Die Berliner Philharmonie feiert eine Sternstunde mit Einspringern

Giuseppe Verdi: Messa da Requiem, Berliner Philharmoniker,  Philharmonie Berlin, 12. März 2022

Philharmonie Berlin, 12. März 2022

Giuseppe Verdi  Messa da Requiem

Berliner Philharmoniker
Rundfunkchor Berlin
Daniel Barenboim musikalische Leitung

Susanne Bernhard, Sopran
Marina Prudenskaya, Mezzosopran
Michael Spyres, Tenor
Tareq Nazmi, Bass

Daniel Barenboim dirigierte das Verdi-Requiem mit den Berliner Philharmonikern

von Kirsten Liese

Was für ein Abend! Wenige Tage vor den jüngsten Konzerten sagten sämtliche Solisten, darunter René Pape und Anita Rachvelishili, krankheitsbedingt ab.

Das jüngste Verdi-Requiem der Berliner Philharmoniker sollte darunter glücklicherweise keinen Schaden nehmen, die kurzerhand aus dem Hut gezauberten exzellenten Sängerinnen und Sänger hätten von der ursprünglichen Besetzungsriege nicht übertroffen werden können.

Die große Entdeckung des Abends ist Susanne Bernhard. Wo, fragt man sich, kommt sie auf einmal her? Wie kann es sein, dass eine mit einer derart  luziden, kristallklaren, warmen Stimme gesegnete Sängerin,  die ihren Sopran durch alle Register schlank zu führen versteht und in den dramatischen Stellen über dem Orchester groß aufblüht – bislang nur selten einmal in größeren Häusern wie Frankfurt oder Dresden zu erleben war? Seit 2000 ist die aus München stammende Sängerin schon im Geschäft. Unter Barenboim singt sie – und insbesondere auch das anspruchsvolle Schluss-Solo im „Libera me“, wo die Stimme  in hauchfeinen Pianotönen mühelos in die höchsten Spitzen entschwebt – so fulminant wie einst eine Angela Gheorghiu unter Claudio Abbado.

Was das Verdi-Requiem angeht, bin ich sehr verwöhnt. Ich durfte es unter vielen großen Dirigenten und mit ausgezeichneten Besetzungen erleben. Aber wenn ich an die herausragenden Aufführungen der vergangenen Jahre so zurückdenke, konnten noch nicht einmal zwei Spitzensoprane wie Anja Harteros oder Krassimira Stoyanova mit den atemraubend schönen Tönen mithalten, die Bernhard hören ließ.

Und wie perfekt harmoniert Bernhard mit dem Mezzo von Marina Prudenskaya, im „Agnus Dei“, in dem die beiden Stimmen unisono und a capella  – also ohne Orchester – die Melodie vorgeben!

Mit Prudenskaya, der von Verdi unter allen Solisten im Requiem am meisten Beanspruchten, ist gleich die Nächste genannt, die in dieser Einstudierung zur Hochform aufläuft – mit einer Kehle, die regelrecht einem Füllhorn des Wohllauts gleicht. Golden, groß und sonor tönt ihre mächtige Stimme in allen Ausprägungen des geforderten Ausdrucks und ungemein sensitiv im Dialog mit dem Solo-Fagott von Stefan Schweigert im „Quid sum miser tunc dicturus?“ („Weh! Was wird ich Armer sagen“).

Der amerikanische Tenor Michael Spyres hat seinen größten Moment an jener Stelle, die für mich ohnehin eine der schönsten in dem ganzen Requiem ist: Wenn die Musik im „Offertorium“ von As-Dur nach C-Dur umschlägt und über hauchfeinem Pianissimo-Teppich der Tenor seine himmlische Melodie „Hostias et preces tibi“ („Opfer und Gebete bringen wir dir“) anstimmt. “Dolcissimo et lento“ hat Verdi in der Partitur darüber geschrieben, und so tönt es hier auch, unendlich zart und unschuldig.

Mit dem deutsch-ägyptischen Bass Tareq Nazmi war schließlich auch der ideale Ersatz für René Pape gefunden, ebenfalls ungemein mächtig seitens seines Volumens und exquisit in Ausdruck und Textverständlichkeit.

Daniel Barenboim (c) Holger Kettner

Mit den Berliner Philharmonikern habe ich das Verdi-Requiem mittlerweile mehrfach so grandios erlebt, dass sich kaum noch sagen lässt, wann welche Stelle vielleicht noch besser gelungen ist. Auch wenn völlig unterschiedliche Dirigenten-Persönlichkeiten am Pult standen wie Claudio Abbado, Teodor Currentzis oder eben Daniel Barenboim, bei dem die wie aus dem Nichts kommenden Anfangstakte noch geheimnisvoller knistern als vor einigen Jahren bei seiner Einstudierung mit Chor und Orchester der Mailänder Scala.

Erst vor wenigen Wochen hatte sich Barenboim einer Wirbelsäulen-Operation unterzogen, nun steht der geniale Ausnahmekünstler, der im November 80 wird, schon wieder bestens disponiert kerzengerade wie eine Eins und sorgt dafür, dass die aufwühlende Dramatik ebenso den gebotenen Raum findet wie lyrische Schwermütigkeit.

Seine Zeichen sind dabei noch minimalistischer geworden. Die gewaltigen Fortissimo-Schläge im „Dies irae“ kommen bei ihm wie Dolchstöße daher, ohne dass er seine Linke zur Faust ballen – oder mit den Armen groß ausholen müsste wie andere Dirigenten.

Dass in den groß besetzten Stellen im „Offertorium“, in denen Chor und Solisten imitatorisch einsetzen,  Transparenz waltet,  ist freilich auch ein Verdienst des trefflich artikulierenden Rundfunkchors Berlin (Einstudierung: Simon Halsey) und der Geigerin Lisa Bashiatvili als Stimmführerin auf dem leer gewordenen Stuhl des in den Ruhestand gegangenen Konzertmeisters Daniel Stabrawa, die auf Barenboims subtile Impulse wie ein Seismograf reagiert. Am Ende verdient stehende Ovationen für einen hoch emotionalen Abend!

Kirsten Liese, 12. März 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Giuseppe Verdi, Aida, Christian Thielemann Semperoper Dresden, 9. März 2022

Robert Schumann: Sinfonie Nr. 1 B-Dur op. 38 und Sinfonie Nr. 2 C-Dur op. 61, Staatskapelle Berlin, Daniel Barenboim, Elbphilharmonie, 15. Januar 2022

7. Opernakademie, Giuseppe Verdis Nabucco, Riccardo Muti, Fondazione Prada, Mailand, 21. Dezember 2021

 

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