Die Sänger zeigen insgesamt eine bärenstarke Leistung. Allen voran, die wunderbare Anja Harteros, die 2013 in dieser Inszenierung ihr Rollendebüt als Leonora feierte und für die die Bayerische Staatsoper quasi wie ein Wohnzimmer ist. Ihre perfekt geführte warme Stimme gleitet mühelos durch sämtliche Register, dynamisch von zarten Piani bis zum mächtigen Fortissimo. Das „Maledizione“ zum Ende des Gebets „Pace, pace, mio Dio“ geht durch Mark und Bein. Brava!
Foto: Anja Harteros, © Marco Borggreve
La Forza del Destino
Oper in vier Akten Zweite Fassung, bearbeitet 1869
Komponist Giuseppe Verdi
Libretto nach Duque de Rivas’ Drama „Don Álvaro o La fuerza del sino“ von Francesco Maria Piave (1862), Neufassung von Antonio Ghislanzoni (1869).
München, Nationaltheater, 29. September 2021
von Dr. Petra Spelzhaus
Wieso sollte man sich ein Werk anschauen mit einer streng patriarchalischen Weltordnung, hanebüchener Handlung, kriegsverherrlichenden Szenen, Fremdenfeindlichkeit und religiöser Verklärung? Weil es sich um ein Meisterwerk eines der größten Komponisten unseres Planeten handelt mit grandioser Musik und herausragenden Darstellern.
„Tammm tamm tamm“ tönt es markant aus dem Orchestergraben. „Tamm tamm tamm“! Der von Andrea Battistoni nuanciert dirigierte Klangkörper stimmt schwungvoll das Schicksalsmotiv an. Wir blicken in das Esszimmer des Marchese di Calatrava in Sevilla. An der langen Abendmahl-gleichen Tafel ist die Familie des Hausherrn aufgereiht, betet und verleibt sich schweigend Brot, Suppe und Wein ein. Leonora, die Tochter des Hausherrn, starrt apathisch auf das Kreuz auf dem Tisch. Die anderen Protagonisten, die erst später in das Geschehen eingreifen, befinden sich in zum Teil stilisierter Form ebenfalls im Raum. Leonoras Bruder Don Carlo di Vargas wächst im Zeitraffer von einem Buben zu einem jungen Mann heran. Das in Hochform spielende Orchester führt uns in der auch in Konzertsälen beliebten Ouvertüre durch die Leitmotive des Stückes. Musik und Szenerie verschmelzen zu einem Mikrokosmos im Makrokosmos, der den Samen des unheilvollen schicksalhaften Handlungsverlaufs bereits in sich trägt.
Don Alvaro, der ungezügelte Fremde, der Mestize und unerwünschte Liebhaber Leonoras platzt in das eisige Familienidyll, um mit Leonora in eine gemeinsame Ehe zu fliehen. Es kommt zum bewaffneten Disput mit dem hinzugeeilten strengen Vater. Ein Schuss aus Alvaros Pistole löst sich unbeabsichtigt und trifft den Marchese tödlich. Sohn Don Carlo mutiert zum Racheengel, der es auf das Leben seiner Schwester und ihres Verehrers abgesehen hat. Eine wilde, zum Teil arg an den Haaren herbeigezogene Geschichte führt die Protagonisten schicksalshaft an verschiedensten Orten zusammen. Maestro Verdi konnte sich kompositorisch austoben mit großen Arien, Freundschafts- und Feindschaftsduetten, sakralen Gesängen, Trinkliedern und Tänzen. Beim Showdown in einem Mönchskloster provoziert Carlo den mittlerweile zum Ordensbruder konvertierten Alvaro zu einem Duell, bei dem er selbst tödlich von Alvaros Dolch getroffen wird. Im Todeskampf ersticht er seine ebenfalls anwesende zum Eremiten konvertierte Schwester. Alvaro bleibt verstört zurück.
Das Bühnenbild der von Martin Kušej 2013 inszenierten Aufführung ist überwiegend in Schwarz, Weiß, Grau, Silber und Brauntönen gehalten. Beeindruckend ist die Szene, in der Leonora im großen Wasserbassin des Klosters zum Eremiten geweiht wird. Die Wasserreflexionen an der Decke des Theaters lassen uns direkte Teilnehmer der Zeremonie werden. Eine wahrhaftig heilige Atmosphäre! Das Kreuz, das bereits auf dem Abendmahlstisch auftaucht, begleitet uns als Leit-Requisite durch die weitere Handlung. Es wird von Leonora in ihrer Gebetsarie, die einem religiösen Wahn nahekommt, wie eine Reliquie verehrt und in Embryohaltung umklammert. In der Schlussszene entsteigen sie, der sterbende Carlo und Alvaro einem Berg überdimensionierter weißer Kreuze. Don Alvaro, der Übriggebliebene, der Missverstandene, in dem sich die Macht des Schicksals manifestiert, lässt bei seinem Abgang das Kreuz resigniert aus seiner Hand gleiten.
Die Sänger zeigen insgesamt eine bärenstarke Leistung. Allen voran, die wunderbare Anja Harteros, die 2013 in dieser Inszenierung ihr Rollendebüt als Leonora feierte und für die die Bayerische Staatsoper quasi wie ein Wohnzimmer ist. Ihre perfekt geführte warme Stimme gleitet mühelos durch sämtliche Register, dynamisch von zarten Piani bis zum mächtigen Fortissimo. Obwohl ihre Rolle vor allem flehende Gebetsarien vorsieht, gestaltet sie ihre Figur äußerst facettenreich. So springt die übergroße Erleichterung, als sie im Kloster Zuflucht findet, auch auf uns in der 12. Reihe über. Ein hochemotionaler Gänsehautmoment ist die Interpretation der Arie „Madre, pietosa Vergine“. Das „Maledizione“ zum Ende des Gebets „Pace, pace, mio Dio“ geht durch Mark und Bein. Brava!
Der italienische Tenor Stefano La Colla, Darsteller des Don Alvaro, hat mehr Schwierigkeiten, in die Handlung zu finden. Ist es doch die Nervosität, den erkrankten Weltstar Jonas Kaufmann zu ersetzen? Im ersten Akt hat seine Stimme im Zusammenklang mit Harteros’ blitzsauberem variantenreichen Gesang arg viel Druck auf dem Tank und ist zum Teil unsauber in den Übergängen. La Colla variiert zumeist zwischen forte und fortissimo. Es besteht wenig Verbindung zu seiner Geliebten Leonore. Allerdings passt die Interpretation zum ungestümen Auftreten des fremden Wilden. Im Laufe des Abends steigert sich La Colla und lässt Don Alvaro immer wieder mit silbriger Stimmfarbe strahlen. Seine Darbietung wird vom Publikum mit herzlichem Applaus belohnt.
Bariton George Petean aus Cluj-Napoca in Rumänien mimt den Racheengel Don Carlo di Vargas überzeugend. Sein Gesang ist mal warm und freundschaftlich, schlägt dann aber wieder in blanken Hass und Fanatismus um. „La Forza del Destino“ zählt zu Verdis moderneren Werken mit Einflüssen der Pariser Grand opéra. Carlo wird jedoch als rückwärtsgewandter Charakter angelegt, was sich nicht nur in seiner Arie „Urna fatale“ mit typischen Belcanto Elementen zeigt. Petean interpretiert die Figur mit ausschweifendem Vibrato. Carlos warme, bewegliche mit Bronzenuancen gefärbte Stimme harmoniert in den Duetten mit Alvaros Strahlkraft.
Der finnische Bass Mika Kares ist in einer Doppelrolle zu sehen. Als Marchese di Calatrava startend, ein herrischer und für Leonore unzugänglicher Vater, verliert er im ersten Akt sein Leben. Im zweiten Akt ist er Padre Guardiano, der Leonora Zutritt zum Mönchskloster gewährt. Kares imponiert mit seinem samtig weichen Bass mit gütigen, väterlichen Zügen. Wunderschön sein Duett mit Anja Harteros. Die hohen und die tiefen Töne verschmelzen miteinander zu einem Klangkunstwerk mit Gänsehautfaktor.
Die Buffo-Figur Fra Melitone dient der Auflockerung des düsteren Szenarios. Der schwergewichtige italienische Bariton Ambrogio Maestri – weltberühmt für seine Falstaff-Interpretationen – ist eine Traumbesetzung für diesen Charakter. Mit seinem klangschönen Riesen-Volumen liest der Mönch in der Kapuzinerpredigt der lasterhaften Soldatenmeute – wenn auch vergeblich – die Leviten. Ein Naturereignis!
Die von Stellario Fagone geleiteten Chöre zeigen sich in großartiger Form und bilden einen Klangkörper, der jederzeit auf Augenhöhe mit den Solisten agiert. Beeindruckend die Szene, in der die Zigeunerin Preziosilla ein Rataplan anstimmt. Die Chormitglieder liegen in Reih und Glied am Boden und singen gemeinsam mit den Trommeln voluminös-perkussiv. Schade nur, dass Ekaterina Semenchuk als Preziosilla nicht mit der stimmlichen Qualität der anderen Solisten mithalten kann. Ihr Gesang klingt dicht, aber unpräzise und unverständlich.
Geben wir es doch zu, die ganze Oper ist ein ziemliches Männerwerk mit Kriegsschauplätzen, Frauen verachtenden Gesellschaftsstrukturen und einer übermächtigen Religion. Die Jungs Carlo und Alvaro befreunden und duellieren sich, sitzen an den Aktionshebeln, während die von ihrem Vater verstoßene und vom Bruder gejagte Leonora – die übrigens durch ihre männliche Verkleidung im Gasthaus und als Eremit im Kloster ihrer Weiblichkeit beraubt wurde – flehende Gebetsgesänge gen Himmel richten darf. Tröstlich, dass sie zumindest in ihrem Tod Alvaros Seelenheil rettet.
Wieso sollte man sich ein Werk anschauen mit einer streng patriarchalischen Weltordnung, hanebüchener Handlung, kriegsverherrlichenden Szenen, Fremdenfeindlichkeit und religiöser Verklärung? Weil es sich um ein Meisterwerk eines der größten Komponisten unseres Planeten handelt mit grandioser Musik und herausragenden Darstellern.
Dem Publikum hat’s gefallen!
Dr. Petra Spelzhaus, 1. Oktober 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Musikalische Leitung: Andrea Battistoni
Inszenierung: Martin Kušej
Bühne: Martin Zehetgruber
Kostüme: Heidi Hackl
Licht: Reinhard Traub
Produktionsdramaturgie: Olaf A. Schmitt, Benedikt Stampfli
Chöre: Stellario Fagone
Il Marchese di Calatrava: Mika Kares
Donna Leonora: Anja Harteros
Don Carlo di Vargas: George Petean
Don Alvaro: Stefano La Colla
Preziosilla: Ekaterina Semenchuk
Padre Guardiano: Mika Kares
Fra Melitone: Ambrogio Maestri
Curra: Daria Proszek
Un alcade: Christian Rieger
Mastro Trabuco: Galeano Salas
Un chirurgo: Daniel Noyola
Bayerisches Staatsorchester
Chor der Bayerischen Staatsoper
Statisterie und Kinderstatisterie der Bayerischen Staatsoper
Giuseppe Verdi, La forza del destino Bayerische Staatsoper, 26. September 2021
Liebe Frau Dr. Spelzhaus,
mit großem Interesse habe ich Ihren Beitrag über diese leider viel selten gespielte Oper gelesen. Dank ihrer inhaltlichen Darstellung bin ich zu dem Schluss gekommen, dass das Libretto zu Verdis Oper auch heute noch große Aktualität hat, wenn auch nicht in unserem mitteleuropäischen Kulturkreis. Einen wirklich herausragenden Alvaro auf der Bühne zu hören, war mir leider nie vergönnt, anders als beim Don Carlos (Milnes, Wixell, Ataneli). Petean habe ich in Hamburg früher als außerordentlich guten Verdibariton wahrgenommen. Sie schreiben ja von einem ausschweifenden Vibrato, ganz so herausragend scheint seine Stimme danach offenbar nicht mehr zu sein. Mit herzlichen Grüßen, Ihr Ralf Wegner