The Grange Opera – ein weiteres sommerliches Opernfestival in einem historischen Landhaus, inmitten der herrlichen südenglischen „Country Side“ wagte sich mit „Macbeth“ erfolgreich an eine von Verdis großen Opern. Das Haus, basierend auf einem großen Jagdhaus aus dem 17. Jahrhundert, wurde im Jahr 1804 in eine Art griechischen Tempel umgebaut – angeblich um den Nachbarn zu imponieren und immerhin von einem hochberühmten Architekten, William Wilkins, der nichts Geringeres als den Londoner Trafalgar Square und die dortige National Gallery entworfen hatte. Es war der erste „Greek Revival“-Bau in England, immerhin.
The Grange Festival, 17. Juni 2022
Giuseppe Verdi (Libretto: Francesco Maria Piave), „Macbeth“
von Dr. Charles E. Ritterband (text und Fotos)
In seinen Dimensionen entspricht der Zuschauerraum mit seinen 570 Sitzplätzen in der ehemaligen Orangerie zufällig ziemlich genau jenem Theater, für welches Verdi seine Lieblingsoper geschrieben hatte und wo sie 1847 uraufgeführt wurde: Das Teatro della Pergola in Florenz, welches angeblich 1657 als erstes Haus überhaupt Logen eingeführt hatte. Das Schloss, in dem die Pausendiners serviert werden, wirkt ziemlich heruntergekommen – und genau das ist sein Charme: „Shabby Chic“ nennt man das hierzulande… Der fantastische Park mit 30 000 Bäumen ist der Ort, in dem während der auf eineinhalb Stunden verlängerten Pause die Picnics abgehalten werden – auf Tischen, auf Decken oder eleganter, in Zelten. Daneben grast eine Herde von jungen, schwarzen, aus Schottland stammenden (wie passend!) Aberdeen-Angus-Rindern und auf einer Wiese spielen die Musiker aus dem Orchester mit den auf der Bühne auftretenden Kindern Cricket.
Das renommierte Bournemouth Symphony Orchestra unter dem dynamischen, in Turin geborenen Dirigenten Francesco Cilluffo brillierte (manchmal fast etwas zu dominant) im Orchestergraben mit grandiosem, authentischen Verdi-Sound. Auf der Bühne darüber phänomenale Stimmen, aber eine nicht sehr überzeugende Inszenierung – mit überstrapazierten, permanent auf der Bühne agierenden Hexen und zwei riesigen, unmotivierten und daher enorm störenden Duschvorhängen im Hintergrund. Eigentlich war das Bühnenbild, massiv beeinträchtigt allerdings von den beiden transparenten Plastic-Planen, die da herunterhingen, durchaus attraktiv: Eine halbrunde Bibliothek mit Bücherregalen und Schaukästen, gestützt von schönen alten Säulen. Das erinnerte, wohl nicht zufällig, an die Bibliothek aus „Harry Potter“, wo ja Magie, ebenso wie in „Macbeth“, eine tragende Rolle spielt.
Die Sänger waren ausnahmslos hinreißend. Die heute 62-jährige Judith Howarth, eine der gefragtesten Sängerinnen Europas, gab eine überaus imposante Lady Macbeth. Eine lyrische Sopranistin mit enormen, anspruchsvollem Spektrum, welches diese Rolle erfordert, verlieh mit dunklem, in abgründige Tiefen hinabsteigenden Timbre der Königsgattin einen wahrhaft diabolischen Charakter. Man möchte dieser Lady Macbeth nicht allein im Dunkeln begegnen, ganz besonders nicht in den zugigen Gemäuern eines schottischen Schlosses. Dass Howarth am schottischen Konservatorium, an der Royal Scottish Academy of Music and Drama, studiert hatte, gab ihr schon einen frühen Bezug zu Schottland, dem Schauplatz dieses Dramas.
Als ihr Gatte, nicht minder beeindruckend, der albanische Bariton Gezim Myshketa – mit warmer, kraftvoller Stimme und großer Subtilität bringt er seinen Zwiespalt zwischen der Loyalität zu seinem König und seiner Gattin zum Ausdruck. Als kongenialer Partner steht ihm als Freund und dann Mordopfer Banquo der in Neuseeland geborene und aus Samoa stammende Bass Jonathan Lemalu gegenüber, der die Tiefen dieses Registers mit enormer Stimmkraft auslotet. Großen Applaus ernteten die Tenöre: Samuel Sakker (Macduff) und Andrés Presno (Malcolm).
Schlicht als „silent“ (stumm) figuriert hingegen das erste Mordopfer dieses Shakespeare-Dramas auf der Liste der Rollen und Stimmen: der „gute alte König“ Duncan. In dieser Inszenierung gab er hingegen eine ziemlich klägliche Figur ab. Völlig allein (historisch undenkbar) setzte er sich auf den besten Sessel im Hause Macbeth, eine Art Thron, und blieb dort einfach sitzen – vor allem auch dann, als die Marschmusik erklingt, welche doch üblicherweise für seine Leibgarde erklingt, die zu diesen forschen Klängen quer über die Bühne marschiert. Hier passierte – nichts. Und die herrliche Musik steht sinnlos im Raum. Das erinnerte mich an ein Erlebnis vor vielen Jahren, in der Arena di Verona, mit dem dortigen Markenzeichen, der Aida: Da ertönte der berühmte Triumphmarsch – doch die Bühne blieb leer. Statisten und Ballett streikten.
Zwei Sentenzen Shakespeares figurieren auch in dieser grandiosen aber blutigen Oper: Der Weg zur Macht ist gesäumt mit Verbrechen. Und: Gott ist dieser grauenhaften Verbrechen überdrüssig. Diese Zitate lassen sich in ihrer Zeitlosigkeit sehr direkt auf Putin und den Krieg in der Ukraine anwenden.
Verdi hingegen brachte in seinem „Macbeth“ ein für seine Zeit nicht minder aktuelles und brennendes Anliegen zum Ausdruck: Er schrieb seine Oper zur Zeit des „Risorgimento“, des Aufstands gegen die Österreicher, welche damals einen großen Teil der italienischen Halbinsel okkupierten. Und, nicht weniger als im „Nabucco“ mit seinem illustren Chor der exilierten Hebräer, bringen Verdi und sein Librettist Piave im „Macbeth“ den Aufschrei über die okkupierte Heimat und all das Unrecht und das Leiden der Bevölkerung, welche diese Okkupation durch Österreich nach sich zog, zum Ausdruck.
Wenn dem Zuschauer – wie in dieser Inszenierung sehr eindrücklich auf die Bühne gebracht – die blutigen Opfer unter der Zivilbevölkerung drastisch vor Augen geführt werden, ist weniger das Schottland im 11. Jahrhundert unter dem brutalen Usurpator Macbeth als das okkupierte Italien Verdis im 19. Jahrhundert gemeint. Die Anspielungen können deutlicher nicht sein – und die beiden Tenöre, die „good guys“ in dieser Oper, verkörpern die Heroen der Befreiung Italiens, zu denen Verdis zeitgenössische Fans diesen Komponisten mit dem Graffiti-Slogan „Viva VERDI!“ („Es lebe Vittorio Emanuele re d’Italia!“) auf zahllosen Hausmauern im Norden verehrten.
Dr. Charles E. Ritterband, 17. Juni 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Regie und Choreographie: Maxine Braham
Macbeth: Gezim Myshketa
Lady Macbeth: Judith Howarth
Banquo: Jonathan Lemalu
Macduff: Samuel Sakker
Malcolm: Andrés Presno
Bournemouth Symphony Orchestra
Dirigent: Francesco Cilluffo
The Grange Festival Chorus