Foto: © Barbara Pálffy
Giuseppe Verdi, La Traviata, Volksoper Wien, 27. Februar 2018
Nicholas Milton, Dirigent
Hans Gratzer, Regie und Bühnenbild
Barbara Naujok, Kostüme
Frank Sobotta, Licht
Anja-Nina Bahrmann, Violetta Valéry
Szabolcs Brickner, Alfredo Germont
Sangmin Lee, Giorgio Germont
Renate Pitscheider, Flora Bervoix
Karl-Michael Ebner, Gastone, Vicomte de Létorières
Thomas Plüddemann, Baron Douphol
Daniel Ohlenschläger, Marquis d’Obigny
Stefan Cerny, Doktor Grenvil
Manuela Leonhartsberger, Annina
von Jürgen Pathy
Die Frage, ob an der Volksoper Wien neben der Operette, dem Musical und den obligatorischen Zauberflöten, auch der hochdramatische Giuseppe Verdi seinen angemessenen Platz finden kann, hat sich erübrigt – Ja, er kann!
Mit der Vertonung von Alexandre Dumas‘ Geschichte rund um eine tuberkulosekranke, edelmütige Luxusprostituierte hat der italienische Komponist seine Zeitgenossen bewusst provoziert. „Für Venedig mache ich die Dame aux camélias, die vielleicht Traviata als Titel haben wird. Ein zeitgenössischer Stoff. Ein anderer würde ihn vielleicht nicht gemacht haben, wegen der Sitten, wegen der Zeiten und wegen tausend anderer blöder Skrupel… Ich mache ihn mit größtem Vergnügen„, schrieb er am 1. Jänner 1853 an seinen Komponisten-Kollegen Cesare de Sanctis.
Auch wenn sich an dieser Geschichte heute keine Seele mehr stoßen würde, zählt Giuseppe Verdis „La Traviata“ zum Repertoire aller großen Opernhäuser dieser Welt. Mit einfachen, sich wiederholenden Melodien, die für Jedermann überschaubar sind, mit einer Orchestrierung, die sich selten in den Vordergrund drängt, sondern harmonisch die Gesangsmelodien stützt, hat sich der italienische Opernfürst seinen fixen Platz an der Sonne erkämpft.
Bei der Uraufführung im venezianischen Teatro La Fenice am 6. März 1853 floppte das heute erfolgreiche und meistgespielte Bühnenwerk des italienischen Opernfürsten noch – von Flop kann an der Volksoper Wien an diesem Abend keine Rede sein. In der vom 2005 verstorbenen Hans Gratzer inszenierten Aufführung, die bereits am 15. Juni 2001 ihre Premiere feierte, überzeugen vor allem zwei Protagonisten: Violetta und Germont.
Dass die deutsche Sopranistin Anja-Nina Bahrmann über eine ausgezeichnete Stimme verfügt, dessen konnte sich klassik-begeistert.at bereits zu Weihnachten in Engelbert Humperdincks „Hänsel und Gretel“ überzeugen. Dass sie jedoch den Erwartungen gerecht wird und auch die tragende, hochdramatische und virtuose Rolle der Violetta mit solcher Perfektion und unglaublichem Können meistern würde, überrascht dann doch ein wenig. Scheinbar ohne jegliche Mühen steigt sie hinauf in die Sphären der hohen F’s, beglückt mit fein ausgeprägten Pianissimi, verblüfft mit agilen Koloraturen und mimt im letzten Akt eine überzeugende, sterbende Kurtisane.
Im rund zwanzig Minuten dauernden Dialog mit Germont fesseln die beiden Sänger den ganzen Saal, der mit intensivem Szenenapplaus honoriert. Ihr 1977 geborener Duettpartner Sangmin Lee trägt mit seiner prächtigen, ausfüllenden Stimme einen erheblichen Teil dazu bei. Bei seinem Hausdebüt kann der koreanische Bariton sichtlich die Herzen des Publikums erobern. Überglücklich verteilt der Koreaner beim frenetischen Schlussapplaus Küsschen.
Das Bonmot „der Bariton hält, was der Tenor verspricht“ würde an diesem Abend vortrefflich passen, wären die Erwartungen nicht gering gewesen. Ensemblemitglied Szabolcs Brickner gibt zwar keinen so üblen, aber dennoch schwankenden Alfredo – es fehlt ihm an Überzeugungskraft und an Charisma, um in der Rolle des tragischen Liebhabers zur Gänze überzeugen zu können. Versöhnlich schließt seine Darbietung im Schlussakt.
Bis auf einige schauspielerische Schwächen sind die weiteren Rollen vor allem gesanglich hervorragend besetzt. Nur die Mezzosopranistin Renate Pitschneider, als Flora Bervoix, will an diesem Abend sowohl schauspielerisch als auch gesanglich absolut nicht gefallen. Das Wiener Staatsballett bietet unterhaltsame Einlagen.
Der australische Dirigent Nicholas Milton und das Volksopernorchester werden Giuseppe Verdis Vorgaben wohlwollend gerecht – zu keinem Zeitpunkt kommen sie den Sängern in die Quere. Nur wenn es nötig wird, drängt sich das Ensemble in den Vordergrund. So wie beim klagenden, an Klezmermusik erinnernden Klarinettensolo, bevor Alfredo auf die Abschied nehmende Violetta trifft, oder beim berührenden Geigensolo der Briefszene des dritten Aktes, dem nervös tremolierende Streicher folgen. Das alles geschieht jedoch im Sinne des Komponisten, der damit dem außergewöhnlichen emotionalen Zustand seiner Protagonisten nur noch mehr Nachdruck verleiht – der dramaturgischen Effekte wegen eine Glanzleistung des Komponisten.
Auch wenn über dieser 146. Vorstellung der Volksoper Wien bedrohlich das Damoklesschwert der monumentalen Tonaufnahmen vieler großer Künstler hängt, gibt sich das Volksopernensemble samt Gästen im Großen und Ganzen keine Blöße und bietet einen lohnenswerten Abend. Diese Violetta und diesen Germont sollte man gesehen haben – auch die beeindruckenden Lichteffekte, die der Dramaturgie den letzten Schliff verleihen und das minimalistische Bühnenbild hervorragend in Szene setzen.
In der Titelpartie ist Anja-Nina Bahrmann noch am 2. Februar und am 10. Februar 2018 zu erleben. Sangmin Lees herrlicher Bariton wird noch einmal am 14. Februar zu hören sein. Gemeinsam werden die beiden das fabelhafte Duett in dieser Saison leider nicht mehr singen können.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 28. Februar 2018
für klassik-begeistert.at