Foto: B. Stöß (c)
Giuseppe Verdi, Nabucco
Deutsche Oper Berlin, 1. November 2017
Roberto Rizzi Brignoli, Dirigent
Keith Warner, Inszenierung
Tilo Steffens, Bühne
Claudia Gotta, Spielleitung
Dalibor Jenis, Nabucco
Anna Smirnova, Abigaille
Robert Watson, Ismaele
Vitalij Kowaljow, Zaccaria
von Yehya Alazem
Giuseppe Verdis dritte Oper „Nabucco“, sein erster großer Erfolg, feierte ihre Premiere 1842 am Mailänder Teatro alla Scala. Wie die meisten Opern dieser Zeit hat „Nabucco“ eine historische Handlung, die eigentlich unkompliziert ist – das Libretto passt bestens zur wunderbaren Partitur.
Wenn es so einfach ist, warum die Sache komplizieren? Was der britische Regisseur Keith Warner, 60, mit seiner Inszenierung von „Nabucco“ an der Deutschen Oper Berlin wirklich will, ist schwierig herauszufinden. Was sich auf der Bühne ereignet, lässt sich nur schwer deuten. In welcher Zeit sind wir, an welchem Ort, in der Realität oder im Märchen oder ganz einfach, wie der Regisseur selbst im Programmheft sagt, in einem Reaktor, in dem man alle Elemente miteinander reagieren lassen möchte?
Vor dem Beginn der Oper gibt es keinen Vorhang. Wir sehen nur ein zylindrisches Gebäude (ironischerweise sieht es aus wie ein Kernreaktor), das nach der Ouvertüre von einem alten Mann geöffnet wird. Ist dieser Mann Verdi? Oder Nebukadnezar? Unklar. Innerhalb des Reaktors sehen wir ein Holzzimmer, in dem sich ein Drucker befindet. Wir sehen Juden, vor wem sie Angst haben, wissen wir nicht. Sie scheinen selbst auch nicht zu wissen, wen sie fürchten.
Im Laufe der Zeit gibt es fast keine Entwicklung im Geschehen. Wer sind die Menschen, die wir sehen und hören? Was machen sie da? Was haben sie miteinander zu tun? Wer ist überhaupt Nabucco – ein Mafiaboss? Ist Abigaille seine (richtige?) Tochter?
Das Publikum ist heutzutage daran gewöhnt, Regisseure Opern massakrieren zu sehen. In diesen Fällen bleibt nur die Hoffnung, dass die musikalische Leistung den Abend rettet – so ist es zum Glück der Fall im Haus an der Bismarckstraße an diesem Abend, obwohl nicht alle Sänger vollends überzeugen.
Das Orchester der Deutschen Oper Berlin unter dem italienischen Dirigenten Roberto Rizzi Brignoli bietet ein raffiniertes Spiel an, mit der herrlichen Energie der frühen Verdi-Werke. Manchmal verliert der Klangkörper die Präzision und klingt zu hektisch. Rizzi Brignoli lässt die Sänger atmen und gibt ihnen den Raum, den sie brauchen. Der Chor fängt verirrt an, findet aber im Laufe des Abends die Balance, und beim berühmten „Va Pensiero“ erreicht er die Spitze seiner Leistung und klingt sowohl weich als auch mächtig.
Der im slowakischen Bratislava geborene Bariton Dalibor Jenis ist vor zwei Tagen eingesprungen, da Zeljko Lucic wegen einer Erkrankung absagen musste. Jenis sieht ziemlich verloren auf der Bühne aus – nicht ganz unerwartet für einen einspringenden Sänger. Gesanglich fängt er starr an, verbessert sich aber, je mehr er singt. Er hat keine große Stimme, die ein dominanter Nabucco in den ersten zwei Akten erfordert, aber sein helles, weiches Timbre ist für den 3. und 4. Akt perfekt geeignet. Da singt er mit phantastischer Wärme und Innerlichkeit.
Der ukrainische Bass Vitalij Kowaljow, der auch aufgrund einer Erkrankung eingesprungen ist, stellt einen hervorragenden Zaccaria dar. Er hat ein wunderbares, dunkles Timbre, das sehr gut zu Verdi passt. Und er besitzt eine Technik, die für den jungen Verdi und das Belcanto-Repertoire bestens geeignet ist. Wenngleich er Ersatzmann ist, ist er auch dramatisch überzeugend.
In der Rolle des Ismaele strahlt der US-amerikanische Tenor Robert Watson. Er hat einen hellen Klang mit außergewöhnlichen Nuancen, die seine Stimme wunderschön machen. Er singt die Vorstellung leidenschaftlich und mit vollem Herzen durch. Bravo!
Die in Moskau geborene Mezzosopranistin Anna Smirnova, die vor einem Monat eine unglaubliche Amneris in Verdis „Aida“ im selben Haus sang,
hat als Abigaille auch einige Sopranrollen in ihrem Repertoire. Sie hat zwar einen hellen Klang für eine Mezzosopranistin und eine ziemlich breite Tessitur, es fehlt ihr aber die Höhe einer Sopranistin. Ihre Stimme ist mächtig und durchdringt den Großen Saal. In den weichen Momenten nutzt sie die Wärme ihres Mezzos. Darstellerisch ist sie dominant und großartig. Was braucht eine Sängerin mehr für die Abigaille? Die Höhe. Verdi hat kaum eine schwierigere Sopranrolle geschrieben als die Abigaille – eine Rolle, die viele fürchten. Smirnova hat wirklich alles, außer guten Spitzentönen. Da singt sie Töne immer wieder einen Viertel- oder Halbton zu tief an.
Glücklicherweise sind die musikalischen Leistungen an diesem Abend überzeugend genug. Es bleiben aber viele Fragen hinsichtlich der Inszenierung – Keith Warner dürfte diese Fragen selbst nicht beantworten können. In dieser Inszenierung verliert der Brite den Kern dieser magischen Oper aus dem Auge. Es ist ihm nicht gelungen, die politische, die religiöse und die menschliche Botschaft dieses Jahrhundertwerks in Szene zu setzen.
Yehya Alazem, 10. November 2017,
für klassik-begeistert.de