Die perfekte Traviata im Royal Opera House

Giuseppe Verdi, La Traviata  Royal Opera House, London, 2. November 2021

Royal Opera House, London, 2. November 2021

Giuseppe Verdi, La Traviata   

Foto: © opera-online.com, Lisette Oropesa als Violetta

von Lukas Baake

Es war ein Abend der ganz großen Stimmen. Wer die klassische Richard Eyre-Inszenierung von La Traviata am Dienstagabend in der Royal Opera sehen durfte, konnte sein Glück kaum fassen: Eine reife Inszenierung, ein geniales Orchester und eine Besetzung zum Schwärmen.

Richard Eyres Inszenierung von Verdis Oper ist ebenso wie ihr Regisseur selbst ein Klassiker im britischen Opernbetrieb: Seit 1994 können sich die Besucher am Covent Garden an dem stilvollen Charme und dem rasanten Wechsel aus schlichter Personenführung und rauschenden Ballszenen erfreuen. Auch in dieser Saison wird die Inszenierung mit wechselnder Besetzung aufgeführt. Insgesamt werden sechs verschiedene Sopranistinnen als Violetta zu sehen sein. Dabei wird es wohl schwierig sein, die makellose Leistung von Lisette Oropesa zu übertreffen. Die amerikanische Sopranistin ist ein Phänomen, Publikumsliebling und eine der großen Verdi-Sängerinnen der Gegenwart. Dies konnte sie bereits vor einigen Wochen als Gilda in Rigoletto beeindruckend demonstrieren.

Copyright Royal Opera House (c). Die klassische Inszenierung von Richard Eyre.

Was zeichnet ihre Violetta aus? Eine atemberaubende Klarheit in der Höhe, technische Perfektion und die Fähigkeit, die Partie bis in die kleinsten psychologischen Verästelungen auszudeuten. Von der fliederhaften Leichtigkeit des Duetts „Un dì, felice, eterea“ bis zum letzten, schmerzhaften Aufbäumen im letzten Akt („Addio, del passato“) gelingt es ihr, Höhen und Tiefen ihrer Figur perfekt darzustellen. Glänzen konnte sie auch an der Seite ihres kongenialen Partners: Mit 30 Jahren gehört der armenische Tenor Liparit Avetisyan noch zu der jüngeren Generation im italienischen Fach. Blickt man auf die umfassende internationale Erfahrung von Avetisyan und seinen Auftritt in der Royal Opera, dürfte klar sein, dass er zu den vielversprechendsten jungen Verditenören gehört. Mit viel Verve verkörperte er Alfredo als flamboyanten Charmeur ebenso wie als mitfühlenden Liebhaber; Avetisyans Stimme ist kraftvoll und geschmeidig, was sich insbesondere in den herrlichen Ensembleszenen bemerkbar machte.

Ein weiterer Höhepunkt war der Auftritt von Christian Gerhaher als Alfredos Vater Giorgio Germont. Gerhaher ist in dieser Saison Artist in Residence in der Wigmore Hall und deshalb häufiger auf den Konzertprogrammen der britischen Hauptstadt zu finden. Zu Gerhaher muss nicht viel gesagt werden: Der Bariton brilliert, egal ob als Liederinterpret oder in der Oper, durch durchdachte, präzise und subtil ausgedeutete Interpretationen. Dies war auch in der Royal Opera der Fall: Im Gegensatz zu vielen Sängern, die die Rolle des Giorgio als virilen und selbstbewussten Patriarchen verstehen, gelingt es Gerhaher, die Gebrechlichkeit und Zerrissenheit, die in der Rolle angelegt ist, zum Ausdruck zu bringen.

Als Dirigent führte Antonello Manacorda Orchester und Ensemble souverän durch die drei Akte. Auch wenn die Tempi zu Beginn schleppend wirkten und die Koordination innerhalb des Orchesters zu wünschen übrig ließ, waren diese anfänglichen Schwierigkeiten schnell überwunden. Zurecht bedachte das Publikum alle Beteiligten mit einem langen und leidenschaftlichen Applaus. Die Helden des Abends waren aber ohne Zweifel die großartigen Sänger.

Lukas Baake, 5. November 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Dirigent, Antonello Manacorda
Regisseur, Richard Eyre
Violetta Valéry, Lisette Oropesa
Alfredo Germont, Liparit Avetisyan
Giorgio Germont, Christian Gerhaher
Annina, Renata Skarelytë
Doctor Grenvil, Blaise Malaba
Flora Bervoix, Stephanie Wake-Edwards
Baron Douphol, Yuriy Yurchuk
Gastone de Letorières, Egor Zhuravskii
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Ein Gedanke zu „Giuseppe Verdi, La Traviata
Royal Opera House, London, 2. November 2021“

  1. Lisette Oropesa war auch am 26. Oktober 2020 in der Wiener Staatsoper die beste Konstanze, die ich während meiner sechzigjährigen Opernerfahrung erlebte. Ebenfalls unter Führung von Antonello Manacorda.

    Lothar Schweitzer

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