Foto: Bernd Uhlig (c)
Staatsoper Unter den Linden, Berlin, 21. Juni 2018
Giuseppe Verdi, MACBETH
von Dr. Ingobert Waltenberger (Neuer Merker)
Gespielt wird Macbeth in der Pariser Fassung 1865 (allerdings ohne Ballett) in italienischer Sprache mit dem Florentiner Schluss ohne Chor nach der ersten Fassung 1847.
Inszeniert hat Altmeister Harry Kupfer in Bühnenbildern vom langjährigen künstlerischen Weggefährten Hans Schavernoch. Das Publikum soll den Eindruck bekommen, das Stück spielt in einer modernen Welt, in einer Welt, die an Diktaturen in Südamerika der 60-er oder 70-er Jahre des 20. Jahrhunderts erinnern soll. Aber natürlich handelt es sich um ein Gleichnis. Es ist eine konventionelle Inszenierung mit sparsamer Personenführung geworden. Die Arrangements könnten auch vor dreißig Jahren so ausgesehen haben, wenn da nicht teils spektakuläre Videos (Thomas Reimer) den Bühnenhintergrund beleuchten würden. Sie stellen Kriegsszenen mit brennenden Städten, Ruinen aus dem schottischen Mittelalter und dem England des 17. Jahrhunderts, aber auch gewaltige Naturszenen, wie Gewitter, Vulkanausbrüche, Waldbrände oder gebirgige Winterlandschaften dar. Der Wechsel zwischen Innen und Außen wird entsprechend der neuen Bühnentechnik mit Hubpodien bewerkstelligt. Abwechselnd gibt es düstere Natur und nächtliche Städte zu sehen bzw. eine schicke anthrazitgrau marmorne Neureichenbehausung mit weißer Ledergarnitur à la Chesterfield. Darin tummeln sich die Personen des Stücks ein wenig unbeholfen und harmlos.
Die Oper hat drei Hauptprotagonisten, den in sich zerrissenen doppelbödig ängstlichen Ehrgeizler Macbeth, seine zwischen energiegeladen und in skrupulösen Selbstzweifeln befangene Lady und den Chor der Hexen bzw. des Hofstaats.
Die beste Leistung des Abend erbringt überraschenderweise Placido Domingo in der von der Tessitura her hoch gelegenen Baritonpartie des mordenden und dennoch feigen Machtmenschen Macbeth. Wenn man akzeptiert, dass Domingo natürlich nach wie vor ein veritabler Tenor ist, sich nicht an seiner althergebracht ökonomischen Art des Singens stört (in den großen Ensembles ist er unhörbar, beim Abphrasieren nach unten lässt er die Töne einfach fallen) und es auch nicht eigenartig findet, dass er eher wie der Vater denn der Ehemann der Lady Macbeth aussieht, so kann man unbeschwert eine Gesangsleistung der Sonderklasse genießen. Domingo ist ein hochmusikalischer, intelligenter Sänger, der mit Generationen an Sopranen von Freni, Caballé, Jurinac über Scotto, Studer und Nilsson unglaubliche Erfolge in einem Riesenrepertoire weltweit eingefahren hat. Seine Stimme ist – zumindest an diesem Abend – schön wie eh und je, schmelzreich, ruhig geführt, voluminös, ausdrucksstark und hoch expressiv. Seine Phrasierungskunst, der Sinn für Klangfarben und eine fabelhafte Gesangstechnik erlauben es dem charismatischen Sänger, in der Charakterpartie des Macbeth auch in seinem Alter beinahe ohne Abstriche zu reüssieren. Seine bisweilen auftretende Kurzatmigkeit kann er klug in dunkle Atmosphäre ummünzen. Die Arie im vierten Akt ist ein Wunder an Verdigesang.
Anna Netrebko als Lady Macbeth hat eine Riesenstimme, von der Farbe her wie ein Mezzo mit toller Höhe. Sie wirft sich mit voller Verve in die Rolle und überzeugt mit gewaltigen Akuti, die etwa in der Bankettszene mühelos den 85-köpfigen Chor überstrahlen oder auch in der Nachtwandelszene mit einem im Piano gesungenen prächtigen hohen Des. Die Stimme weist jedoch einen erheblichen Bruch nach unten auf. In den unteren Registern klingt ihr Sopran rauchig verschattet, bisweilen dumpf und guttural und ordentlichen Problemen mit der exakten Intonation. Auf der Bühne ist Netrebko furios, sie stürzt sich ohne Rücksicht auf Verluste in die Rolle und auf ihren Partner. Freilich wird die kurz angedeutete „Sexszene“ im 3. Akt, wo Netrebko Domingo das Hemd herunterreißen muss, zumindest rund um mich belustigt bekichert.
Kwangchul Youn tut sich und den Zuhörern als Banquo mit einem nicht zu bändigenden Tremolo nichts Gutes und bleibt auch als Figur blass. Fabio Sartori in der Rolle des Macduff gehört der derberen Fraktion Tenor mit jeder Menge an Schluchzern an, allerdings verfügt er über eine schlafwandlerisch sichere Höhe und eine großvolumige Stimme. Evelin Novak lässt als Kammerfrau mit angenehmem Timbre und schön platzierten Tönen aufhorchen.
Der Staatsopernchor (Einstudierung Martin Wright) könnte noch ein paar Proben vertragen. In der ersten Hexenszene wird geschleppt, rhythmische Präzision gehört an diesem Abend generell nicht zu seinen Tugenden. Manche Soprane fallen durch ein überproportionales Tremolo auf. Keine Meisterleistung.
Aus dem Orchestergraben ist viel Exquisites zu hören. Die Staatskapelle Berlin begeistert vor allem in den Piani, überrascht mit vielen instrumentalen Details und verwöhnt das Ohr insgesamt mit einer ungeheuren Finesse und Klangkultur. Dirigent Daniel Barenboim, der schon 2015 Macbeth im Schillertheater in der Wiederaufnahme der Produktion von Peter Mussbach musikalisch geleitet hat, ist mit der Partitur bestens vertraut. Allerdings sorgt seine unorthodoxe Temporegie nach dem Muster kalt-warm nicht immer für Hochspannung, sondern produziert in manch langsamem Moment Durchhänger und Langeweile.
Generell wegen der Besetzung der beiden Hauptrollen, der grandiosen Abendverfassung von Domingo und des fabelhaften Orchesters ein memorabler Abend.
Dr. Ingobert Waltenberger