Meine Lieblingsoper 26: Macbeth von Giuseppe Verdi

Meine Lieblingsoper 26: Macbeth von Giuseppe Verdi

Foto: © Westermann, Staatsoper Hamburg

Birgit Nilsson, Mirella Freni, Edita Gruberova, Plácido Domingo, Luciano Pavarotti: Der Hamburger Mediziner Dr. Ralf Wegner hat die großen Weltstars der Opernwelt seit Ende der 1960er-Jahre alle live erleben dürfen: vor allem in der Staatsoper Hamburg, die in den 1970er-Jahren noch zu den weltbesten Opernhäusern zählte und sich heute um Anschluss an die deutsche und europäische Spitze bemüht. Begeben Sie sich in ein wunderbares Stück Operngeschichte und reisen Sie mit in eine Zeit, die scheinbar vergangen ist.

von Dr. Ralf Wegner

Verdis Macbeth gehörte früher leider nicht zum Standardrepertoire der Opernhäuser. Vielleicht lag es an der mörderischen Thematik, die ohne nennenswerte Liebesbeziehung auskommen muss. Dafür ist die Psychologie des Ehepaares Macbeth umso interessanter.

Worum geht es in dieser Oper: Jemand mordet sich, getrieben von seiner Frau, nach oben und endet, jede Unterstützung verlierend, im Wahn.

Welches sind die musikalischen Höhepunkte: Neben anderen im 1. Akt die Briefszene der Lady (Sopran) „Vieni! T’affretta accendere…. Or tutti sorgete“, im 2. Akt Bancos (Bass) Szene und Arie „Studia il passo, o mio figlio!…Come dal ciel precipita“ und Macbeths (Bariton) Wahnsinnszene im Festsaal, Chor und Tanz der Hexen im 3. Akt, im 4. Akt die Arie des Macduff (Tenor) „O figli, o figli miei…Ah, la paterna mano“, die Schlafwandlerszene der Lady „Una Macchia e qui tuttora“ und Macbeths Arie „Pieta, rispetto, amore“.

Meinen ersten Verdi-Macbeth sah ich 1965 eher zufällig in der Ostberliner Staatsoper, wir waren damals auf der obligatorischen Klassenreise in Westberlin. Es sangen Kurt Rehm (Macbeth) und Hanne-Lore Kuhse (Lady Macbeth) sowie Gerhard Frei (Banco) und Martin Ritzmann (Macduff). Eine Erinnerung habe ich an diese Aufführung nicht mehr, dafür umso mehr an die Grenzkontrollen am Bahnhof Friedrichstraße und an das Problem, die beim Zwangsumtausch erhaltenen Ostmark-Beträge ausgeben zu können. Der Eintritt in die Oper war preiswert, das Publikum allerdings nicht sehr opernaffin. Ich hatte den Eindruck, dass so manche Beschäftigtenkollektive hier ihren Kulturabend abzusitzen hatten.

Den nächsten Macbeth sah ich erst 15 Jahre später in einer Inszenierung von Götz Friedrich unter der Leitung von Christoph von Dohnányi und danach noch einmal 1982 (unter Gianfranco Masini). Beide Male sang Piero Cappuccilli den Macbeth, die Lady Grace Bumbry bzw. Elizabeth Connell. An letztere erinnere ich mich noch recht gut, ihre große Arie am Ende der Oper gelang nicht nur sängerisch, sondern auch von der psychischen Durchdringung her beeindruckend. Banco waren Nicolai Ghiaurov bzw. Robert Lloyd, Macduff bei beiden Aufführungen Juan Lloveras.

So richtig einhören konnte ich mich in Verdis Macbeth erst ab 1997, als Ingo Metzmacher sich dieses Musikdramas mit Bravour annahm (neue, durchaus passable Inszenierung von Steven Pimlott und einem Bühnenbild von Tobias Hoheisel). Sängerisch fiel die Leistung allerdings ab, Philippe Rouillon sang einen akzeptablen Macbeth, Dolora Zajick (Lady) hatte dagegen keinen guten Abend, auch enttäuschte mich Paata Burchuladze als Banco, dem beim Singen bei aller Bassgewalt für mein Empfinden die Inspiration abging. 1998 sang Alexandru Agache ebenfalls einen guten Macbeth, ihm zur Seite stand mit Elizabeth Connell wieder eine überragende Lady.

1999 hörte ich den 1937 in Trier geborenen Franz Grundheber erstmals als Macbeth. Im Laufe der Jahre hatte sich dieser sängerisch immer schon hervorragende und schallstarke Bariton auch zu einem überzeugenden Sängerdarsteller entwickelt, der die seelischen Obsessionen dieser Partie offen legen konnte wie sonst kaum jemand. Die Tiefenspannung seiner Macbeth-Interpretation blieb für mich maßstabsetzend.

Am 14. und 17. September 2008 dirigierte Simone Young ebenfalls bravourös Verdis Macbeth, beide Male wieder mit Franz Grundheber in der Titelpartie. Bei der zweiten Aufführung feierte der Sänger bereits seinen 71. Geburtstag. Gesanglich und darstellerisch war Grundheber genauso grandios wie neun Jahre zuvor, ohne jegliche altersbedingte Stimmeinbuße und von der Durchdringung der Partie her sogar noch ergreifender. Am Ende jubelte das Publikum diesem dem Hamburger Publikum seit 1966 immer treu gebliebenen Sänger enthusiasmiert zu.

Die Lady sang Iano Tamar, ebenfalls ganz ausgezeichnet. Banco und Macduff waren mit Tigran Martirossian sowie Miroslav Dvorsky gut, aber nicht überragend besetzt, im Gegensatz zu Alexander Tsymbalyuk und Wookyung Kim im Jahre 2011. Lucio Gallos Macbeth (2011) konnte mit der Erinnerung an Franz Grundheber nicht konkurrieren. Gallos Lady Amarilli Nizza sang für meine Ohren zudem nicht mehr akzeptabel, ich habe sie auch in anderen Rollen zwar als stimmstark, aber wenig schönstimmig und mit Hang zum Schrillen wahrgenommen.

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2016 besuchten wir mit einer Reisegruppe der Hamburgischen Staatsoper ein Verdifestival in Riga. U.a. wurde auch Macbeth in einer szenisch interessanten, mit Videoprojektionen angereicherten Fassung gespielt (Regie Viesturs Meiksans, Bühnenbild Reinis Suhanovs). Es reüssierten Vladislav Sulimsky als Macbeth und Tatiana Melnychenko als Lady. Diese Sängerin hatte ich bereits im selben Jahr in Hamburg als Lady gehört, sie sang diese Partie auch bei der letzten von mir gesehenen Aufführung im Jahre 2017. Ihre Stimme klang nicht unbedingt schön. Sie sang ausgesprochen schallstark und im Forte, zur Lady passend, fast schon gewalttätig, aber ohne schrill zu klingen oder mit ausladendem Vibrato, wie es manchen Ladys eigen ist. Dabei gelangen ihr auch ausgesprochen schöne Passagen. So nahm sie ihre Stimme im vierten Akt ganz zurück und sang mit weicher, fast kindlicher, schon dem Jenseitigen anheimgegebener Tonbildung die berühmte Schlafwandlerszene.

Dimitri Platanias (2016, 2017) klang als Macbeth anfangs wie ein schwarzer Bass, zeigte aber bald, dass er auch die Höhe beherrschte. Er sang mit hoher Legatokultur, ohne störendes, übermäßiges Vibrato und mit großer Überzeugungskraft. Zudem beeindruckte Alexander Vinogradov mit kräftigem, noch jugendlich klingendem Bass als Banco. Der Tenor Dovlet Nurgeldiyev sang in beiden Aufführungen den Macduff. Seine Stimme ist nicht gewaltig, aber klar und von außergewöhnlicher Schönheit mit metallischem Kern und goldenem Glanz.

Es gelang Nurgeldiyev, mit stimmlichen Mitteln die Trauer um seine Kinder in Töne zu verwandeln, in Töne, welche die Seele der Zuschauer tief berührten. Das war der beste Macduff, den ich bisher gehört habe.

Dovlet Nurgeldiyev © Henriette Mielke

Macbeth ist auch eine Choroper. Der Chor der Hamburgischen Staatsoper sang ausgezeichnet, ebenso gut gelang das Dirigat von Axel Kober. Ach ja, eine Fernsehaufzeichung des Macbeth habe ich auch noch gesehen. Anna Netrebko sang die Lady und Plácido Domingo den Macbeth. Die stimmliche Leistung ist bei einer Übertragung sicher nur eingeschränkt zu beurteilen. Aber Domingo überzeugte als Gesangsdarsteller vollkommen. Man hatte bei ihm stets das Gefühl, dass er die Rolle vollständig verinnerlicht hat und das Innere der Partie bzw. deren psychische Verwerfungen nach außen zu kehren imstande ist. Das ist ganz große Kunst, auch wenn die Stimme selbst nicht mehr frei strömen konnte. Bei Frau Netrebko fehlte mir dieses Eintauchen und Hervorkehren des seelischen Zustandes der Lady, trotz aller Stimmschönheit, die man dieser berühmten Sängerin auch zubilligen muss.

Ralf Wegner, 9. Mai 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Dr. Ralf Wegner

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