Die Wiener Staatsoper wandelt in einem zypriotischen Seesturm

Giuseppe Verdi, Otello, Wiener Staatsoper, 12. März 2018

Foto: Michael Pöhn (c)
Giuseppe Verdi, Otello, Wiener Staatsoper,
12. März 2018

Graeme Jenkins, Dirigent
Christine Mielitz, Regie

Robert Alagna, Otello
Dalibor Jenis, Jago
Aleksandra Kurzak, Desdemona
Antonio Poli, Cassio
Leonardo Navarro, Roderigo
Alexandru Moisiuc, Lodovico
Orhan Yildiz, Montano
Ilseyar Khayrullova, Emilia

von Jürgen Pathy

Fünfzehn Jahre waren seit der Uraufführung von „Aida“ im Jahre 1871 vergangen und Giuseppe Verdi hatte, außer zwei Neubearbeitungen, keine neue Oper geschrieben.  Der Gran Signore der italienischen Oper hatte sich nach dem großen Erfolg auf sein Anwesen Sant’Agata in der Emilia-Romagna zurückgezogen und führte ein einfaches Leben als Bauer. „Basta“! – Nie wieder werde er sich die Tage und Nächte mit der Arbeit an einer Oper um die Ohren schlagen; unter dieses Kapitel hatte er einen Schlussstrich gezogen. Stattdessen bestellte der rüstige alte Herr seine Felder, ritt auf seinen Pferden und fütterte die Schwäne in seinem Teich.

Einzig und allein den langjährigen, hartnäckigen Bemühungen von vier seiner Freunde haben wir es zu verdanken, dass der Meister sich im fortgeschrittenen Alter zur Vertonung des Shakespeare Dramas „Othello“ hat hinreißen lassen: dem Librettisten Arrigo Boito, dem Verleger und Freund Giulio Ricordi, dem Dirigenten Franco Faccio und Verdis treuer, langjähriger Gefährtin und Sängerin Giuseppina Strepponi.

So kam es am 5. Februar 1887 an der Mailänder Scala zur langersehnten, erfolgreichen Uraufführung des Musikdramas, das Giuseppe Verdis zuvor schon zum hellleuchtenden Stern am Opernhimmel zementierte – neben dem am 13. Februar 1883 verstorbenen großen Gegenspieler aus dem Norden: Richard Wagner. „Ein Name, der eine mächtige Spur in der Geschichte der Kunst hinterlassen wird“, schrieb Verdi vom Tode Wagners zu tiefst erschüttert.

Um die nicht minder große Spur des italienischen Komponisten in der Wiener Staatsoper weiterzuziehen, verpflichtete Direktor Dominique Meyer, 62, eine Riege von Rollendebütanten ans Haus.

Das Zugpferd der Produktion, Roberto Alagna, 54, verkörpert den zwischen völliger Verzweiflung und wilden Rachegedanken hin- und hergerissenen Titelhelden Otello. Auch wenn dem französischen Opernstar bereits altersbedingte stimmliche Abnützungserscheinungen nachgesagt werden, überzeugt Alagna in dieser ungeheuer anspruchsvollen Heldenpartie. Egal ob mit gewaltigem Stimmaufwand wie beim Esultate oder mit weicher Kantilene im berühmten Liebesduett mit seiner Desdemona – man glaubt Alagna diesen vor Eifersucht zum Mord getriebenen „Mohr von Venedig“ einfach.

Auch seine Partnerin, sowohl im wahren Leben als auch auf der Bühne, Aleksandra Kurzak, 40, gibt als Desdemona ihr Rollendebüt an der Wiener Staatsoper. William Shakespeare als auch Arrigo Boito lassen Desdemona als wahren Engel erscheinen, dessen Reinheit und unbedingte Liebe zu Otello alles überstrahlt, das je auf einer Bühne gespielt wurde. Diesen Vorgaben kann die polnische Sopranistin optisch gerecht werden, stimmlich klingt Kurzak an diesem Abend jedoch unfrei – der leichte, natürliche Fluss will nicht entstehen. Wenn sie das sichere, nervöse Korsett, das ihre Stimme gefangen hält, ablegen kann, wird in den folgenden drei Vorstellungen aus einer soliden Desdemona sicherlich eine hervorragende werden.

Den Widersacher und Intriganten – wie könnte es in einer Verdi-Oper anders sein – darf ein Bariton verkörpern: in der Partie des boshaft gemeinen Jagos brilliert Dalibor Jenis, 51. Eine Partie die neben außergewöhnlichen stimmlichen Qualitäten auch eine erlesene Schauspielkunst erfordert – Anforderungen, die der Slowake mit Bravour erfüllt. Bravo!

Auch in den weiteren Rollen können die Künstler überzeugen. Vor allem Cassio, der ungewollt zum Spielball der Intrige wird, ist mit dem jungen italienischen Tenor Antonio Poli großartig besetzt worden.

Etwas Haare lassen muss die Inszenierung: Die deutsche Regisseurin Christine Mielitz, 68, hätte phasenweise mehr Rücksicht nehmen können auf die Sänger – das Unwort Regietheater schwirrt durch die Luft. Abseits der oftmals gescholtenen Regisseure zu erfreulicheren Dingen: Der britische Dirigent Graeme Jenkins und das hervorragende Orchester der Wiener Staatsoper entführen das Publikum auf eine emotional aufwühlende, rund zwei Stunden dauernde Reise und fesseln das Publikum.  Beginnend mit der geballten Wucht des Orchesters, das den Sturm vor der zypriotischen Küste malt, über die altbekannte Ensemblemeisterschaft im doppelten Duett, bis hin zur Schlussmelodie, bei der das sterbende Liebespaar in inniger Umarmung ins Jenseits fährt.

„Ist eine Oper gut, dann benötigt sie keine Reklame, ist sie schlecht, dann nützt ihr auch die beste Reklame nichts“, war Giuseppe Verdis Standpunkt. In diesem Sinne sei vielleicht etwas widersprüchlich erwähnt: Für die folgenden Vorstellungen sind nur noch wenige Restkarten vorhanden.

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 13. März 2018,
für klassik-begeistert.at

 

Ein Gedanke zu „Giuseppe Verdi, Otello, Wiener Staatsoper, 12. März 2018“

  1. Das Sterben des Liebespaares am Schluss „in inniger Umarmung“, davon träumt der Berichterstatter dank Kenntnis des Textbuches. Tatsächlich wird aber der Leichnam der Desdemona in der Regie der Mielitz sofort entsorgt, der sterbende Otello hat das Nachsehen und der Kritiker hat schon geschlafen!

    P. Skorepa

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