Savonlinna brilliert und befremdet mit „Nabucco“

Giuseppe Verdi, Nabucco, Libretto: Temistocle Solera Savonlinna Opera Festival, 26. Juli 2024

Foto © Dr. Charles E. Ritterband

Nabucco ohne Hebräer, zerstörten Tempel und Babylonisches Exil – das ist wie Oberammergauer Passionsspiele ohne Jesus (oder mit Jesus, aber „woke“ als lesbische dunkelhäutige Frau). Savonlinna hat es geschafft: „Va’, pensiero“, die Hymne des italienischen „Risorgimento“ und der vielleicht berühmteste Chor aller Zeiten wird hier, auf der mittelalterlichen finnischen Burg Olavinlinna nicht von den nach Babylon verschleppten Juden gesungen, die sich nach ihrer Heimat sehnen und die Zerstörung ihres Tempels beklagen, sondern von tapferen Klima-Aktivisten („eco warriors“ in den Worten der griechischen Regisseurin Rodula Gaitanou), eingezwängt in lindengrüne Pyjamas mit läppischen Stoffkäppchen.

Giuseppe Verdi
Nabucco

Libretto: Temistocle Solera

Dirigent: James Sherlock
Regie: Rodula Gaitanou
Licht und Kostüme: Takis
Licht: Jake Wiltshire

Savonlinna Opera Festival Chor, Chorleiter: Jan Schweiger
Savonlinna Opera Festival Orchester

Savonlinna Opera Festival, 26. Juli 2024

von Dr. Charles E. Ritterband

Sie kämpfen nicht etwa gegen die bösen, gottlosen Babylonier der Aera Nebukadnezar (605-562 v.Chr.), sondern gegen durchaus heutige „assyrische Technokraten“, gegen die sie am Ende selbstverständlich gewinnen. Und um dem zeitgeistigen Unfug die Krone aufzusetzen, hinken und humpeln nach der Pause Babylonier alias „assyrische Technokraten“ mit Rollatoren und Krücken über die Bühne – weshalb, weiß niemand.
Das Bühnenbild zeigt eine Pyramide, bestehend aus vielleicht Tausenden von Recyling-Pet-Flaschen und einem künstlichen Baum (der je nach Beleuchtung die intakte, göttliche oder vom Menschen zerstörte Natur zu verkörpern hat). Immerhin spielten die Vögel tüchtig mit: wie schon am Vorabend bei „Don Giovanni“ flogen sie unsichtbar aber zwitschernd und laut kreischend über die Zeltplane, welche den riesigen Zuschauerraum im Burghof überdacht – und sorgten damit für eine realistische und perfekte Geräuschkulisse zum neuesten Irrläufer des aktuell grassierenden Regietheaters, mit dem Verdis großartige Oper so gnadenlos massakriert wurde.

Schade, sehr schade: Denn musikalisch war diese vom Publikum gebührend umjubelte Aufführung Weltklasse – großartige Stimmen und ein Orchester, das sich unter einem dynamischen Dirigenten (der junge, anglo-irische James Sherlock) mächtig ins Zeug legte.

Vielleicht muss man sich doch die Frage stellen: Weshalb werden in dieser Inszenierung einer Oper, in der es thematisch um jüdische Geschichte geht, die Hebräer radikal aus der Handlung ausgeklammert (übrigens verzichtet Verona im diesjährigen Festspielprogramm untypischerweise vollständig auf den vom Publikum so heiß geliebten „Nabucco“)? „Nabucco“ – judenrein?

Foto: privat

Gibt es angesichts des aktuell weltweit wütenden Antisemitismus-cum-Antiisrealismus tatsächlich inzwischen auch auf der Opernbühne Berührungsängste mit dem Thema Juden, worauf sie flugs zu modischen Klimaaktivisten umfunktioniert werden? Das wäre nun allerdings bedenklich – erfahren werden wird dies allerdings nie. Die Website des Festivals stellt richtigerweise fest, dass „Nabucco“ im Lauf der Geschichte unterschiedliche politische Zwecke zu erfüllen hatte. Diese Produktion verzichte darauf, die Handlung in aktuelle Krisenzonen zu verlagern, befasse sich jedoch „mit der größten Krise unserer Zeit, welche jedes Lebewesen, egal welchen Alters, welcher Nationalität oder gar Spezies“ betreffe. Der Klimawandel sei „der ernsteste Krieg unserer Zeit“ und dieser werde gegen die Natur geführt, sagt die Regisseurin dieser Produktion, Rodula Gaitanou.

Als Kritiker, der schon Hunderte von Opern auf zahllosen Bühnen weltweit gesehen hat, würde ich mich niemals gegen thematische Umsetzungen und Aktualisierungen klassischer Werke, die wir alle schon unzählige Male in konventionellen Aufführungen stark unterschiedlicher Qualität genossen haben, zur Wehr setzen. Einzige Bedingung: Diese Transponierung des altbewährten, klassischen Materials soll, bitteschön, konsequent und klug erfolgen und (wie kürzlich etwa die in die Großküche eines altmodischen Grandhotels verlagerte „Zauberflöte“) vielleicht gar mit einem Schuss Humor – und ohne peinliche Details in Kostümierung etc.

Davon war aber in der todernsten „Nabucco“-Inszenierung der kämpferischen Rodula Gaitanou gar nichts vorhanden. Ist schon recht – der Klimawandel, die globale Erwärmung ist ja tatsächlich eine todernste Sache, in der es, wie wir täglich immer mehr spüren, um Tod und Leben geht. Aber hier haben wir eine Oper, die vielleicht beste von einem der größten Opernkomponisten aller Zeiten. Was wohl Verdi zu dieser Inszenierung gesagt hätte? Immerhin – das Regiekonzept scheint ausgerechnet im „Va’, pensiero“ aufzugehen, wo sich die Pyramide aus Recycling-Flaschen dreht und plötzlich grüne, sprießende Natur offenbart. Und auch der große verdörrte Baum am Bühnenrand beginnt plötzlich – technisch gut gelöst, zu grünen.

Musikalisch Weltklasse

Doch nun endlich zum Erfreulichen: Die Sängerinnen und Sänger waren – wie schon am Vortag im „Don Giovanni“ – absolute Weltklasse. Damit beweist dieses Festival seine Stärke: Es greift vor allem auf finnische und auch andere skandinavische Interpreten zurück – mit großem Erfolg wie man hier hört. Der anglo-irische James Sherlock leitete das herausragende Savonlinna Opera Festival Orchester, das angereichert wird durch das philharmonische Orchester Helsinki und im Gespräch berichteten dessen Mitglieder, dass für die Opernproduktionen in Savonlinna nicht weniger als fünf Wochen geprobte wurde. Das hört man. Dieses Orchester spielt mitreißend.

Schlussapplaus © Dr. Charles E. Ritterband

Zum Niederknien fantastisch die Sänger und Sängerinnen – allen voran die in der kroatischen Hauptstadt geborene Marigona Qerkezi als Abigail. Die Stärke und Schönheit ihrer Stimme ist schlicht überwältigend, ihr Spiel so dramatisch wie es die Rolle der bösen Usurpatorin erfordert.

Ebenso, und vor allem im Duett mit Abigail überragend, der imposant-virile Nabucco des italienischen Baritons Gabriele Viviani.

Von glatter, subtiler Schönheit die Stimme der italienischen Mezzosopranistin Annalisa Stroppa als Fenena, dem „good girl“ der Handlung – als kongenialer Partner ihr Liebhaber Ismaele, der Amerikaner Anthony Ciaramitaro mit seiner warmem, tenoralem Schmelz.

Grandios der Chor, der ja in dieser Oper so zentral ist, unter der souveränen Leitung von Jan Schweiger – kraftvoll und präzis.

Charles E.  Ritterband, 26. Juli 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Besetzung:

Nabucco: Gabriele Viviani
Ismaele: Anthony Ciaramitaro
Zaccaria: Vazgen Gazaryan
Abigail: Marigona Qerkezi
Fenena: Annalisa Stroppa
Hohepriester des Baal: Stanislav Seljahhovski
Abdallo: Yusniel Estrada
Anna: Johanna Nylund

Wolfgang Amadeus Mozart, Don Giovanni, Libretto: Lorenzo Da Ponte Savonlinna Opera Festival, 25. Juli 2024

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