FALSTAFF / Brescia e Amisano © Teatro alla Scala
Eine einzigartig mitreißende, feierliche Falstaff-Experience krönt die Scala mal wieder zum weltbesten Verdi-Haus! An der Spitze eines souveränen Gesangsensembles stand Falstaff-König Ambrogio Maestri, Daniele Gatti ließ die Italianità mit Feuer und Flamme aus dem Graben tanzen. Einzig Giorgio Strehlers klassische Traditions-Regie wirkte ein wenig abgestaubt und ideenlos.
Teatro alla Scala, Milano, 7. Februar 2025
Falstaff
Musik von Giuseppe Verdi
Libretto von Arrigo Boito
von Johannes Karl Fischer
Seit fast 25 Jahren kennt Verdis Falstaff-Titelrolle an dessen Uraufführungshaus kaum einen anderen Namen als Ambrogio Maestri. Ein bisschen gibt’s die Atmosphäre auch her: Schon die prächtige Außenfassade ebenso wie das majestätisch geschmückte Foyer sind ein Kunstwerk für sich, die Regie an diesem Abend hatte im Jahre 1980 Premiere. Alles wie immer, natürlich auch die einzigartig feierliche Applaus-Stimmung, an der sich selbst die vergleichsweise zahlreich während der Vorstellung am Handy tippenden Parkett-Gäste enthusiastisch beteiligten.
Auch musikalisch konnte die Scala ihren Ruf als weltbestes Verdi-Haus mit Bravour verteidigen. Insbesondere Herr Maestri dominierte wieder einmal eigenhändig und souverän die Vorstellung, sein Gesang jonglierte die lustige Komödie mit dem ersten, kräftig solidem Verdi-Gesang. Trotz der sehr statischen Inszenierung lebte er in der Rolle mit Leib und Seele, feierte die Schlussfuge als würde er die ganze Scala zum Essen einladen! Dieser Falstaff geht skrupellos seinen Intrigen nach, krönt sich unbeeindruckt davon zum Helden der Handlung… und Herr Maestri zum musikalischen König der Falstaffs!

Gleichfalls herausragend gelang Rosa Feolas Darbietung der Alice Ford. Mit strahlendem, federleichtem Sopran segelte sie locker und luftig durch die Melodien ihrer Partie und schien sich mächtig daran zu amüsieren, Sir Johns Intrigen aufzudecken. Am Ende stemmte sie ihre Fugenstimme völlig mühelos wie eine sopranistische Sonnenstimme über die gesangliche Konkurrenz, das war eine absolute Paradeleistung des lockeren Verdi-Gesangs! Luca Micheletti als ihr Ehemann Ford sang einen ebenfalls souveränen, äußerst stimmstarken Verdi-Bariton, der Herrn Maestri stimmlich wie szenisch einen mindestens ebenbürtigen Gegenspieler bot.

Zu den absoluten Highlights dieser herausragenden Falstaff-Vorstellung zählte auch Juan Francisco Gatells Fenton. Sein souveräner Tenor strahlte mit heller Stimme in alle Ecken des Hauses, eine absolute Luxus-Besetzung für diese eher kleine Partie! Besonders seine Arie zu Beginn des dritten Aktes segelte mit müheloser, glänzender doch schwereloser Kraft durch den Saal, als hätte er gleich noch eine Nessun dorma als Zugabe im Gepäck… Antonino Siragusa spielte einen stimmlich äußert schlagkräftigen Dr. Cajus, Marco Spottis spaßiger Pistola und Christian Collias souverän routiniertem Bardolfo komplettierten die drei lustigen Nebenrollen mit spaßigem Gesang und Schauspiel.

Mit warmen, voluminös klingendem Mezzo überzeugte auch Marianna Pizzolato als Mrs. Quickly auf ganzer Länge, mit viel Humor überreichte sie Sir John die vermeintliche Liebesbriefantwort von Alice Ford und zementierte so ihre Rolle als Strippenzieherin der Handlung. Rosalia Cid sang mit süßer Stimme eine äußert liebevolle Nannetta, ihre brennenden, in der Inszenierung dennoch quasi nicht vorhandenen Emotionen ließ sie mit strahlendem Gesang in die Ohren des Publikums segeln. Martina Belli (Meg Page) komplettierte mit einer souveränen stimmlichen Leistung das insgesamt glorreiche Gesangsensemble!
Die wohl größte musikalische Überraschung kam aber aus dem Graben: Unter Daniele Gatti, dessen Dresdner Mahler zu Saisonbeginn einiges zu wünschen übrigließ, tanzte ein feuriges, doch stets lockeres Verdi-Dirigat durch den Saal. Das insgesamt herausragend und wohl poliert spielende Orchester brachte eine Italianità unter die sich auf der Bühne abspielende Komödie, an der einen oder anderen Stelle wollte man fast schon mitwippen oder anstoßen. Wäre stimmungsmäßig gar nicht so verkehrt gewesen, das Publikum schien Maestris Falstaff-Fest fleißig mitzufeiern.

Einzig Giorgio Strehlers etwas abgestaubte, aus der Zeit gefallene Inszenierung konnte den auf der Bühne herrschenden Humor nicht mittragen. Vor der Vorstellung unterhielt ich mich mit einer Freundin über unsere gemeinsame gleichzeitige Vorliebe für den Schenk-Rosenkavalier und Serebrennikow-Parsifal, alles toll, „wenn’s gut gemacht ist“, waren wir uns einig. Diese Inszenierung war weder toll noch gut gemacht. Viele Figuren waren nur durch mitlesen des Librettos voneinander zu differenzieren, die Bühne ein großzügig gesagt leicht belebtes Museumsbild aus dem Mittelalter samt Heuwagen, Cavalier-Kostümen und braven Bauernmädchen. Carissima Scala, è l’ora di presentare una nuova produzione di questa meravigliosa opera di bruciante attualità!
Insgesamt ließ die Scala für den am Sonntag bevorstehenden 132. Geburtstag dieser Oper dennoch nichts anbrennen.
Mailand ist und bleibt eben das weltbeste Verdi-Haus!
Johannes Karl Fischer, 8. Februar 2025 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Giuseppe Verdi, Falstaff, Komische Oper Berlin, 29. April 2022 Premiere
Giuseppe Verdi, Falstaff (Premiere), Staatsoper Hamburg, 19. Januar 2020
Lieber Johannes,
wie schade, dass Du die Qualitäten von Giorgio Strehlers Regie nicht zu ermessen weißt. Er ist neben Jean-Pierre Ponnelle, Wieland Wagner, Otto Schenk, Gustav-Rudolf Sellner, August Everding oder Patrice Chéreau eine der bedeutendsten Regiegrößen, die der Opernwelt je zur Verfügung standen. Seine Kunst – und hier ist das Wort KUNST wirklich berechtigt! – ist ganz und gar aus der Partitur und Musik – und zusammen mit den Dirigenten entwickelt wie es sein soll. Und ZEITLOS, was große Kunst überhaupt erst ausmacht. Seine Arbeiten, einige davon unvergessen in Zusammenarbeit mit Riccardo Muti, zählen zum Besten, was das berühmteste Opernhaus zu bieten hat, ich kann deshalb nur hoffen und an die Scala appellieren, Strehlers Inszenierungen noch lange zu belassen! Zu diesen Schätzen zählt etwa auch die legendäre „Entführung aus dem Serail“, mit der 2024 Thomas Guggeis am Pult des Orchesters seinen Einstand gab.
Produktionen, die in die Gegenwart transferiert werden, haben sich doch viel zu schnell schon wieder überlebt, zumal sie sich meistens ohnehin nur auf eine Bildidee, vielfach einer hässlichen zudem, reduzieren. Abgesehen davon, dass sie meist mit den Werken wenig zu tun haben. Was ich nicht beurteilen kann, ist natürlich die Leistung des Abendspielleiters. Strehler ist ja – leider!!! – schon lange tot, d.h. bei Wiederaufnahmen sind dann eben Abendspielleiter für die Belebung der ursprünglichen Personenregie zuständig. Da bräuchte man vielfach sicherlich engagiertere Kräfte, die mit den Sängern daran arbeiten, ihre Figuren wirklich durchleben zu können, damit das Theatererlebnis lebendig wird. Die meisten heutigen Regisseure verstehen sich darauf aber leider wie gesagt mindestens ebenso wenig.
Wenn ich jedenfalls an Strehler denke, werde ich ganz wehmütig.
Kirsten Liese
Sehr geehrte Frau Liese, in der Aufzählung der Regiegrößen der Opernwelt haben Sie Otto Schenk nicht erwähnt. War das Absicht oder nur ein Versehen?
Sheryl Cupps
Sehr geehrte Frau Cupps,
Otto Schenk steht in meiner Aufzählung an 3. Stelle!!! Das haben Sie offenbar übersehen! Wen ich leider vergessen habe zu erwähnen, sind Günter Rennert, Rudolf Hartmann und Oscar Fritz Schuh.
Kirsten Liese
Liebe Kirsten,
dass wir in Sachen Regie ab und zu anderer Meinung sind, ist ja nichts neues und auch ok so. Das gehört zur Opernrezeption dazu. Ich fand Herrn Strehlers Inszenierung für dieses Werk allerdings einfach unpassend (zumal regietechnisch auch nicht überzeugend), 2025 sollte man die Taten dieser Titelpartie dringend kritisch aufarbeiten, finde ich (so wie Bieito!). Anders als der Ochs im Rosenkavalier kommt Sir John auch noch feierlich davon…
Gute, traditionsbewusste Regieführung geht auch, siehe Ponnelles Cavalleria. Giancarlo Del Monaco hat mit dem gleichen Werk aus einem zum Verwechseln ähnlichen Bühnenbild übrigens eine klatschige, oberflächliche wie emotionslose Inszenierung gemacht, wie ich letztes Jahr aus Hamburg berichtet habe.
Mir wurde kürzlich erzählt, Strehler sei mal ein Enfant terrible der Regie gewesen. Davon war in diesem Falstaff nichts zu sehen.
Johannes Fischer
Lieber Johannes,
unsere persönlichen divergierenden Meinungen sind das eine. Aber es geht bei meinem Einwand noch um etwas Anderes, die Wirtschaftlichkeit von Opernhäusern. In Italien sind die Intendanten zum Glück noch nicht so besoffen, sich Regisseure aufzuladen, deren Handschriften zumindest beim Publikum keinen Erfolg haben wie es vielfach in Deutschland , Österreich und Frankreich der Fall ist.
An der „Frau ohne Schatten“ in Regie von Tobias Kratzer lässt sich gerade wieder einmal an der Deutschen Oper Berlin studieren, wo das hinführt: Trotz teils euphorischer Kritiken wollten offenbar so wenige Opernfreunde diese Produktion sehen, dass das Haus bei zahlreichen Vorstellungen verheerend schlecht verkauft war, was die Saalplanbelegungen im Online-Ticketverkauf belegen. Besonders krass war es am 4. Februar, da war das Haus noch wenige Stunden vor Vorstellungsbeginn quasi leer mit maximal vielleicht 150- 200 verkauften Plätzen bei einer Kapazität von über 1859 Plätzen. In den sozialen Medien gab es dazu viele Posts.
Über miserable Produktionen in Hamburg kam in diesem Blog auch schon einmal eine ähnliche Wahrheit an den Tag. So schaufeln sich die Häuser hierzulande, zumal bei aktuellen drastischen Einsparungen, ihr eigenes Grab. Am Ende wird es vermutlich auch nur wenige jucken, wenn sie dann irgendwann dicht machen, man wollte da ja ohnehin nicht mehr hin. So endete es im Übrigen einst mit dem Schiller Theater: Die Aufführungen wurden immer schlechter, zu wenige gingen hin, dann kam die Schließung.
Die Italiener sind da noch etwas besser, solche Flops wie in Germany habe ich da noch nicht gesehen, womit ich nicht sagen will, dass alles, was ich dort erlebte, grandios war, aber nicht derart hanebüchen wie vielfach eben an deutschen Bühnen. Insofern hoffe ich, dass die Scala sich in dieser Hinsicht ihrem Kurs treu bleiben wird. Das dortige Publikum sieht sicherlich auch viel lieber Inszenierungen von Strehler als von Kratzer, Bieito, Tcherniakov oder Serebrennikov. Diese Herrschaften wurden dort meines Wissens bislang auch noch nicht engagiert.
Viele Grüße, Kirsten