Foto: © 2019 ROH / Catherine Ashmore
Diese Traviata-Inszenierung ist längst ein Klassiker und sie hat Bestand – offensichtlich. Eine Tragödie aus dem frivolen Paris des 19. Jahrhunderts, in einer durch und durch italienischen Oper, aufgeführt in einem der traditionsreichsten englischen Theater – das ist ein kultureller Mix, der seinesgleichen sucht.
The Royal Opera London, 21. Dezember 2019
Giuseppe Verdi, La Traviata
von Charles E. Ritterband
Diese „Traviata“ ist wunderschön – Bühne und Ausstattung von Bob Crowley führen in das opulente Paris Mitte des 19. Jahrhunderts, wo sich leicht degenerierte Aristokraten und rasch reich gewordene Großbürger in den Salons – auch jenen von berühmten Kurtisanen wie eben der Violetta Valéry alias „La Traviata“ – die Hand reichen, große Beträge ohne mit der Wimper zu zucken beim Roulette aufs Spiel setzen, gegeneinander intrigieren und sich anschließend bei Duellen im Morgengrauen in den großen Pariser Parklandschaften ins Jenseits befördern.
Das gewaltige Bühnenbild und die golddurchwirkte, parfümgeschwängerte Atmosphäre sind atemberaubend, lichtdurchflutete Räume mit dreistöckigen Fenstern, Seidentapeten und geschwungene Marmortreppen – umso stärker dann der Kontrast mit dem Landhaus im zweiten Akt, wo noch die Tapetenmuster bereitliegen und die kostbaren Gemälde noch nicht aufgehängt sind und schließlich dem weiß verhangenen Sterbezimmer der Violetta im dritten Akt, fast aller Möbel und der Lebenskraft beraubt.
Eine großartige, stimmige, klassisch-zeitlose Inszenierung (Richard Eyre), die dieses Jahr ihr 25. Bühnenjubiläum begeht und in denkwürdigen Vorstellungen schon viele Sängerinnnen und Sänger der Weltklasse auftreten ließ (Angela Gheorghiu und Anna Netrebko als Traviata, Ramón Vargas, Roberto Alagna und Marverlo Álvarez als Alfredo, Leo Nucci als Giorgio Germont).
Eine Inszenierung ohne Wenn und Aber – und ohne weit hergeholte Mätzchen profilneurotischer Regisseure. Der 1943 geborene Eyre, vielfach ausgezeichnet und von der Queen geadelt (CBE, Commander of the British Empire) wurde für seine über 100 Inszenierungen mehrfach ausgezeichnet. Auch drehte er mehrere erfolgreiche BBC-Fernsehfilme und einige Spielfilme.
Dass die Royal Opera diese Traviata durchschnittlich jedes zweite Jahr in wechselnder (Spitzen-) Besetzung auf die Bühne bringt und – wie kürzlich erfolgt – in zahlreichen Kinos weltweit als Live-Übertragung einem Millionenpublikum zugänglich macht, ehrt diesen Regisseur zusätzlich.
Seine Traviata-Inszenierung ist längst ein Klassiker und sie hat Bestand – offensichtlich. Eine Tragödie aus dem frivolen Paris des 19. Jahrhunderts, in einer durch und durch italienischen Oper, aufgeführt in einem der traditionsreichsten englischen Theater – das ist ein kultureller Mix, der seinesgleichen sucht.
Die armenische Sopranistin Hrachuhi Bassenz gab die Violetta als erst dominierende Königin dieses Abends im prachtvollen weißen Ballkleid, dann als schwächelnde, todgeweihte von der schleichend vorpreschenden Tuberkulose gezeichnete junge Frau: Sie produziert mühelos wunderbare Töne, atemberaubende und stets präzise Höhen. Doch in ihrer perfekt ausgebildeten Stimme findet sich sehr wenig von der Fragilität dieser bald sterbenskranken Traviata mit mehr als nur Todesahnung – Todesgewissheit: Ihre kraftvolle Stimme zeugt von perfekter Technik und eiserner Disziplin.
Ihr Partner, der ebenfalls aus Armenien stammende Tenor Liparit Avetisyan als Alfredo, bringt zwar süße, harmonische Töne hervor – doch seine Bühnenpräsenz ist trotz tenoralem Schmelz (vor allem in der herrlichen Off-Stage-Arie aus dem ersten Akt) durchwegs eher zurückhaltend und man nimmt es dieser lebenserfahrenen Kurtisane, die die Männer kennt und manipuliert, nur schwer ab, dass sie sich in diesen wenig maskulinen, eher schüchternen Alfredo unsterblich verliebt.
Der Mann ist einfach nicht sehr sexy. Mutterinstinkte – mag sein. Passt aber nicht zum Stück. Dessen ungeschickt, ja unmoralisch agierender Papa Giorgio Germont wird vom britischen Bariton Simon Keenlyside ziemlich glaubhaft verkörpert – und er singt den Germont mit einer samtenen, wohlklingenden Stimme. Zwischen Vater und Sohn kommt es zum Konflikt, der im zweiten Akt zu eigentlichen Handgreiflichkeiten ausartet.
Hochmusikalisch hingegen das Orchester der Royal Opera unter dem erfahrenen Verdi-Spezialisten Daniel Oren: leidenschaftlich, subtil und präzise, mit unvermittelt wechselnden Tempi von atemberaubend rasch bis ruhend. Ein Spitzenorchester von Weltrang, in dieser und sämtlichen anderen Produktionen.
Das Publikum in Covent Garden bejubelte diese erfolgreiche Produktion und die wunderbaren Stimmen, vor allem die herausragende Traviata der Hrachuhi Bassenz. Ein Name, den man sich merken sollte.
Charles E. Ritterband, 23. Dezember 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Inszenierung: Richard Eyre
Dirigent: Daniel Oren
Bühne: Bob Crowley
Chorleiter: William Spaulding
Violetta Valéry: Hrachuhi Bassenz
Flora Bervoix: Stephanie Wake-Edwards
Alfredo Germont: Liparit Avetisyan
Giorgio Germont: Simon Keenlyside
Doctor Grenvil: Timothy Dawkins
Baron Douphol: Germán E. Alcántara
Orchester der Royal Opera