgrund des „voce ingolata“ einschläfernd wirkt oder auch am Dirigat Bertrand de Billys, das ebenso wenig zupacken kann und nur durch oberflächlich, reinen Schönklang in Erinnerung bleibt – vermutlich von allem ein wenig. Echter Verdi, echte Emotion klingen anders.
Foto: Jonas Kaufmann; Wiener Staatsoper © Michael Pöhn
Giuseppe Verdi, Don Carlos
Wiener Staatsoper, 27. September 2020
von Jürgen Pathy
Verdi auf Französisch – nein, danke! Mag es zwar löblich sein, dass Bertrand de Billy das Original mühevoll rekonstruiert hat, die volle Wirkung kann Verdis Meisterwerk im Grunde nur in italienischer Sprache entfachen. Vor allem emotional und musikalisch. Die Rede ist von „Don Carlos“. Nicht umsonst hat Verdi sich die Arbeit angetan, die Grande opéra im klassischen Stil zu kürzen und zu streichen. Für die italienische Neugestaltung, die 1884 an der Mailänder Scala aufgeführt wurde, nahm er nicht nur einige Änderungen vor, sondern eliminierte die Hälfte der Musik und komponierte ein Drittel zur Gänze neu.
Weshalb, das durfte man gestern an der Wiener Staatsoper zur Kenntnis nehmen. „Don Carlo“ als „Don Carlos“, also in der französischen Urfassung von 1867: langweilig! Vor allem der erste Akt, den Verdi in der späteren Fassung komplett gestrichen hatte, ist geprägt von Langatmigkeit und musikalisch gähnender Leere.
Großer Name nicht ganz so groß
Daran ändert auch Jonas Kaufmann nichts. Der deutsche Star-Tenor, der vor kurzem erst wieder die Gemüter erhitzte (Otello-Aufnahme), bietet neuerlich genügend Zündstoff für Diskussionen. Kann er es noch oder nicht? Verstummen werden diese Fragen auch nach dem gestrigen Abend nicht. Zwar steigert er sich im Laufe der Aufführung enorm, beweist, dass er vor allem in der Lage ist, cremig-weiche Legatobögen zu schwingen oder hinreißende Piani zu zaubern; in Summe wird er seines großen Namens jedoch zu selten gerecht. Nur gelegentlich, wie zum Beispiel im Abschiedsduett zwischen Don Carlos und Elisabeth, lässt er die Herzen des Publikums höherschlagen. Der Rest ist überwiegend ziemlich ernüchternd.
Woran das ganz genau gelegen hat, ist schwierig zu beantworten. Ob einfach nur an der Stimme, die dauerhaft zu wenig differenziert und aufgrund des „voce ingolata“ einschläfernd wirkt oder auch am Dirigat Bertrand de Billys, das ebenso wenig zupacken kann und nur durch oberflächlich, reinen Schönklang in Erinnerung bleibt – vermutlich von allem ein wenig. Echter Verdi, echte Emotion klingen anders.
Der heimliche Star des Abends
Wie Igor Golovatenko, der als Rodrigue stimmlich zum energetischen Höhepunkt und Star des Abends avanciert. Mit welcher Wucht und Ausdrucksstärke, beinahe stimmlicher Urgewalt, der gebürtige Russe bei seinem Hausdebüt die Bühne der Wiener Staatsoper dominiert, ist wirklich beeindruckend. Ebenso die weiteren Debütanten: Die Schwedin Malin Byström überzeugt nicht zur Gänze, gefällt als Elisabeth de Valois dennoch. Ebenso die französische Mezzo-Sopranistin Eve-Maud Hubeaux als Prinzessin Eboli. Wenig zu lachen hat man, wenn Roberto Scandiuzzi als Großinquisitor seine Stimme erhebt.
Willkommen in Konwitschnys Traumwelt – Buh-Orkan für Ebolis Traum in Wien
Für Unterhaltung und Unruhe sorgen andere. Von Peter Konwitschny bereits 2006 inszeniert, dachte man, das Publikum hätte sich bereits an den Slapstick gewöhnt. Fehlanzeige! Einen derartigen Buh-Orkan, wie in Ebolis Traum, den Konwitschny kurzerhand frei erdacht hat, hat man schon lange nicht mehr erlebt. Statt der Ballett-Einlage zeigt Konwitschny den spießbürgerlichen Alltag des Ehepaars Carlos und Eboli. Besuch der Eltern – Philippe und Elisabeth – inklusive. Ebenso ein Besäufnis und die nahende Erfüllung des Kinderwunsches.
Aufrüttelnd hingegen eine andere Idee. Für das Autodafé, die öffentliche Verkündung der Urteile der Prozesse der Spanischen Inquisition, hat Konwitschny das ganze Haus als Spielstätte integriert. Mitten auf der Feststiege werden Ketzer gedemütigt und verprügelt. Als Belustigung aller sozusagen. „Wenn das nun die Menschen nicht begeistert, was dann“, kommentiert Konwitschny seinen Einfall, der durchaus erschüttern soll. Aufgrund der aktuellen Covid-Beschränkungen erlebt man das nur in der Light-Version, als Video-Einspielung. Dennoch absolut irre und zutreffend. Genauso muss man sich damals gefühlt haben.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 28. September 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Giuseppe Verdi, Simon Boccanegra Wiener Staatsoper, 18. September 2020