Brillante Koloraturen und subtilste Pianissimi in Händels "Rodrigo" im Theater an der Wien

Georg Friedrich Händel, Rodrigo,  Theater an der Wien, 20. Dezember 2019

Foto: Emöke Baráth. © Zsófi Raffay

Es gibt in dieser Oper eine Stelle von atemberaubender Schönheit und Emöke Baráth verlieh dieser einmaligen Passage die ganze Subtilität und Zartheit, welche sie verlangt – es war ein wunderbares Solo-Stück lediglich von einem mit höchster Einfühlsamkeit gespielten Violoncello (Nicolas Crjanski) begleitet. Zum Weinen schön.

Theater an der Wien, 20. Dezember 2019

Georg Friedrich Händel, Rodrigo (oder: Vincer se stesso è la maggior vittoria), Konzertante Aufführung

von Charles E. Ritterband

Georg Friedrich Händel schrieb diese Oper in italienischer Sprache im Alter von 21 Jahren auf seiner vierjährigen Bildungsreise nach Italien – sie wurde im Oktober 1707 uraufgeführt. Der päpstlich Nuntius, von dem Werk sichtlich angetan, berichtete dem Papst nach Rom, dass im Teatro di Via del Cocomero „die von dem sehr berühmten Musiker Giorgo Eden aus Sachsen komponierte Oper“ in Anwesenheit „ihrer allerdurchlauchtigsten Hoheiten“ aufgeführt worden sei – und diese sei „sehr gut“.

Tatsächlich blieb diese Oper weitgehend unbekannt, große Teile davon blieben lange Zeit verschollen. Erst in unserer Zeit, 1984, wurde das vollständige Werk aufgeführt – und zwar bei den Innsbrucker Festwochen.

Das Theater an der Wien hat an diesem Abend also eine – dem Publikum zweifellos unbekannte – Rarität präsentiert und gut daran getan, dieses zwar wunderschöne aber durch erhebliche Längen gezeichnete Werk nicht inszeniert, sondern konzertant zur Aufführung zu bringen. Dies hatte den Vorzug, dass sich das Wiener Publikum vollumfänglich auf die durchweg hervorragenden Gesangsleistungen der höchst anspruchsvollen Partitur konzentrieren konnte – und auf die komplexen, virtuosen Passagen, die Händel auch den Musikern zugemutet hat.

Ein ungewöhnliches und sehr heterogenes Werk; es besteht aus virtuosen Koloratur-Arien, sehr leisen Passagen, einem weiten Spektrum an vielfältigen barocken Tanzsätzen (Gigue, Sarabande, Matelotte, Menuett, Bourrée, Passacaille).

Vivica Genaux. Foto: (c) RibaltaLuce-Studio

Als Star des Abends wurde die Sängerin des Rodrigo, die in Alaska geborene Mezzosopranistin Vivica Genaux präsentiert, die in der Tat diese Partie bravourös und mit großer stimmlicher Prägnanz präsentierte. Der einzige männliche Sänger, der Genuese (mit chilenischen Wurzeln) Emiliano Gonzales Toro sang den Giuliano, den Bruder der Geliebten der Titelfigur, des spanischen Königs Rodrigo mit dem samtenen Wohlklang, den diese Rolle verlangt.

Julia Lezhneva. © Emil Matveev

Doch die Palme gebührt zwei weiteren Sängerinnen: Der russischen Sopranistin Julia Lezhneva, welche Florinda, Rodrigos Geliebte verkörperte. Ihre glasklaren, geradezu halsbrecherisch artistischen Koloraturen mit zahllosen Sechzehntelnoten – wutentbrannt und von Rachegelüsten getrieben, denn sie zürnt Rodrigo, der gerade die Beziehung mit ihr beendet hat – präsentierte sie mit großer Präzision, sicheren Höhen und stimmlicher Schönheit. Sie hat bei Decca soeben ihr neues CD-Album präsentiert.

Ihr mindestens ebenbürtig und, wie es ihre Rolle verlangte, mit einer unglaublichen Vielfalt an gesanglichen Ausdrucksmitteln, die aus Ungarn stammende lyrische Sopranistin Emöke Baráth – fein ziselierte Pianissimi mit starken emotionalen Momenten, wie die nur von einem Violinsolo begleitete Arie am Ende des ersten Aktes. Baráth verkörperte Esilena, die betrogene und am Ende doch verzeihende, loyale Gattin des Rodrigo.

Es gibt in dieser Oper eine Stelle von atemberaubender Schönheit und Emöke Baráth verlieh dieser einmaligen Passage die ganze Subtilität und Zartheit, welche sie verlangt – es war ein wunderbares Solo-Stück lediglich von einem mit höchster Einfühlsamkeit gespielten Violoncello (Nicolas Crjanski) begleitet. Zum Weinen schön.

Thibault Noally dirigierte das Barock-Ensemble „Les Accents“ temperamentvoll und doch zugleich äußerst nuanciert; zugleich gab er in dem kleinen, ausgezeichneten Barock-Orchester als exzellenter Violonist den Ton an.

Charles E. Ritterband, 22. Dezember 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Musikalische Leitung: Thibault Noally
Rodrigo: Vivica Genaux
Esilena: Emöke Baráth
Florinda: Julia Lezhneva
Giuliano: Emiliano Gonzales Toro
Evanco: Dilyara Irisova
Fernando: Anthea Pichanick
Barock-Ensemble Les Accents

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