Ein fulminanter Nabucco trotzt Gluthitze der Arena di Verona

Giuseppe Verdi, Nabucco  Arena di Verona, 15. Juli 2023

Nabucco, Verona 2023 © Dr. Charles Ritterband

Nabucco – den Namen dieses mongolischen Baritons müsste man sich merken: Amartuvshin Enkhbat. Wenn doch dieser Namen nur so einfach im Gedächtnis haften bliebe. Enkhbat war die unbestrittene Sensation dieses Opernabends in der römischen Arena von Verona, die nicht nur als spektakulärer Schalltrichter, sondern an diesem Abend auch als Wärmespeicher fungierte – mit tausenden von fächelnden Zuschauern. Dennoch: die gesanglichen Leistungen waren fast durchwegs ausgezeichnet und das Orchester unter der bewährten Stabführung des seit Jahren in Verona bewährten israelischen Verdi-Spezialisten Daniel Oren trotzte im Orchestergraben souverän der Rekordhitze, die Italien und ganz Südeuropa erfasst hatte. Wie immer der heiß erwartete (und im obligaten „Encore“ erhoffte…) musikalisch-patriotische Höhepunkt jeglicher Nabucco-Aufführung in Italien: Der Chor der ins babylonische Exil verschleppten Hebräer, „Va’, pensiero sull’ali dorate“ – flieg, Gedanke auf goldenen Flügeln.

Giuseppe Verdi, Nabucco
Libretto: Temistocle Solera 

Dirigent: Daniel Oren
Orchester, Chor und Techniker der Fondazione Arena di Verona
Chormeister: Roberto Gabbiani

Regie: Gianfranco de Bosio
Bühne: Rinaldo Olivieri

Nabucco: Amartuvshin Enkhbat
Abigaille: María José Siri
Ismaele: Matteo Mezzaro
Zaccaria: Alexander Vinogradov
Fenena: Josè Maria Lo Monaco                    Il Gran Sacerdote di Belo: Gianfranco Montresor

Arena di Verona, 15. Juli 2023

von Dr. Charles Ritterband (Text und Fotos)

Die Arena di Verona mit ihren 15 000 Sitzplätzen, von denen nicht nur hervorragende Sicht auf die gigantische Bühne und die atemberaubenden Aufmärsche von gewaltigen Chören und zahllosen Statisten, sondern auch erstklassige Akustik (ohne Mikrofon- und Lautsprecherverstärkung wie beispielsweise im Steinbruch St. Margarethen im Burgenland) auf der Neusiedlerseebühne Mörbisch oder auf der Bregenzer Seebühne) und damit Gesang und Orchesterklang im unverfälschten Originalton genossen werden kann, war an diesem extrem heißen Sommerabend keineswegs vollständig gefüllt.
Es war ein skurriler Anblick: statt der traditionellen Kerzlein bei Erlöschen der Lichter und vor der jeweiligen Ouvertüre war in den Publikumsrängen nur eines zu sehen: Das vieltausendfache Fächeln der hitzegeplagten Zuschauer. Die fliegenden Händler machten an diesem Abend – gottseidank – nicht mit überteuerten Regenschirmen sondern mit Fächern das große Geschäft. Sie waren nicht zu bedauern – hingegen sehr die Platzanweiserinnen in ihren nagelneuen silber-schwarzen etwas mephistophelisch anmutenden Hosenanzügen, die, wie die reizenden Damen mit säuerlicher Miene bestätigten, aus reinem chinesischen Polyester gefertigt wurden. Diese jungen Mädchen bei dieser Hundshitze in Kunststoff-Uniformen zu stecken ist nicht nur eine Schnapsidee – es ist ein Verstoß gegen die elementarsten Menschenrechte. Diesen bedauernswerten Wesen galt mein ganzes Mitgefühl. Zumal auf den Zuschauerrängen nicht nur gegen die Hitze frenetisch angefächelt wurde, sondern sich bereits während der Ouvertüre der erste Hitzekollaps einer Zuschauerin ereignete, unter Großeinsatz der stets sprungbereiten Sanitäter.

Den Platzanweiserinnen ein Kränzlein gewunden

Diesen Platzanweiserinnen wäre ein Kränzchen zu winden: Ich erinnere mich noch genau, wie im Covid-Jahr 2021, nachdem die Vorstellungen im Jahr 2020 wegen der Pandemie ausfallen mussten, diese jungen Frauen das vieltausendköpfige Publikum, Kopf für Kopf, genau im Auge behalten mussten, ob ja die rigoros vorgeschriebenen FFP-2-Masken getragen wurden. Sie haben diese schwierige Aufgabe damals heroisch gemeistert: Italien war ja (wir erinnern uns an die katastrophalen Zustände in Bergamo) besonders streng und konsequent in der Durchsetzung der Covid-Maßnahmen, gegen die sich immer wieder ein(-e) besonders unbedarfte(-r) Zuschauer (-in) trotzig und bisweilen aggressiv zur Wehr setzte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Trotz dieser temperaturbedingten Begleiterscheinungen und trotz der unbelehrbar ihr Handy-Display aufleuchten lassenden Zuschauer(innen), gegen welche die Platzanweiserinnen auf höhere Weisung (wie mir bestätigt wurde) machtlos zu sein hatten, nahm  die Vorstellung ihren Lauf.

© Dr. Ch. Ritterband

Daniel Oren schlug von Anfang an in der Ouvertüre ein forsches Tempo, jedoch mit auffällig zurückhaltender Lautstärke an. Es war eine reine Freude zu sehen, mit welch professioneller Ernsthaftigkeit und Kraft dieser mächtige, ernste Mann sein Werk angeht: Unter Respektierung jeder kleinsten musikalischen Nuance, ständig mit den Sängern und, wie es scheinen mochte, permanent jedem einzelnen Musiker kommunizierend. Diese dankten es mit absoluter Gefolgschaft gegenüber diesem Dirigenten, der wiederum besondere Leistungen (namentlich des Nabucco von Amartuvshin Enkhbat) mit angedeutetem aber deutlich sichtbarem Applaus seines Taktstocks quittierte.

Standing Ovation für den Gefangenenchor

„Nabucco“ war in dem Jahrhundert, seit die Opernfestspiele in der Arena von durchgeführt werden, die nach den unschlagbaren Spitzenreitern „Aida“ und dann „Carmen“ das am dritthäufigsten aufgeführte Werk – insgesamt 25mal (ich habe nachgezählt). Und es gehört zu den selbstverständlichen Ritualen dieser Oper, dass das „Va’, pensiero“ des Chors vom Publikum mit großer Sehnsucht erwartet und dann von den Musikern mit höchster Subtilität zelebriert wird.

Nabucco, Verona 2023 © Dr. Ch.Ritterband

Unter der Stabführung von Daniel Oren schwang sich der in schlichte Sackgewänder gekleidete, riesige Chor zu absoluten Höchstleistungen auf: Oren ließ das berühmte Musikstück wie es sich gehört in Pianissimo beginnen und induzierte dann ein fast quälend langsames Crescendo bis hin zum Forte, dass es einem den Rücken herabrieselte. Wieder applaudierte er dem Chor mit dem Taktstock, es folgte minutenlanger Applaus, ja eine begeisterte „Standing Ovation“.

 

© Deutsche Oper Berlin

Fast so viel Applaus erntete der Nabucco des grandiosen mongolischen Baritons, Amartuvshin Enkhbat. Seine Stimme von perfekter Glattheit, subtilste Gesangskunst voll Stärke und doch Feinheit. Als kongeniale Partnerin (und, in der Handlung, skrupellose Widersacherin) die uruguayische Sopranistin María José Siri, die bei ihrem ersten Auftritt hörbar Mühe mit den Höhen hatte, dann aber souverän und mit wunderbarer stimmlicher Schönheit – erinnernd an intensiv duftende Blüten im Spätsommer – ihren Part meisterte.

Der unbestreitbare musikalische Höhepunkt war das Duett mit Nabucco im vierten Akt. Ebenso harmonisch und kongenial, aber etwas zurückhaltend, das Paar Fenena (präzis kontrolliert, stimmlich zart wie eine aufblühende Frühlingswiese: die vielversprechende sardische Mezzosopranistin Josè Maria Lo Monaco) – Ismaele (stimmlich edel aber weitgehend ohne tenoralen Schmelz: der italienische Tenor und Puccini-Spezialist Matteo Mezzaro). Sonor und kraftvoll der russische Bass Alexander Vinogradov.

Turmbau zu Babel

Die Inszenierung schien am Anfang doch eher zu enttäuschen – präsentiert sich doch das Bühnenbild des ersten Aktes mit dem (von den Babyloniern zerstörten) jüdischen Tempel als kahl-pompöse, brutalistische Architektur. Doch später tauchten in den klobig-gigantischen Elementen Statuen auf, die Lichtgestaltung wurde deutlich besser und im Bühnen-Hintergrund erhob sich – zwar sehr naheliegend und doch sehr klug konzipiert – der Turmbau zu Babel, als Verkörperung der Hybris des allmächtigen Herrschers Nabucco. Gelungen die Assoziation mit dem berühmten Gemälden von Pieter Bruegel dem Älteren aus dem 16. Jahrhundert (u.a. im Kunsthistorischen Museum Wien). Ein überaus wirkungsvoller und technisch hervorragend gelöster Effekt ist die (von göttlicher Hand herbeigeführte) Explosion dieses Tempels, als sich Nabucco zu Gott erklärt: In anderen Inszenierungen erschien jeweils an dieser Stelle die vielzitierte Schrift an der Wand des Palastes oder das unerklärlich umstürzende Götterbild.

Nabucco, Verona 2023 © Dr. Ch. Ritterband

Insgesamt war diese Inszenierung – mit zahllosen, prachtvoll kostümierten Statisten und Chormitgliedern – überaus aufwendig aber in der Manipulation der Massenszenen und der Führung der Protagonisten/innen doch etwas einfallslos. Da wurde massenweise auf- und abmarschiert, Soldaten erschienen rechts auf der Bühne und gingen nach links, jene von links marschierten nach rechts, was fast etwas lachhaft wirkte.

Nabucco, Verona 2023 © Dr. Ch. Ritterband

Und die Solisten/Solistinnen taten das, was man in englischen Opernkreisen spöttisch und mit typisch englischem Humor  so passend als „park and bark“ (einparken und bellen) charakterisiert: Die Sängerinnen/Sänger betreten die Bühne, parken sich hin, singen ihre Arien und treten ab. Zugegebenermaßen stellen Massenszenen und Handlungen wie im „Nabucco“ die Regie vor kaum lösbare Aufgaben. Aber, was soll’s: das Publikum kam nicht nur akustisch sondern auch visuell auf seine Rechnung und applaudierte begeistert.

Dr. Charles E. Ritterband, 15. Juli 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Nähere Informationen zum Spielplan und Kartenverkauf: https://www.arena.it/de/arena-di-verona

Arena di Verona, Plácido Domingos Debakel klassik-begeistert.de 8. September 2022

Giuseppe Verdi, Aida Arena di Verona, 28. August 2022

Georges Bizet, Carmen Arena di Verona, 27. August 2022

Giacomo Puccini, Turandot Arena di Verona, 26. August 2022

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