Giuseppe Verdis monumentales Werk „I Lombardi alla prima Crociata” (Die Lombarden auf dem ersten Kreuzzug) ist nach 178 Jahren erstmals wieder ins venezianische Gran Teatro La Fenice zurückgekehrt. Der damals erst 29jährige Komponist aus Busseto erhielt nach seinem überwältigenden Erfolg des „Nabucco“ an der Scala di Milano (9. März 1842) vom Unternehmer Bartolomeo Merelli den Auftrag zu einer neuen Oper. Diese vierte, gewaltige Opernschöpfung des jungen Komponisten, das bereits knapp ein Jahr nach Verdis Triumph an der Scala, am 11. Februar 1843, an diesem führenden Opernhaus Italiens uraufgeführt wurde, erntete ebenso große Beifallsstürme wie sein „Nabucco“, der inzwischen zu Italiens „Nationaloper“ avanciert war. Ja, eine Zeitlang war der Chor „O Signore, dal tetto natio“ aus dem vierten Akt der relativ selten gespielten „Lombardi“ populärer als die angebliche geheime Nationalhymne Italiens „Va’, pensiero“ aus dem viel häufiger aufgeführten „Nabucco“ – was heute kaum mehr vorstellbar ist. Und beide Opern basieren auf Libretti des romantischen Dichters Temistocle Solera. Die „Lombardi“, welche eine Sekte fanatischer, mörderischer und rassistischer Christen auf Kreuzzug im „Heiligen Land“ zum Thema haben, erhielten durch die Schreckensmeldungen aus der Ukraine ungeahnte Aktualität. Wenngleich am „Fenice“, im Gegensatz zu den von mir erst kürzlich besuchten Londoner Opernhäusern, nicht die ukrainische Nationalhymne (unter „standig ovations“ des englischen Publikums) vor der jeweiligen Ouvertüre intoniert wurde, so manifestierte die gelb-blaue Beleuchtung der Fassade des renommierten „Fenice“ doch die Solidarität des Hauses und der Stadt Venedig mit der vom Krieg erschütterten osteuropäischen Nation.
Gran Teatro La Fenice, 5. April 2022
Giuseppe Verdi, “I Lombardi alla prima Crociata”,
Libretto: Temistocle Solera
von Dr. Charles E. Ritterband (Text und Fotos)
„Nabucco“ und „Lombardi“, so kurz nacheinander entstanden, weisen auffällige Parallelen auf: Der blutige Konflikt zweier Kulturen und Religionen in und um das Heilige Land, dort in biblischen Zeiten die Deportation der Juden durch die Babylonier, von Machtwahn besessen, hier die im 11. Jahrhundert in Palästina gnadenlos mörderisch einfallenden, von religiösen Wahnideen besessenen Christen – und die in beiden Opern dominierenden Chorszenen. Diese, in höchster Qualität und Intensität (Chormeister: Alfonso Caiani) dargeboten vom imposanten Chor des „Fenice“ füllen mit ihrem zahlreichen Personal in den aufeinanderfolgenden „Tableaus“ zumeist den gesamten Bühnenraum und überlassen daher dem Regisseur (Valentino Villa) wenig Spielraum – es dominiert fast immer die Statik dieser Inszenierung.
Dazu trägt auch das imposante Bühnenbild (Massimo Checchetto) bei: Ein gewaltiger Betonbunker, dessen Wände bisweilen reduziert oder hochgefahren werden oder – ein ebenso sinnvoller wie wirkungsvoller Effekt – sich immer wieder zu einem von hinten beleuchteten Kreuz in variabler Größe ändern. Bühnenbild und Kostüme (Elena Cicorella) versetzen die Handlung aus der Zeit der frühen Kreuzfahrer jäh ins Heute und lassen immer wieder an die Gräuel in der Ukraine denken – beispielsweise wenn die weiß gewandeten Kreuzritter eine offensichtlich von Muslimen geführte Imbissbude plündern und verwüsten und deren Besitzer massakrieren. Immer wieder werden im Hintergrund idyllische Szenen aus dem Heiligen Land sichtbar, die brutal mit den Betonwänden des Bühnenbunkers kontrastieren.
Anspruchsvoll für Künstler und Publikum
Das Orchester des „Fenice“ lief, ebenso wie der Chor, unter der Stabführung von Sebastiano Rolli mit Intensität und feinfühliger Musikalität – Verdi in seiner Heimat Italien ist eben nördlich der Alpen nicht zu übertreffen – zu Höchstform auf. Obwohl diese Oper mit ihren Längen und ihrer komplexen Handlung nicht nur den Musikern und Sängern/Sängerinnen, sondern auch dem Publikum einiges abverlangt, war diese Inszenierung sicher die imposanteste, die ich je in diesem wunderbaren Opernhaus der „Serenissima“ erleben durfte. Heute eher selten gespielt, waren „I Lombardi“ anfänglich häufig auf den Bühnen weltweit zu sehen – so war es die erste Verdi-Oper, die im März 1847 an die New Yorker Met kam.
Zum geradezu überwältigenden Erlebnis dieser aktuellen Neuinszenierung – welche nach intensiven Recherchen auf Verdis Originalversion an der Scala zurückgreift – trugen vor allem die sämtlich hervorragenden Sängerinnen und Sänger bei. Allen voran Roberta Mantegna mit subtilem Timbre und raumfüllender Stimme als Giselda und der Tenor Antonio Poli mit besonderer stimmlicher Wärme in der Rolle des Oronte.
Dr. Charles E. Ritterband, 7. April 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Dirigent und zugleich Konzertmeister: Sebastiano Rolli
Regie: Valentino Villa
Chormeister: Alfonso Caiani
Bühne: Massimo Checchetto
Kostüme: Elena Cicorella
Arvino: Antonio Corianò
Pagano: Michele Pertusi
Viclinda: Marianna Mappa
Giselda: Roberta Mantegna
Pirro: Mattia Denti
Ein Priester aus Mailand: Christian Collia
Acciano: Adolfo Corrado
Oronte: Antonio Poli
Sofia: Barbara Massaro
Orchester und Chor des Teatro La Fenice
Giuseppe Verdi, “Rigoletto”, Royal Opera House Covent Garden, 12. März 2022
Giuseppe Verdi, La Traviata Royal Opera House, London, 2. November 2021
Giuseppe Verdi, „Rigoletto“, Royal Opera Covent Garden, London, klassik-begeistert.de
Sehr oberflächlich!
Den Programmhefttext abgeschrieben, auf die Optik fixiert widmet der Schreiber den anspruchsvollen Sängerleistungen knapp zwei Zeilen, Sopran, Tenor, den dramaturgisch wichtigen Pagano hat er ganz weggelassen.
In der Schule wäre das ein Fünfer.
Fred Keller