Foto: © 2017 / Hans Jörg Michel
Staatsoper Hamburg, 3. Oktober 2019
Giuseppe Verdi, Otello
von Ulrich Poser
Was für eine fulminante Aufführung! Die lebensbejahende Handlung der Oper mit der wohl besten Musik Verdis ist hinlänglich bekannt: Der Schwarzafrikaner Otello wird zum Opfer einer bösen Intrige seines Weggefährten Jago und erwürgt am Ende kurz vor seinem Selbstmord seine geliebte Desdemona in rasender, unbegründeter Eifersucht. Eigentlich verspricht das keinen schönen Abend.
Es kam aber anders. Die Sänger dieses Otello waren nämlich durchweg grandios. Marco Berti als Otello lieferte eine streckenweise „vickeriöse“ Darbietung, die nicht nur Fans des leider mittlerweile verstorbenen Jahrhundert-Tenors Jon Vickers ergriffen machte. Sogar die nicht so sehr opernaffine Begleitung des Rezensenten war nach anfänglichem Zögern nach dem 2. Akt („… fandest du den wirklich so gut?“) restlos von diesem Otello begeistert.
Der italienische Tenor Marco Berti verfügt über eine metallisch-heldische Stimme, wie man sie mit einer solchen Lautstärke und Intensität nur von den Tenorstars vergangener Zeit wie z.B. dem besagten Jon Vickers oder auch Franco Bonisolli kennt. Am meisten beeindruckte Berti im 3. Akt, in welchem er zwischen Liebe, Eifersucht, Zweifel, Elend und Mordlust dem Wahnsinn stimmlich und schauspielerisch ziemlich nahe kommt.
Seine Wechsel zwischen furchteinflößenden Fortissimo-Wutausbrüchen und dem Irrsinn nahen Selbstmitleid im Pianissimo gestaltete er in jeder Hinsicht grandios: Stimmsicher, maximal heldentenoral im Heldischen und zur rechten Zeit leise und lyrisch ohne an Intensität einzubüßen. Sehr viele verdiente Bravos am Ende; es kam Stimmung im Haus auf.
Jubel und Bravos wurden auch – völlig zu recht – dem anderen Marco, nämlich Marco Vratogna als bitterbösem Intrigenspinner Jago zuteil. Der italienische Bariton aus La Spezia hat eine gewaltige, glasklare Stimme und singt äußerst textverständlich. Synästhetisch könnte man sagen, er singt Pfeile ins Publikum. In Kombination mit seinem überzeugenden Schauspiel (allein seine Mimik war das Eintrittsgeld wert) lieferte er so an diesem Abend in Hamburg einen Bilderbuch-Jago der seinesgleichen sucht.
Fazit: Die beiden Marcos boten mit ihren diversen Zwiegesängen eine fulminante Two-Men-Show dar, die das Haus in dieser Form schon lange nicht mehr erlebt hat.
Besonders im 3. und 4. Akt begeistert hat auch Guanqun Yu als wunderschöne Desdemona. Ihr Lied von der Weide („Canzone del Salice“) und das sich anschließende Ave Maria sang sie mit so viel Hingabe, Gefühl und professioneller stimmlicher Zurückhaltung, dass sicherlich nicht nur dem Rezensenten der Atem stockte und wohlige Schauer den Rücken herunter liefen.
Man kann nur ahnen, wie unendlich viele Stunden diese aus China stammende junge Sängerin investiert haben muss, um mit ihrem wunderschönen Sopran eine derart schwierige Partie wie die der Desdemona derart bravourös zu meistern. Dafür erntete sie zum Schluss ebenfalls verdienten Jubel und sehr viele Bravos.
Der Cassio von Oleksiy Palchykov und der Rodrigo von Peter Galliard waren mehr als solide Leistungen; das Dirigat von Paolo Carignani war unauffällig professionell.
Diese Vocal-Show der beiden Marcos sollte man sich nicht entgehen lassen. Das war Opernzauber! Die nächsten Vorstellungen laufen am 6.10., 11.10. und am 15.10.
Ulrich Poser, 03. Oktober 2019, für
klassik-begeistert.de