La Traviata, Macerata Opera Festival © Marilena Imbrescia
Das renommierte Macerata Opera Festival faszinierte mit der Wiederaufnahme seiner legendären „Spiegel“-Inszenierung der „Traviata“ aus dem Jahr 1992. Einem hervorragenden Tenor (Anthony Ciaramitaro) stand eine Violetta mit durchzogener Stimmleistung (Nino Machaidze) und ein eher schwacher Vater Germont (Roberto de Candia) gegenüber. Dennoch: ungeteilt begeisterter Applaus im Publikum des säulenbestandenen Halbrunds der berühmten Arena Sferisterio (ursprünglich: Ballspielplatz).
Giuseppe Verdi, La Traviata
Macerata Opera Festival, 13. August 2023
von Dr. Charles E. Ritterband
Die knapp über 30-jährige, preisgekrönte Inszenierung unter der Regie von Henning Brockhaus sowie das Bühnenbild von Josef Svoboda wirken auch heute 2023 noch atemberaubend:
Während der vom Orchester (Dirigent: Domenico Longo) subtil intonierten Ouvertüre hebt sich über der anfänglich völlig leeren Bühne ganz langsam eine gigantische, aus zahlreichen Spiegeln zusammengesetzte Wand. Erst jetzt wird der kunstvoll bemalte Bühnenboden, bestehend aus einem riesigen Stofftuch sichtbar – nunmehr gespiegelt wird dieses Gemälde zum zweidimensionalen Bühnenbild, in dem sich jetzt auch die Akteure widerspiegeln. Ein grandioser Effekt, der in der ganzen Inszenierung, mit wechselnden Bühnenbildern, beibehalten wird. Ja, selbst der Wechsel vom einen zum anderen gespiegelten Hintergrund wird zum Ereignis – die Bühnenarbeiter selbst werden bei ihrer Arbeit des Zusammenrollens des einen und Ausbreiten des neuen Bühnenbildes, der Szenenwechsel wird zum Ereignis.
Und wie intelligent diese Idee ist: Am Ende des zweiten Aktes, wenn die schöne (aber kostspielige) Welt, welche sich das Liebespaar im schönen neuen Landhaus aufzubauen versuchte, nach der brutalen Intervention von Vater Germont untergeht, wird dieses Bühnenbild ebenso brutal zusammengerafft und verschwindet damit gleichzeitig als gespiegelter Hintergrund – deutlicher und krasser als in dieser einzigartigen Inszenierung kann man das Ende der gemeinsamen Illusion von Violetta und Alfredo nicht visualisieren.
Und nach dem letzten Akt, in welchem lediglich die karge, nur von den Überresten einstiger Grandeur als Luxus-Kurtisane bestandene Bühne übrigbleibt, senkt sich langsam die Spiegelwand und gibt nun erstmals die gespiegelten Publikumsränge der Arena wieder – wir alle, „die Gesellschaft“ – sind mitschuldig an Violettas Einsamkeit und ihrem tragischen Ende.
Nicht dieselbe Begeisterung wecken allerdings die Tanzeinlagen mit ihrer wenig einfallsreichen Choreographie (Valentina Escobar), und auch die Regie wirkt mitunter ziemlich statisch, vor allem am Ende des dritten Aktes (Floras Party), wenn alle kostümierten Gäste ziemlich belämmert in einer Reihe dastehen. Vielleicht, wie dies in guten aber in die Jahre gekommenen Inszenierungen weltweit so oft der Fall ist, gingen Regie-Details im Laufe der Zeit verloren.
Auch das singende Personal präsentierte sich sehr unterschiedlich: Fantastisch, berührend, mit wunderbarem tenoralem Schmelz der aus Florida stammende Anthony Ciaramitaro. Seine Partnerin: Die Traviata der georgischen Sopranistin Nino Machaidze. Trotz stimmlich wirklich schönen Partien – vor allem im Duett mit Alfredo im ersten und Vater Germont im zweiten Akt – wirkte ihr Gesang bisweilen spröde und wenig melodisch.
Aber die eigentliche Enttäuschung war der doch eigentlich als „einer der am meisten gefeierten Baritone der letzten 30 Jahre“ bekannte, in Apulien geborene Roberto de Candia. Die herrliche Arie “Di Provenza il mar, il suol chi dal cor ti cancellò“, mit der er seinen Sohn Alfredo zur Rückkehr an den Familiensitz in der Provence und in den Schoss seiner Familie (zwecks Ermöglichung der standesgemäßen Heirat von Alfredos bisher unerwähnten Schwester) überreden will, klingt in der auf YouTube zu sehenden Aufnahme aus dem Jahr 2008 dann doch erheblich besser als heute live auf der Bühne der Arena Sferisterio von Macerata, wo die Stimme des erfolgreichen Baritons eher kraftlos und in den erforderlichen Tiefen fast mangelhaft wirkt.
Dennoch: Begeisterter Applaus des Publikums – vor allem für die Titelrolle der Georgierin Nino Machaidze und, verdientermaßen, für den amerikanischen Tenor Anthony Ciaramitaro.
Dr. Charles E. Ritterband, Macerata, 14. August 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Besetzung:
Dirigent: Domenico Longo
Regie: Henning Brockhaus
Bühnenbild: Josef Svoboda
Kostüme: Giancarlo Colis
Choreographie: Valentina Escobar
Licht: Fabrizio Gobbi, Brockhaus
Chormeister: Martino Faggia
Violetta: Nino Machaidze
Alfredo: Anthony Ciaramitaro
Giorgio Germont: Roberto de Candia
Annina: Silvia Giannetti
Flora Bervoix: Mariangela Marini
FORM Orchester Filarmonica Marchigiana
In italienischer Sprache
Wiederaufnahme der Inszenierung des Jahres 1992
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LA TRAVIATA, Musik von Giuseppe Verdi Wiener Staatsoper, 29. Oktober 2022
Giuseppe Verdi, La Traviata Semperoper Dresden, 2. Oktober 2022 PREMIERE