Live-Stream Wiener Staatsoper, 7. März 2021
Pretty Yende, Juan Diego Flórez. Copyright: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
Giuseppe Verdi, La Traviata
Violetta Valéry Pretty Yende
Alfredo Germont Juan Diego Flórez
Giorgio Germont Igor Golovatenko
Musikalische Leitung Giacomo Sagripanti
Inszenierung Simon Stone
von Peter Sommeregger
Verdis „Traviata“ in völlig ungewohntem Ambiente: Das wurde schon oft versucht, aufgegangen ist diese Rechnung noch nie. Genau betrachtet ist die Basis des Stoffes schon eine zweifelhafte. Mit dem Roman „Die Kameliendame“ schrieb sich der jüngere Alexandre Dumas seine unglückliche Liebe zu einer Kurtisane, sprich Edel-Prostituierten, von der Seele, der er in einer amour fou verfallen war. Diese schon vom Autor geschönte Geschichte wurde durch Verdis Librettisten noch weiter verkitscht. Die tief im 19. Jahrhundert verwurzelte Geschichte nun tagesaktuell aufzupeppen kann von vorne herein nicht gelingen.
Violetta begegnet uns hier mit Smartphone bewaffnet als It-Girl bzw. Influencerin. Leider lässt uns Simon Stone sogar ihre Whatsapp-Nachrichten mitlesen, welche die Heldin doch als sehr schlichtes Wesen zeigen. Wir erhalten Einblicke in ihre „Bling-Bling“-Welt, können Nachrichten über eine wohl schwere Erkrankung mitlesen. Ganz unvermittelt ist Violetta auf einmal mit Alfredo zusammen – da auf Bühnenbild und Requisiten weitgehend verzichtet wird, spielt die Handlung buchstäblich im luftleeren Raum, in dem dann auch Alfredos Vater auftaucht, und Violetta zum Verzicht auf den Geliebten überredet, aus gesellschaftlichen Zwängen.
An diesem Punkt geht Stone mit seiner Deutung in eine Falle: im Original ist es ja der Lebenswandel Violettas, welcher der gesellschaftlichen Norm entgegensteht. Das kann im Fall einer Influencerin nicht zutreffen, also zieht Stone die Rassismus-Karte. Die Violetta dieser Produktion ist nämlich eine dunkelhäutige Südafrikanerin, also dürfte Rassismus der Grund für die Ablehnung Violettas sein.
Quietschbunt und wenig inspiriert läuft die ganze Inszenierung etwas holprig dem unvermeidlich tödlichen Ausgang zu, wobei geschmackliche Entgleisungen wie die Kostümierung der Gäste auf Floras Fest im zweiten Bild des zweiten Aktes und Violettas bauchfreier Jogginganzug im dritten Akt als Kollateralschäden verbucht werden müssen. Wer wollte denn heutzutage noch Schönheit und Ästhetik in der Oper suchen?
Dass unter diesen Umständen trotzdem eine musikalisch weitgehend befriedigende Aufführung zustande kam, spricht für die Ausführenden. Allen voran Pretty Yendes Violetta, die mit feinen Nuancen in der stimmlichen Gestaltung ihrer Rolle überzeugen kann. Ein sehr lyrischer, differenziert gestaltender Alfredo ist Juan Diego Flórez, der sich seine jugendliche Frische bewahrt hat. Durchaus passabel ist Igor Golovatenko als Vater Germont, der allerdings ein wenig farblos bleibt. Die kleinen Rollen sind gut besetzt, viel Möglichkeit zu glänzen hat ihnen aber schon Verdi selbst nicht gegeben. Die musikalische Leitung lag in Händen des jungen Dirigenten Giacomo Sagripanti, der sich mit sicherer Hand für weitere Aufgaben empfohlen hat. Verdis Erfolgsoper wird auch diese Attacke Simon Stones überleben.
Peter Sommeregger, 7. März 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at