Vermutlich kann den Falstaff derzeit keiner besser singen und spielen als der italienische Bariton Ambrogio Maestri. Mit einer mächtigen Stimme baritonalen Wohlklangs artikuliert er die Feinheiten seiner Partie auf höchstem sängerischen Niveau: Wandlungsfähig, dynamisch und glasklar brilliert er hier in seiner Paraderolle.
Fotos: Ambrogio Maestri © Monika Rittershaus
Ulrich Poser berichtet über die Premiere des „Falstaff“ von Giuseppe Verdi in der Staatsoper Hamburg vom 19. Januar 2020
Was für ein wunderbarer Abend!
Dem Falstaff-Libretto von Arrigo Boito liegt auch Shakespeares Werk „Die lustigen Weiber von Windsor“ zugrunde; ein eher krudes Tür-auf-Tür-zu-Verwirrstück um einen verfressenen, liebeshungrigen, dicken Mann, in dem sich die Protagonisten „spaßeshalber“ gegenseitig ins Bockshorn jagen.
In musikalischer Hinsicht gehört Verdis zweite komische Oper und letztes Bühnenwerk zu den Stücken, deren kompositorische Schätze man erst beim zweiten und anschließenden Hören entdeckt. Es fehlen typische Verdi-Gassenhauer, was der Genialität und Qualität dieser italienischen Meistersinger-Anleihe aber keinen Abbruch tut. Feinste Orchestrierung, atemberaubender Satzgesang und wunderschöne Melodien sind die herausragenden Elemente dieser betörenden Musik, bei deren Komposition Verdi noch einmal tief in seine Trickkiste gegriffen hat. Nach und nach offenbart sich hier ein geniales Meisterstück.
Vermutlich kann den Falstaff derzeit keiner besser singen und spielen als der italienische Bariton Ambrogio Maestri. Mit einer mächtigen Stimme baritonalen Wohlklangs artikuliert er die Feinheiten seiner Partie auf höchstem sängerischen Niveau: Wandlungsfähig, dynamisch und glasklar brilliert er hier in seiner Paraderolle. Vermutlich wird sich der im Rahmen der me-too-Bewegung gescholtene Plácido Domingo im bald im Hause an der Dammtorstraße folgenden „Simon Boccanegra“ (Giuseppe Verdi) schwer tun, da stimmlich mitzuhalten.
Aber Meister Maestri hat an diesem Abend nicht nur stimmliche Maßstäbe gesetzt. Er hat die Rolle des Falstaff unter maximalem körperlichen Einsatz auch glänzend und mit Liebe zum Detail gespielt. Seine Darbietung war aufopfernd. Er sang und spielte den Falstaff jedoch nicht nur, er war an diesem Abend Falstaff. Und zwar ein darüber hinaus mutiger, der sich nicht scheute, seinen gut genährten Wohlstandskörper auf Weisung der Regie über lange Strecken oben ohne zur Schau zu stellen. Alles in allem war das die ganz große Ambrogio-Maestri-Show; Weltklasse in Hamburg! Man darf und muss sich bereits jetzt auf seinen Scarpia im März freuen.
Das restliche Ensemble agierte durchwegs auf stimmlich hohem Niveau mit einer sensationellen Überraschung: Die aus dem Kosovo stammende Elbenita Kajtazi sang die Partie der Nannetta vom ersten Ton an atemberaubend. Schon ihre lange gehaltenen Töne im ersten Akt ließen vielversprechend aufhorchen. Irgendwo zwischen der Zenith-Caballé und der jungen Netrebko angesiedelt, ließ sie synästhetisch betrachtet süßeste filigrane Klangwölkchen in den Saal strömen, die betörten, berauschten und verzauberten. Diese Stimme ist so klar, so rein, so einzigartig schön, dass man es – und da gibt es wohl keine zwei Meinungen – offensichtlich mit einem zukünftigen Weltstar zu tun hat. Frau Kajtazi ist ein Glücksfall für Hamburg und einer der so wichtigen Grundpfeiler dafür, dass es mit diesem Haus derzeit so raketenartig aufwärts geht. Herr Delnon hat die ihm vor ein paar Jahren im Hinblick auf die Sängerauswahl gegenüber geäußerte konstruktive Kritik also offensichtlich verstanden. Chapeau!
Erwähnt werden muss auch noch die hervorragende Leistung des Berliner Kammersängers Markus Brück als Ford. Wow, was für ein Heldenbariton! Er bewältigte die Partie des wütenden und eifersüchtigen Gatten und Vaters nicht nur mühelos; er gestaltete sie in gerhaherscher Art mit seiner beeindruckenden Stimme in nahezu wotanscher Manier.Die Inszenierung von Calixto Bieito hat durchweg überzeugt: Im Mittelpunkt stand ein Haus mit einer nach vorne offenen, liebevoll eingerichteten Kneipe (das Bühnenbild lieferte wie schon im „Otello“ Susanne Gschwender), das sich nach der Pause auf einen Rohbau, ein Gerüst reduzierte. Das rief eine schlichte, aber überzeugende Wirkung hervor. Insbesondere im 2. Bild des 3. Aktes gefielen die sehr fantasievollen und mit Liebe gestalteten Kostüme von Anja Rabes. Die ausgeklügelte Personenregie von Calixto Bieito und das Italianità-behaftete Dirigat von Axel Kober waren dann die i-Tüpfelchen, die diesen Abend zu einem ganz großen Wurf werden ließen.
Ulrich Poser, 20. Januar 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Elbenita Kajtazi ist für niemanden eine Überraschung, der sie aus Berlin als Studentin und Stipendiatin an der Deutschen Oper kennt. Sie hat eine einzigartig schöne Stimme, die etwas ganz unverwechselbares und herausragendes werden kann und hoffentlich wird.
Ein Kommentator der dem Herausgeber bekannt ist.