Großer Jubel für „La Traviata“ in der Arena von Verona

Giuseppe Verdi, La Traviata, Arena di Verona, 02. September 2021

Erstklassige sängerische Leistungen – zwiespältige Regie

Arena di Verona, 2. September 2021
Giuseppe Verdi, La Traviata

von Dr. Charles E. Ritterband (Text und Fotos)

Ein letztlich eher unbefriedigendes Regiekonzept mit einer zumeist unglücklichen Wahl des virtuellen Bühnenbilds auf den riesigen, digitalen LED-Screens kontrastierte mit zumeist hervorragenden sängerischen Leistungen. Sehr berührend und musikalisch subtil sämtliche Duette und vor allem das Terzett im zweiten Akt, vorbehaltlos erstklassig, stimmlich souverän und vom Publikum mit entsprechendem Beifall honoriert: der Giorgio Germont von Simone Piazzola. In den lauten Solo-Passagen kamen jedoch sowohl der Tenor Francesco Demuro als auch die Sopranistin Zuzana Marková an ihre Grenzen, so wohlklingend und fein ihr Gesang in den leiseren Passagen auch war.

Verona ist, um das abgenutzte Wort hier dennoch zu verwenden – ein Gesamtkunstwerk: Die herrliche Stadt mit ihren unzähligen Palazzi und Kirchen verschmilzt Nacht für Nacht mit den grandiosen Opernaufführungen in der römischen Arena. Und zu diesem Gesamtkunstwerk gehört auch die hübsche Tradition, dass, lange nach Mitternacht, nachdem die letzten Noten in der Arena verklungen und die Sängerinnen und Sänger abgeschminkt sind und sich ihrer Kostüme entledigt haben, die Solistinnen und Solisten an den Restaurants vorbeischreiten, und von den Zuschauern, die dort noch ihr Post-Opera-Diner genießen, spontanen Applaus ernten. So war es auch in dieser lauen Veroneser Sommernacht – und wir hatten das besondere Privileg, dass die wieder auferstandene Violetta (Zuzana Marková) und Alfredo (Francesco Demuro) just am Nachbartisch im selben Restaurant tafelten.

 

Diese letzte „Traviata“ der Veroneser Festivalsaison 2021 hinterließ einen zwiespältigen Eindruck: Musikalisch sehr solide und streckenweise – ganz hervorragend, doch szenisch (gerade im Vergleich zu den Inszenierungen des „Nabucco“ und der „Aida“, die ich kurz zuvor in der Arena gesehen hatte) ziemlich unausgegoren. Da waren zunächst die digitalen Bühnenbilder – ein von der Covid-Krise diktiertes Konzept für diese Saison, da physische Kulissen als zu riskant für die beteiligten Bühnenarbeiter erachtet wurden. Zu diesem innovativen Konzept gehörte es auch, dass auf die LED-Wände Kunstwerke aus italienischen Museen projiziert wurden, welche zum Thema der jeweiligen Oper passten.

Das funktionierte bei „Aida“ und „Nabucco“ ausgezeichnet, nicht aber bei „Traviata“. Laut Programmheft wurden ausschließlich Gemälde der Uffizien in Florenz ausgewählt, „die die weibliche Figur in all ihren Dimensionen und Tiefen beschreiben, von der Renaissance bis zum 19. Jahrhundert“. Das waren herrliche Bilder, die sich da auf den gigantischen LED-Wänden abwechselten – aber was soll’s? Die Auswahl, von Botticelli über Tizian und Raffaello bis hin zu Goya, wirkte allzu beliebig und stand in keinerlei Zusammenhang mit der Handlung der „Traviata“ (außer eben, dass es um Bilder von Frauen ging) – und lenkten eher ab, vor allem, weil man sich unwillkürlich Gedanken machte, was denn die Botschaft dieser Auswahl sein sollte. Und völlig falsch waren die prunkvoll gerahmten Gemälde in Traviatas Sterbezimmer im letzten Akt – denn die ehemalige Luxus-Kurtisane war ja, wie aus dem Text zu erfahren war, völlig verarmt und verteilte noch ihr letztes Geld unter die Armen der Stadt.

Wie auch bei den anderen Aufführungen wurde aus Covid-Gründen eine Zweiteilung zwischen pantomimisch agierender Statisterie und links der Bühne mit gebührender sozialer Distanz auf den Steinstufen aufgestelltem Chor durchgeführt. Das funktionierte bei den anderen Opern und auch hier – zumal der Chor, geleitet wiederum von Vito Lombardi, auch in der „Traviata“ erstklassige musikalische Leistungen erbrachte. Was sich aber auf der Bühne bei den Statistinnen und Statisten abspielte war, gelinde gesagt, peinlich. Vor allem im ersten Akt, bei der feuchtfröhlichen Luxus-Party mit dem weltberühmten Trinklied („Libiamo“). Die Statisten torkelten bald nur noch völlig betrunken auf der Bühne herum, um dann in ein kollektives Koma zu verfallen. Das war weder lustig, noch sinnvoll, noch originell, sondern ganz einfach nur blöde.

Ein weiterer Mangel: Wenn insbesondere Violetta allein und wegen der riesigen Distanzen kaum ortbar auf der gewaltigen Bühne stand, wäre ein Lichtwechsel zu etwas intimerer Beleuchtung sehr angebracht gewesen. Stattdessen blieb diese völlig unverändert und eine Chance, mit Beleuchtung die Handlung mitzugestalten, war verschenkt.

Nicht ganz passend die Wand, die ganz offensichtlich als Schallreflektor zu dienen hatte mit den Jugendstil-Glasmalerei-Motiven im Grünton, während auf den LED-Wänden im Hintergrund ein verschneiter Schlosspark mit leise rieselndem Schnee zu sehen war – ob sich die Kurtisane vor ihrem Sommerhaus einen Schlosspark leisten konnte, bleibe dahingestellt. War vielleicht doch etwas übertrieben. Gelungen, aber doch sehr konventionell (Ballett im spanischen Stil) die Szene auf dem Fest von Violettas Freundin Flora Bervoix (Clarissa Leonardi).

Das Orchester unter Maestro Francesco Ivan Ciampa fungierte als kongenialer, nie aufdringlicher und immer sehr musikalischer Klangpartner für die Solistinnen und Solisten. Simone Piazzola gab den Giorgio Germont mit dominierender Bühnenpräsenz und maskulinem baritonalem Schmelz – und erntete mit seiner Solo-Arie im zweiten Akt einen wohlverdienten Sonderapplaus des Publikums. Unbestritten Star des Abends und entsprechend umjubelt die Violetta der aus Prag stammenden Zuzana Marková. Mit ihrem dunklen, bisweilen in seiner weichen Tiefe fast ins Mezzo-Fach übergreifenden Sopran war diese Traviata ungemein berührend – vor allem im Duett mit dem sardischen Tenor Francesco Demuro, dessen stimmlicher Wohlklang bestechend war. Nicht nur stimmlich, auch optisch boten die bildschöne Tschechin und der dunkelhäutige Sarde ein ideales Paar. Gesanglich sehr harmonisch in den Duetten und vor allem im Terzett mit Vater Germont im zweiten Akt – doch beide, Tenor und Sopran, stiessen in den lauten Passagen  stimmlich an ihre Grenzen; Marková übersteuerte ab einer gewissen Lautstärke und tendierte zum Tremolieren, Demuro zeigte ebenfalls eher in den subtilen Passagen Stärke, weniger aber in jenen, die lautstarke Leidenschaft erforderten.

Dr. Charles E. Ritterband, 2. September 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Musikalische Leitung: Francesco Ivan Ciampa
Chorleitung: Vito Lombardi
Violetta Valéry: Zuzana Marková
Alfredo Germont: Francesco Demuro
Giorgio Germont: Simone Piazzola
Flora Bervoix: Clarissa Leonardi
Dottor Grenvil: Romano Dal Zovo
Annina: Yao Bohui
Orchester, Chor, Ballett und Techniker der Arena von Verona

Video-Design on Digitales Bühnenbild: D-WOK

 

 

2 Gedanken zu „Giuseppe Verdi, La Traviata, Arena di Verona, 02. September 2021“

  1. Der Autor hat wohl zum ersten Mal die Oper „Traviata“gehört? Aber macht nichts: Man muss irgendwann anfangen…

    P. S. Es ist notwendig, absolut taub oder skrupellos unwissend zu sein, um eine solche Rezension über solchen ABSCHEULICHEN Gesang zu schreiben.

    Alexander

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